Wie soll die Union den Wahlkampf organisieren? CDU und CSU haben unterschiedliche Pläne, es gibt Streit und jeden Tag neue Vereinbarungen. Dieses Gerangel lässt tief blicken. Die CDU muss ein Dilemma bewältigen. Kaum hatte der hessische Ministerpräsident Koch daran mitgewirkt, dass die CDU-Vorsitzende Merkel resignierte und dem CSU-Vorsitzenden Stoiber den Vortritt in der "K-Frage" ließ, da glaubte er schon das CDU-Präsidium vor einem Übergewicht der CSU warnen zu müssen.
Es ist nämlich so: Die CDU hat einerseits Gründe, Stoibers Kandidatur zu unterstützen, denn anders als Frau Merkel ist der bayerische Ministerpräsident im Regieren erfahren und schneidet in Umfragen gut ab. Er am ehesten scheint ihr den Wahlsieg zu versprechen. A
prechen. Andererseits will sie das Flagschiff, ja der Tanker der Union bleiben. Die CSU soll trotz Stoiber über die Bedeutung eines bayerischen Beiboots nicht hinauskommen. Nun könnte man denken, das seien müßige Überlegungen, da auch Stoiber, wie jetzt Schröder, im Fall des Wahlsiegs mit dem Gewicht des Kanzleramts alle Konkurrenten im eigenen Lager erdrücken werde. Aber so verhält es sich nicht, denn die CDU ist weder "Juniorpartner" noch innerparteilicher Flügel, sie würde die mächtigere Koalitionspartei sein. Diese komplexe Konstellation, dass man mit Stoiber erst siegen will und dann seine Kanzlerautorität fürchtet, gegen diese aber auch Abwehrmittel hat, wirft jetzt schon Schatten voraus und führt zum Gerangel um die Wahlkampforganisation.Am Wochenende nach der Kandidatenentscheidung hieß es noch, einen zentral gesteuerten Wahlkampf werde es überhaupt nicht geben. Wie auch sonst in Wahlkämpfen werde die CSU für Bayern, die CDU für die anderen Länder etwas planen. Einer gemeinsamen Wahlkampfkommission würden die Parteivorsitzenden vorstehen, für die praktische Arbeit stünden die beiden Generalsekretäre ein. Außerdem wurde angekündigt, dass Stoiber ein "Kompetenzteam" um sich scharen werde, dem Frau Merkel jedoch so wenig angehören wolle wie später einem Stoiber-Kabinett. Schon am Montag wurden neue Parolen ausgegeben. Der Wahlkampf werde zentral von Berlin aus geführt, betonte Stoiber nun, und Friedrich Merz, der Vorsitzende der Unionsfraktion im Bundestag, sekundierte im Namen der Führungsgremien. Vorher war Roland Kochs Warnung vor dem Übergewicht der CSU öffentlich geworden. Hatte Stoiber zurückgeschlagen, weil er sich zum Untergewicht werden sah? Ein Kanzlerkandidat, der nur in einem Bundesland den Wahlkampf anführen darf, wäre allerdings eine Lachnummer.Die Sache war längst nicht ausdiskutiert. Am Dienstag wurde klargestellt, dass, zentraler Wahlkampf hin oder her, die Wahlkampfzentralen der CSU in München und der CDU in Berlin jedenfalls weiterarbeiten würden. Was Berlin angeht, hatte man sich nun also zwei Wahlbüros für Stoiber nebeneinander vorzustellen, eines vonseiten der solidarischen CDU im Konrad-Adenauer-Haus und daneben das zentrale Büro beider Schwesterparteien. Wo letzteres eingerichtet werden sollte, wurde nicht mitgeteilt, nur so viel: Im Konrad-Adenauer-Haus sei kein Platz. Am Donnerstag wieder eine neue Wendung. Stoiber und Merkel trafen sich erneut und gaben ihre Absicht bekannt, ein "Headquarter" der Schwesterparteien einzurichten. Hier werde die politisch-strategische Linie des Wahlkampfs festgelegt.Das Headquarter war die weitergedachte eine Hälfte der Wahlkampfkommission, in der ursprünglich nur die Parteivorsitzenden selbst und ihre Generalsekretäre zusammentreffen sollten. Jetzt steht den Parteivorsitzenden einige Prominenz zur Seite: Merz und Glos, Seehofer und Rüttgers, Schäuble und Wulff und fallweise auch noch die Ministerpräsidenten der CDU-regierten Länder - kurzum, die Mächtigsten beider Parteien! Von einer Zusammenarbeit der Generalsekretäre war keine Rede mehr. Stattdessen sollte die praktische Arbeit nun von einem sogenannten "Stoiber-Team" aus fünf oder sechs Leuten, einem Stab allein des Kandidaten also, geleistet werden. Für dieses ausgelagerte Team war nun plötzlich doch Platz im Konrad-Adenauer-Haus. Die CDU will es offenbar "einbinden". In diese Richtung deutet auch die Festlegung, dass der Teamleiter jenem Headquarter als "ständiger Gast" zur Verfügung stehen soll: nie stimmberechtigt, immer rechenschaftspflichtig.Man fühlt sich schon fast an die Verhandlung zwischen Breschnew und Dubcek erinnert, den Führern zweier sozialistischer Schwestern, pardon Brüdern, Bruderländern, die sich in einem sowjetrussischen Eisenbahnwaggon trafen, der ein paar Meter in tschechisches Gebiet hineingerollt war, so dass Breschnew das Staatsgebiet der CSSR sowohl betreten als auch nicht betreten hatte. Eine komplexe und irgendwie gerechte Konstruktion, die freilich nichts daran änderte, dass Dubcek ein paar Wochen später von russischen und anderen Panzern, die unangemeldet in Prag erschienen, gestürzt wurde.Der "ständige Gast" sollte Franz Josef Jung heißen, früherer Leiter der hessischen Staatskanzlei unter Roland Koch. Frau Merkel war das jedoch nicht recht, weil Jung in die hessische Spendenaffäre verwickelt war, und so mußte dieser Herr, der sich schon öffentlich gefreut hatte, am folgenden Tag einen Rückzieher machen. Die Spekulationen darüber, wer ihn überhaupt gewollt hatte, gehen auseinander. Der Spiegel behauptet, Stoiber sei es gewesen, doch das ist unwahrscheinlich. Warum soll der Bayer eine Assoziationsbahn zwischen seiner Person und der hessischen Affäre zulassen oder gar fördern? Eher könnte Roland Koch versucht haben, einen Mann seines Vertrauens in die Zentrale zu schmuggeln. Koch bedauerte jedenfalls im Zusammenhang mit Jungs Rücktritt, dass in Berlin keine starke Koordinierungsstelle geplant sei. Und das ist eine erstaunliche Äußerung. Wenn das Headquarter keine Koordinierungsstelle ist, was ist es denn dann? Ein Fechtplatz?Auch jenes "Kompetenzteam", in dem der politische Sachverstand beider Parteien repräsentiert sein soll, kann doch nur koordiniert oder gar nicht arbeiten. Wer wird für Innenpolitik einschließlich Zuwanderung zuständig sein: Bayerns Innenminister Beckstein oder Brandenburgs Innenminister Schönbohm oder beide? Schönbohm sagte dem Spiegel, Stoiber müsse sich zwischen Beckstein und ihm entscheiden. Da sind offenbar politische Differenzen im Spiel. In Brandenburg ist die CDU Koalitionspartnerin der SPD und als solche bereit, einem Zuwanderungsgesetzentwurf der Bundesregierung unter Umständen zuzustimmen. Ob auch Stoiber bereit ist, weiß dieser selbst noch nicht genau. Er braucht einerseits ein zündendes Wahlkampfthema und darf andererseits nicht zündeln, weil er sich als Mann der politischen Mitte darstellen will. Schönbohm jedenfalls traut ihm nicht. Er prügelt ersatzweise Beckstein: "Manchmal täte es auch einem bayerischen Innenminister ganz gut", giftet er öffentlich, "von der feinen Mechanik einer Koalitionsregierung" etwas zu verstehen.Schönbohm prügelt Beckstein und Merkel bringt Stoiber zum Stolpern. Steuersenkung und gleichzeitig mehr Staatsverschuldung hat sie in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung gefordert. Nichts deutet darauf hin, dass es mit Stoiber abgesprochen war. Der musste es dann am Sonntagabend bei Sabine Christianen verteidigen. Stoiber wird vielleicht nicht die Kanzlerschaft erringen, aber es wäre ja auch schon ein Achtungserfolg, wenn er es halbwegs schaffte, sich gegen die "Schwester" zu behaupten.
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