Schwarze Straße zur Hoffnung

Japanblog Drei Wochen reiste Chikayo Morijiri durch Japan und berichtete täglich über Todesmutige und Lebensmüde. Nun zieht unsere Autorin Bilanz

Ich war gerade in Tokio mit meinem Hund unterwegs, als das große Erdbeben begann. Wir gingen in einen öffentlichen Waschraum, wie es für solche Fälle empfohlen wird, und drängten uns nah aneinander bis das Beben vorbei war. Als die Erde sich beruhigte, klingelte mein Handy. Es war ein Freund aus Australien, der dort als TV-Reporter arbeitet. Er fragte, ob ich ihm bei einer Reportage helfen könne. Ich sagte zu. Am nächsten Tag kam er nach Tokio und wir fuhren mit dem Auto auf einer langen, schwarzen Straße in den Norden. Damals wusste ich noch nicht, in welche Abgründe mich dieser Job führen würde.

„Ich bin bereit, hier mit meiner Familie zu sterben“, war der erste Satz, den ich von einem Mann aus Miyagi hörte. Das war zwei Tage nach dem Beben, wir waren gerade einmal 50 Kilometer von dem Atomkraftwerk in Fukushima entfernt. Dann explodierte das Kraftwerk und die Filmcrew verließ das Land. Sie boten mir an, einen Flug zu bezahlen, der mich auch außer Landes bringen würde, aber ich wollte nirgendwohin, nicht einmal zurück nach Tokio. Seither ist gut ein Monat vergangen und ich arbeite nun für ein anderes Fernsehteam. Wir haben nicht herausgefunden, wieviele Menschen die Kata­strophe getötet hat. Dafür aber, dass für die Obdachlosen bisher 36 provisorische Häuser gebaut wurden. Sie werden per Lotterie verlost.

Der Wind, eine Erinnerung

Zugleich stürzt Tokio ins Chaos, weil der Ärger auf die Regierung und Tepco, die Betreiberfirma des Fukushima-Reaktors, wächst. Es ist einfach, die Erdbebenopfer zu vergessen, wenn man selbst in eine gefährliche Situation kommt. Ich aber kann nicht die Gesichter jener verdrängen, die im Schutt orientierungslos nach ihren Lieben suchen. Jeder sucht nach jemandem und glaubt, dass er dann Frieden finden wird.

In Rikuzentakada, einem der zerstörten Gebiete im Inland, sprießen schon Sternblumen und begrüßen den Frühling. Ich spüre den Wind, sein Klang und der Gesang der Vögel geben mir eine Ahnung vom Glück, das hier einmal herrschte. Die Stadt, die hier stand, muss sehr schön gewesen sein.

Wie verletzlich unsere Zivilisation ist. So lange wir Atomenergie nutzen sind wir ihre Geisel. Japan ist als Erdbebenland bekannt, wir müssen uns endlich darauf einstellen. Doch die Regierung und Tepco verbergen diese Wahrheit um ihres Vorteils willen. Ich glaube, die Ereignisse könnten uns auch zu der Stärke und Menschlichkeit zurückfinden lassen, die wir durch unseren wirtschaftlichen Erfolg verloren haben. Schon jetzt sehe ich diese Menschlichkeit bei den Evakuierten: Keiner beschwert sich, jeder achtet auf den anderen. Vielleicht haben sie nichts mehr zu verbergen.

Ein Kollege von mir sagte kürzlich: „Es zählt nicht, was du tust, sondern das, was du bist.“ Diese Lektion lernt man leicht im hektischen Alltag Tokios. Ironischerweise glaube ich aber, dass ich sie erst jetzt wirklich verstanden habe. Wahrscheinlich werde ich, wenn diese Reise vorbei ist, meinen Hund ausführen. Ich werde weinen, um all die Trauer, die ich gesehen habe, und all die Unzufriedenheit, die ich in Tokio sehen werde, zu verarbeiten. Keine Sorge, es ist alles in Ordnung mit mir, ich weiß, dass der Frühling immer wieder kommt.

Chikayo Morijiri, 32, ist TV-Produzentin und hat in den vergangenen Wochen auf freitag.de/japanblog von ihrer Reise durch die Katastrophengebiete Japans berichtet

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Übersetzung: Steffen Kraft

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