Schweighöfer? Auf meiner Playlist?

Empfehlung Manchmal liegen die Geschmacksberechnungen der Algorithmen kräftig daneben. Unsere Kolumnistin beruhigt das
Ausgabe 47/2018
Weiß vermutlich selber nicht, auf wessen Playlisten er so landet: Matthias Schweighöfer
Weiß vermutlich selber nicht, auf wessen Playlisten er so landet: Matthias Schweighöfer

Foto: M. Kremer/Future Image/Imago

Matthias Schweighöfers gar nicht mal so schöner Gesang ist doch für etwas gut. Er hat mir nämlich bewiesen, dass wir keine Angst haben müssen, dass Algorithmen in den nächsten Tagen die Weltherrschaft an sich reißen. So schlau, wie behauptet, sind sie nämlich nicht.

Als Kundin des Musik-Streaming-Dienstes Spotify nutze ich gerne dessen Angebot „Mix der Woche“. Immer wieder montags stellt ein Algorithmus auf Basis meiner gespeicherten Bands und Hör-Historie eine Playlist zusammen. Wer auf The National steht, mag vielleicht auch Frightened Rabbit, wer Kettcar schätzt, auch Gisbert zu Knyphausen. So zumindest die Theorie.

In der Praxis saß ich unlängst nichts Böses ahnend mit Kopfhörern am Schreibtisch, als plötzlich Matthias Schweighöfers Gesäusel aus der Maschine kam, gefolgt von dem für mich nicht weniger unerträglichen Max „Schmusepop“ Giesinger und einem Rumgerappe, in dem nackte Frauen eine nicht zu unterschätzende Rolle spielten. Erst war ich schockiert, dann irritiert, dann amüsiert. Der ach so schlaue Algorithmus hatte offensichtlich nicht begriffen, dass meine Sympathie für deutschsprachige Indie-Bands weder Farid Bang noch Matze Schweighöfer mit einschließt.

Nicht viel besser macht es Netflix, wobei die Technik im Gegensatz zu Spotify nicht zu weit, sondern zu engmaschig denkt. Egal, wie viel und was ich gucke: Die Serien und Filme, die mir der Streaming-Anbieter für die nächste Abendgestaltung vorschlägt, ändern sich einfach nicht. Nein, weder die Neuauflage des Denver Clans noch die Doland-Trump-Doku möchte ich sehen. Nachdem ich diese Vorschläge monatelang erst ignoriert und dann aus Notwehr mit einem gesenkten Daumen bewertet habe, könnte man das ahnen. Doch Netflix drängt es mir immer wieder auf mit einer Penetranz, die es sonst nur aufwendet, um mich vom erneuten Konsum der Serie zu überzeugen, die ich gerade abgeschlossen habe. All die spannenden neuen Produktionen, von denen ich überall lese, sehe ich hingegen erst gar nicht.

Aber Facebook! Der König des sortierwütigen Algorithmus wird es doch wohl besser machen? Nö. Zumindest nicht in meinem Fall. Bevor ich die Plattform vor einiger Zeit verließ, stapelten sich in meiner Timeline nur noch Nachrichten von Menschen, die ich gar nicht kannte – Freunde von Freunden von Freunden, wie ich bei näherer Recherche erfuhr. Warum das Netzwerk auf die Idee kam, mich dringend über die Mittagessenswahl des Cousins meines Schwagers informieren zu müssen, blieb mysteriös. Babyfotos und Nachmieter-Suchen, die mich interessiert hätten, erreichten mich dafür nicht.

Die Algorithmen werden uns alle töten – oder zumindest in abgeschlossene Nachrichten-Filterblasen bugsieren, in denen Hass gedeiht und die Demokratie stirbt! Solche Warnungen sind angesichts unserer aktuellen Lieblings-Anglizismen „Fake News“ und „Hate Speech“ sicher nicht ganz verkehrt. Darüber sollte man aber nicht vergessen, dass diese erstens gar nicht so schlau sind und zweitens vor dem Rechner immer noch Menschen sitzen, die sagen können: Nein, das gefällt mir nicht. Dafür habe ich zwei gute Serienempfehlungen von meiner besten Freundin, und die Kollegin schwärmte von einer isländischen Band, deren Album auch bei Spotify steht.

Algorithmen können zwar sortieren, aber eben nicht zwangsläufig in der richtigen Reihenfolge.

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