Schweizer Pisten, motorlos

Sportplatz Circuit ist französisch und heißt Rundkurs. Lignières ist der Name eines kleinen Bauerndorfes, unweit der schweizerischen Hauptstadt auf einer ...

Circuit ist französisch und heißt Rundkurs. Lignières ist der Name eines kleinen Bauerndorfes, unweit der schweizerischen Hauptstadt auf einer Hochebene gelegen und in Lignières befindet sich der einzige Motorsport-Rundkurs der Schweiz. Seit ein paar Jahren aber ruht der Wettkampfbetrieb. Nur noch auf Bergstraßen und Geländepisten dröhnen in der Schweiz die Rennmotoren. Ohne die Strecke in Lignières wird wieder dem Buchstaben des Gesetzes nachgelebt, denn Rundstreckenrennen sind in der Schweiz eigentlich gar nicht erlaubt. Der Bundesrat reagierte mit seinem Verbotsentscheid auf den tragischen Unfall vom 12. Juni 1955, als der Franzose Pierre Levegh mit seinem Mercedes 300SLR in Le Mans in die Zuschauertribüne raste und dabei 80 Menschen mit in den Tod riss. Im Fall des "Circuit de Lignières" wurde ein Auge zugedrückt. Auf dem 1,1 Kilometer langen Rundkurs traf sich seit den sechziger Jahren die kleine Rennsportszene der Schweiz, nicht zuletzt in der Hoffnung, die Regierung milde zu stimmen, indem der Beweis erbracht wird, dass Rundstreckenrennen nicht per se gefährlich sind.
Während der Rennveranstaltungen in Lignières lag stets der Hauch des Verbotenen in der Luft und vermischte sich mit den Abgasen zu einer ganz und gar unschweizerischen Mischung. Für die Stimmung förderlich war zudem die geografische Lage an der Grenze zwischen deutsch- und französischsprachiger Schweiz, abseits der Städte und unweit der Landesgrenze. Mit den Vorbildern aus der Welt des Formel 1 im Hinterkopf und entsprechendem Eifer fachsimpelten die Männer - ob Rennfahrer, Techniker oder nur unbeachteter Gast, spielte dabei gar keine Rolle - in der schmierigen Bar am Rande der Rennstrecke. Der Blick auf das Wettkampfgeschehen wurde vom streng riechenden Rauch der blauen Gauloises Zigaretten getrübt. Ab und zu ertönten Lautsprecherdurchsagen aus dem Turm des Wettkampfrichters und wenn man die Augen zukniff, die Ohren aufsperrte, wähnte man sich an einem Grand Prix. Erst der genauere Blick auf die niedlich kleine Piste holte einen nach Lignières, zu den getunten Opel Mantas und VW Golfs zurück.
Der Möchtegern-Formel 1 Zirkus ist nun verschwunden, sozusagen über Nacht. Gefahren wird nicht mehr. Wer sich telefonisch bei der ehemaligen Betreibergesellschaft erkundigen will, erhält eine Verbindung mit einer Bäckerei, der die Telefonnummer neu zugeteilt wurde. Noch liegt die Asphaltpiste da wie einst; der Rest des Geländes gleicht inzwischen einer Baugrube. Mit ein bisschen Glück lässt sich eine Öffnung im Absperrzaun finden und man einem Roller - im Idealfall eine Vespa - auf den Rundkurs zu gelangen und die Rennstimmung von damals aufleben zu lassen. Eine echte Herausforderung bleibt die Haarnadelkurve nach den ersten 500 Metern in der Hälfte des Rundkurses. Wenn man seine Kurven gezogen hat, den Motor abstellt, den Blick in die Ferne schweifen lässt und an der Alpenkette hängen bleibt, ist man doch ganz froh, dass die Stille nicht länger von ohrenbetäubendem Dröhnen zerrissen wird.
Das Schicksal von Lignières ist symptomatisch für die Bemühungen, die Schweiz wieder in den Formel 1 Zirkus zu integrieren. Zwar wurde vor zwanzig Jahren ein "Swiss GP" ausgetragen, aufgrund des Rundstreckenverbots nicht auf Schweizer Boden sondern in der französischen Senfmetropole Dijon. Einen vorläufig letzten Versuch gab es vor einem Jahr im Wallis, dem allerdings die Bevölkerung einen Strich durch die Rechnung machte. Einer baurechtlichen Änderung, die für einen projektierten Formel 1 Rundkurs nötig gewesen wäre, erteilte der Souverän eine Absage. Es bleibt also bei den Nostalgieveranstaltungen in Erinnerung an den Grand Prix von Bern, jener legendären Veranstaltung, die von 1931 bis 1954 ausgetragen wurde. Ein nächstes Mal treffen sich die Motorsport-Veteranen in zwei Jahren, zum 50-jährigen Jubiläum des letzten Grand Prix auf Schweizer Boden. Und in Lignières beginnt sich langsam aber sicher die Natur des Asphalts zu bemächtigen. Eine Nostalgieveranstaltung wird es dort nie geben.

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