Am äußersten Südzipfel Jordaniens liegt Aqaba, eine kleine, desolate Industriestadt, alltäglich, wenig charmant. Würde sie nicht am Ufer des Roten Meers liegen, hätte ich auf dem Absatz kehrt gemacht und wäre weitergereist. Doch wollte ich, da ich schon mal da war, einmal in diesem Meer schwimmen. Als Unterkunft hatte mir ein Freund das Mövenpick-Resort empfohlen. Die Freundschaft blieb bestehen, denn das Hotel ist wirklich ungewöhnlich und lässt manche Luxusherberge an mediterranen Nobelgestaden neben sich blass aussehen.
Zuerst ist da der rege Frachtschiffverkehr, der direkt vor den Zimmerfenstern stattfindet. Ein faszinierender Anblick. Er weckt die Sehnsucht nach fernen Kontinenten und vermittelt einem das wunderbar beruhigende Gefü
Gefühl, noch am Leben zu sein und am Handel und Wandel der Welt teilzuhaben. Keine Chance für das All-inclusive-Ghetto-Elend, das einen in sogenannten Ferienparadiesen kurz nach Ankunft so leicht in den Würgegriff bekommen kann.Trotz der nahen Industrie ist die Badequalität hervorragend. Der Wind weht permanent von der heißen Wüste hinaus aufs offene Meer und hält so Wasser und Luft rein. Außerdem leidet man kaum unter Schweißausbrüchen, obwohl es häufig weit über dreißig, manchmal sogar über vierzig oder fünfzig Grad heiß wird: wegen des trockenen Windes fühlt man sich immer ausgesprochen wohl.Zweitens bietet das Hotel einen eigenen Zugang zum Strand. Das ist eine Rarität hier, wo das Ufer sonst entweder im Industriegebiet liegt oder zugebaut oder in privater Hand ist. Der Mövenpick-Gast kann als einer der wenigen privilegierten Aqaba-Bewohner morgens vor dem Frühstück im glasklaren Wasser schwimmen, die aufgehende Sonne im Rücken, das Schauspiel ein- und auslaufender Frachter dicht vor Augen.Erfrischt und angeregt davon begebe ich mich - das ist die dritte Sensation - in den großzügigen Garten zum Frühstück. Es ist eine Lust, hier länger zu verweilen - die Sonne hält sich bis elf Uhr dezent hinter dem Gebäude verborgen. Ohne die Augen zusammenkneifen zu müssen, flaniere ich immer wieder am ausladenden Büfett entlang und kann dabei die feinsten Delikatessen entdecken - unter anderem den besten Brot-Butter-Vanilleauflauf, den ich jemals gegessen habe.Anschließend nehme ich den Gratisbus zu den Korallenriffen, die etwa zehn Kilometer außerhalb der Stadt beginnen. Die Landschaft, durch die ich fahre, sieht aus wie versteinerter, in der Hitze geborstener Milchkaffee. Am linken Horizont stehen dunkle Berge, die in der Abendsonne rot leuchten und dem Meer seinen Namen gaben. Rechts tauchen im kahlen Geröll zwei, drei Badeanstalten am Ufer auf, vorbildlich gepflegte Anlagen mit allen Annehmlichkeiten, die man sich nur wünschen kann.Da die Stadt kein klassisches Badedeziel ist, sind nicht viele Touristen unterwegs. Man bleibt ziemlich ungestört beim Schwimmen und Hinunterstaunen in die Tiefe.Ich habe hier zum ersten Mal zwischen bunten Fischen gebadet. Es ist ein großes Vergnügen. Was man sieht, leuchtet farbenprächtig und vielfältig wie eine Voliere voller Kanarienvögel. Ab und zu hört man durch einen fernen Schnorchel einen entzückten oder erschreckten Schrei röhren, sonst herrscht andächtige Stille.Ein Putzerfisch - er sah aus wie ein kleiner Hai, etwa fünfzehn Zentimeter lang, mit abgeflachtem Schädel, um sich von unten an den Bäuchen der Großen festsaugen zu können - verwechselte mich mit einem Wal und wollte mich unbedingt putzen, was mich in größte Verlegenheit brachte und aus dem Wasser trieb. Wer solche Begegnungen jedoch nicht scheut, kann in der faszinierenden Unterwasserwelt die Zeit vergessen und schwimmen, bis er blaugefroren ist, den Sonnenbrand hat oder von einer Welle, die manchmal unverhofft entstehen, auf ein Riff geworfen wird.Jeden Abend ging ich spazieren. Es gibt eine Strandpromenade südlich vom Hotel. Hierher kommen die Einwohner nach Sonnenuntergang baden, die Frauen mitsamt Kopftüchern, Handschuhen, Strümpfen, Sandalen und in langen Gewändern, die Väter mit kleinen Kindern an der Hand. Der Mond scheint, die Luft ist mild, alles verkehrt sanft und leise miteinander, keine plärrende Musik aus Lautsprechern, keine Reklamen. Es gibt provisorisch zusammengeschusterte Strandhüttencafés, wo Wasserpfeifen geraucht werden, ein paar Beduinen haben ihre Pferde dabei, die ganze Atmosphäre ist sehr beschaulich und sehr fremd. Sie hat nichts mit dem kreischenden Sommerurlaubvergnügen in unseren Regionen zu tun. Das gilt für ganz Jordanien: es hat wenig zu tun mit dem Hochglanztourismus aus westlichen Reiseprospekten. Es ist einfach da, auf eine unaufgeregte Art, seit Jahrtausenden, und bringt den verhetzten Gast aus dem Abendland allein dadurch zu sich selbst zurück.