Schwer zu kontrollieren

Offline Völlig überraschend schließt „The Intercept“ sein Edward-Snowden-Archiv
Ausgabe 12/2019
Bis heute hält sich Snowden an einem unbekannten Ort in Russland auf
Bis heute hält sich Snowden an einem unbekannten Ort in Russland auf

Foto: Odd Andersen/AFP/Getty Images

Vergangene Woche ließ das Onlineportal The Daily Beast eine Bombe platzen, die bisher nur wenig Nachhall in der Öffentlichkeit gefunden hat: Das 2013 von Ebay-Milliardär Pierre Omidyar gegründete Medienunternehmen First Look Media bestätigte am Mittwoch, dass es sein von dem investigativen Onlineportal The Intercept verwaltetes Edward-Snowden-Archiv schließt, das den kompletten Datenschatz von Snowdens NSA-Enthüllungen enthält. Nur zehn Prozent davon wurden bisher der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Zudem entlässt The Intercept vier seiner Mitarbeiter, das sogenannte „Research Team“, das gewissermaßen das Herzstück der Plattform war. Sie haben das Archiv verwaltet und waren für Recherche und Datenjournalismus zuständig. Was steckt hinter dieser Entscheidung?

In den Medien und auf Twitter findet man dazu bisher nur wenig, deshalb kontaktierte ich die Dokumentarfilmerin und Snowden-Vertraute Laura Poitras. Poitras war 2013 zusammen mit dem Journalisten Glenn Greenwald von Omidyar engagiert worden, um gemeinsam The Intercept zu gründen. Poitras sagt, sie selbst sei von der Entscheidung, das Archiv zu schließen, völlig überrascht worden. Von der Entlassung der Mitarbeiter habe sie erst durch diese selbst erfahren. Und sie erzählt mir ein bemerkenswertes Detail zum zeitlichen Ablauf: Zum Zeitpunkt der Entlassung habe das Schließen des Snowden-Archivs noch gar nicht zur Debatte gestanden. Poitras wörtlich: „Das Recherche-Team kümmerte sich unter anderem um das Sicherheitsprotokoll des Archivs. Offensichtlich handelte es sich also um eine Last-Minute-Entscheidung von Chefredakteurin Betsy Reed und Glenn Greenwald, um die Entlassungen möglich zu machen.“

Snowden wusste nichts davon

Es ist fast nicht zu glauben, dass ein so relevantes und nicht annähernd zu Ende analysiertes historisches Material einfach so, in einer 24-Stunden-Hauruck-Aktion aufgegeben wurde und jede weitere Aufarbeitung und Veröffentlichung endgültig eingestellt wird. Nach der Schließung des Archivs, so Poitras, seien ihre Einwände, die sie in Form eines Memos an den Vorstand und alle Mitarbeiter schickte, ignoriert worden. Erst als es in die Hände von The Daily Beast gelangte, veröffentlichte CEO Michael Bloom folgendes PR-Statement: „The Intercept hat beschlossen, sich auf andere redaktionelle Prioritäten zu konzentrieren“, und: „Wir hoffen, dass Glenn und Laura in der Lage sind, einen neuen Partner zu finden – beispielsweise eine akademische Einrichtung oder Forschungseinrichtung –, der weiterhin im Interesse der Öffentlichkeit Dokumente aus dem Archiv veröffentlichen wird.“

Glenn Greenwald hat ein Statement auf Twitter veröffentlicht, in dem er betont, dass die meisten großen Zeitungen, wie etwa der Spiegel, der Guardian oder die Washington Post, die auch Teile der Snowden-Enthüllungen besaßen, längst aufgehört hätten, darüber zu berichten, und nur noch The Intercept diese Arbeit fünf Jahre lang fortgesetzt habe, worauf er stolz sei. Auf die von Poitras erhobenen Einwände geht er nicht weiter ein. Weitere Nachfragen zu dem Thema ignoriert er. Edward Snowden wurde über die Schließung des Archivs laut Poitras nicht in Kenntnis gesetzt, sie selbst habe ihn dann darüber informiert.

Wenn man nun alles zusammen betrachtet, gewinnt man den Eindruck, als hätte es interne Kämpfe um die Definitionsmacht bei The Intercept gegeben, das Team um die Datenjournalisten war für seine kompromisslosen und durch genaue Daten belegten Investigativgeschichten bekannt, es galt als schwer zu kontrollieren. Möglicherweise wurde es den prominenteren Vertretern wie Glenn Greenwald, Jeremy Scahill und Betsy Reed auf Dauer zu unbequem, und so scheinen sie in Kauf genommen zu haben, eines der wichtigsten Leaks des 21. Jahrhunderts fallen zu lassen.

Fest steht, dass sich wieder die kardinale Frage um Whistleblowing stellt: Ist es überhaupt richtig, so massive wie brisante Enthüllungen einer begrenzten Gruppe von Journalisten, ihrem Urteil und alleinigen Zugriff zu überlassen? Oder ist das Heil in der radikalen Praxis zu finden, die Wikileaks und Julian Assange vertreten: ausnahmslos alle Dokumente unzensiert in die Öffentlichkeit zu schleudern, sodass jeder Einblick bekommt? Eine befriedigende Antwort darauf zu finden, dürfte durch die erratische Schließung des Snowden-Archivs noch erschwert worden sein.

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