Die amerikanische Friedensbewegung hat sich zurückgemeldet. Zehntausende vergangenen Samstag gegen den Krieg in Washington, Zehntausende in San Francisco, Tausende in St. Paul (Minnesota), ein paar Tausend in Chicago. Präsident Bush freilich hält an seiner Mantra fest, dass er Saddam Hussein "notfalls" auch ohne die UNO angreifen werde. Freilich beschäftigt er sich derzeit wenig mit der UN-Resolution: Bis zu den Kongresswahlen am 5. November führt er intensiv Wahlkampf, um die knappe republikanische Mehrheit im Repräsentantenhaus zu bewahren und den Senat zurückzugewinnen. Wahlkampf mit den Themen Sicherheit, Terrorismus und Irak, in der Annahme, dass die Mehrheit seine Irak-Politik billigt. Antikriegsaktivisten hoffen, der Präsident habe sich verrec
rechnet.Was da in Washington zusammenkam, war ein Querschnitt durch Amerika: Junge und Alte, Kinderwagen und Rollstühle, Afro-Amerikaner, Weiße, Hispanics, von einer Methodistengemeinde über ein New Yorker Kabarett-Ensemble ("Billionäre für Bush") bis hin zum zottelköpfigen jungen Mann mit einem "Fuck you, Bush"-Plakat. "Regimewechsel fängt zu Hause an", "Es ist nicht unser Öl", hieß es auf den Transparenten.Auch zahlreiche Muslime demonstrierten mit. Ihre Mitgläubigen seien erst nach dem Anschlägen des 11. September 2001 so richtig politisch aktiv geworden, meinte die Geschichtsstudentin Maha Ezzeddine aus Virginia. Bei den amerikanischen Muslimen zeichne sich auch ein "Generationswechsel" ab. Die Jungen machten ihre Rechte als Amerikaner geltend.Manche Kundgebungsteilnehmer waren mit gemischten Gefühlen nach Washington gereist. Die veranstaltende ANSWER-Koalition ("Act Now to Stop War and End Racism" - "Handelt jetzt, um Krieg und Rassismus zu stoppen") vermeidet jede Kritik an Saddam Hussein. Führende Köpfe der Koalition sind Vertreter der trotzkistischen Workers World Party (WWP), die so ziemlich alle Diktaturen verteidigt, wenn sie sich mit dem imperialistischen Hauptfeind anlegen - neben Saddam auch Kim Jong Il oder Slobodan Milos?evic´.Bei der Demonstration selber traten diese Unstimmigkeiten in den Hintergrund. Jesse Jackson warnte, die USA würden ihre "moralische Autorität" verlieren, sollten sie den Irak angreifen. Die Schauspielerin Susan Sarandon erklärte, man müsse "Fundamentalismus in jeder Form" bekämpfen. Das gelte für den gefährlichen Fundamentalismus von al Qaida und für den "Fundamentalismus amerikanischer Art", dem es darum gehe, die Interessen von Großkonzernen durchzusetzen.Viele Plakate und Transparente auf den Kundgebungen, vor allem in St. Paul: "Für Paul Wellstone". Der Senator aus Minnesota war am Tag zuvor bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommen. "Wellstone war der Beste", sagte der aus Detroit angereiste Rentner Sanford Waxer, mit Tränen in den Augen. Selbst die Spartakisten gaben Ruhe, als die Washingtoner Kundgebung eine Schweigeminute für Wellstone einlegte.Der Senator hatte sich unverbrämt gegen die Macht des großen Geldes und für Gewerkschaften und Einkommensschwache eingesetzt. Er stimmte auch gegen die Irakkriegsresolution, obwohl er nach Angaben von Freunden befürchtete, das würde ihm Stimmen kosten. Anscheinend war das Gegenteil eingetreten - Wellstone konnte nach der Abstimmung seinen knappen Vorsprung vor seinem republikanischen Rivalen ausbauen.Im US-Senat kommt es auf jede Stimme an: Gegenwärtig 50 Demokraten, 49 Republikaner und ein Unabhängiger. Die Mehrheitspartei übt ihre Macht aus, indem sie entscheidet, worüber wann abgestimmt wird: So haben die Demokraten die Ernennung mehrerer erzkonservativer Bundesrichter verhindert, Bushs umweltpolitischen Kahlschlag abgestumpft und steuerpolitische Vorstöße verwässert.Im Repräsentantenhaus müssten die Demokraten nur sieben Sitze dazugewinnen, um die republikanische Führung "auszuwechseln". Verlässliche Prognosen gibt es keine. Am 5. November droht wieder Wählerapathie; bei den so genannten Zwischenwahlen (den Kongresswahlen zwischen dem alle vier Jahre stattfindenden Präsidentenvotum) geht oft nur ein Drittel zu den Urnen.Der Altaktivist Marty Jezer ist überzeugt, dass Großkundgebungen Politik verändern können. Dank der riesigen Anti-Vietnamkriegsdemonstrationen 1968/69 hätten sich manche Demokraten von Präsident Lyndon Johnsons Kriegspolitik verabschiedet, schrieb Jezer in alternet.com. Hart auf hart käme es freilich erst, wenn der Irakkrieg einmal begonnen haben sollte: Denn wenn unsere Boys ihr Leben riskieren, dann fällt es vielen Amerikanern schwer zu protestieren.