Ab 1. Januar 2000 wird die Regierung Panamas den berühmten Kanal allein verwalten. Der Sonderstatus der Kanalzone, in der zeitweise 35.000 US-Soldaten stationiert waren, ist aufgehoben. Seit seiner Einweihung im Jahr 1914 hat die Passage ihre Bedeutung nicht verloren - für einen Bananenfrachter, der von Ecuador nach Europa unterwegs ist, verkürzt eine Durchfahrt den Transportweg um fast 8.000 Kilometer.
Wie schwimmende Hochhäuser bewegen sich die riesige Schiffe majestätisch über das ruhige Wasser. Bananenbeladene Palmen und großmäulige Krokodile säumen das Ufer. "Was wir hier sehen, ist eine völlig natürliche Umgebung", meint Hidrio Valdia, einer der Lotsen, die bei der Einfahrt in den Panama-Kanal an Bord kommen. "Das Ökosystem muss geschützt werden, damit es ausreichend regnet. Das Wasser ist der Lebenssaft des Kanals, denn mit jeder der durchschnittlich 38 Passagen pro Tag werden 200 Millionen Liter Süßwasser in den Pazifik oder Atlantik befördert."
Eine gestaffeltes Schleusensystem hebt die Schiffe mit seinen ersten fünf Kammern zunächst 26 Meter hoch, um sie dann nach sechs Stunden Fahrt wieder bis zum Niveau des Meeresspiegels abzusenken. Das riesige Ingenieurbauwerk funktioniert derart präzise, dass der Betrieb bislang nur einmal wegen technischer Probleme einen Tag lang unterbrochen werden musste. Auch ein Verdienst der Lotsen selbstredend, die zu den bestbezahlten Staatsangestellten im Entwicklungsland Panama gehören. Hidrio Valdia vergleicht die rund 50.000 Dollar netto, die er jährlich verdient, nicht mit dem niedrigen Einkommen seiner Landsleute, sondern mit dem Wert seiner Arbeit für die Besitzer der Reedereien: "Sie wollen sicher sein, dass ihre Frachter mitsamt Mannschaft und Ladung in besten Händen sind. Dafür bezahlen sie." - Der Preis einer Kanaldurchfahrt ergibt sich aus dem Gewicht des Schiffs und der Ladung natürlich. Den bisher geringsten Preis von 36 Cents zahlte im Jahr 1928 der Schwimmer Richard Halliburton für sein Körpergewicht. Die Eigentümer der größten Handelsschiffe der Kategorie Panamax, die in den 35,5 Meter breiten Schleusen gerade noch 1,5 Meter Abstand zwischen Schiffs- und Schleusenwand halten, müssen für die Durchfahrt rund 100.000 Dollar aufbringen. Diese Kosten rentieren sich, denn die Fahrt durch den Kanal spart auch dem schnellsten Gefährt auf seiner Reise von der Westküste der USA nach Europa rund 25 Tage.
Arbeiter aus 97 Ländern der Welt waren seinerzeit am Bau der gigantischen Ozean-Passage beteiligt - nach Auffassung von Carlos Arellano Lennox, Professor am panamaischen Institut für Kanalforschung, entstand damit das Fundament für das heutige kulturelle Mosaik der panamaischen Gesellschaft: "Anfangs waren es Franzosen, Spanier und Italiener. Später kamen die Nordamerikaner. Sie heuerten viele Asiaten und Araber an, vor allem aber Vertragsarbeiter aus der Karibik. Diese Menschen haben unsere Identität als Panamaer geprägt."
Ende 1977 hatten die Präsidenten James Carter und Omar Torrijos den legendären Vertrag unterzeichnet, der die Übergabe der Kanalzone an die panamaische Regierung einleitete. Ohne die Amtszeit Carters wäre es wohl bis heute nicht zu einem solchen Agree ment gekommen. Sein Nachfolger Ronald Reagan wetterte noch: "Wir haben ihn gebaut. Wir haben für ihn bezahlt. Wir werden ihn behalten." 70 Prozent der Schiffe, die durch den Kanal fahren, kommen aus den USA oder sind auf dem Weg dorthin. Deshalb war der Widerstand gegen die Übergabe dort so groß, dass darüber im Senat die längste Debatte seit der veränderten Gesetzgebung zur Sklaverei entbrannte.
Auch historisch gesehen ist Panama eng mit den USA verbunden. Hätte die US-Regierung 1903 nicht eine kleine nationalistische Unabhängigkeitsbewegung unterstützt, wäre Panama womöglich noch heute eine Provinz Kolumbiens. Im Gegenzug erhielten die USA alle Rechte für den Bau des Kanals. Damals hallte der triumphierende Ausruf des US-Präsidenten Theodore Roosevelt über den gesamten Kontinent: "I took Panama" und wurde durch einen Absatz im Kanalvertrages bestätigt, bei dem es hieß: "Die Republik Panama gestattet den Vereinigten Staaten auf ewige Zeit die Nutzung, Entwicklung und Kontrolle einer je acht Kilometer breiten Landzone beiderseits des noch zu bauenden Kanals." Zudem erhielt Panamas Verfassung einen Zusatzartikel, der es den USA erlaubte, notfalls militärisch zu intervenieren, um die "öffentliche Ordnung und Sicherheit" zu gewährleisten. Ein Freibrief, den Washington in den folgenden Jahrzehnten regelmäßig nutzte - zuletzt im Dezember 1989 beim Sturz des nach Washingtoner Maßstäben aus dem Ruder laufenden Staatschefs Manuel Noriega.
Seit Bau der Kanalzone traf eine solche Politik auf Widerstand in der panamaischen Bevölkerung. Viele sahen in Panama eine Art nordamerikanische Kolonie. Die berühmte Aussage Roosevelts, er habe sich "Panama genommen", empfanden die Panamaer als geschmacklose Erniedrigung. Sie lebten mit dem Stigma, keine unabhängige Nation zu sein.
Die meisten US-Bürger in Panama glauben bis heute, ihre militärisch abgesicherte Präsenz sei zu jeder Zeit legitim gewesen: "Wir waren nie Besatzungsmacht", beteuert der Geschäftsmann Edward Coyle. "Wenn die USA nicht gewesen wären, würde es heute keine Republik Panama geben und in dieser Republik keine wohlhabende Mittelschicht. Den Leuten hier geht es weitaus besser als der Bevölkerung anderer Staaten Zentralamerikas."
Die ökonomischen Vorteile sind nicht von der Hand zu weisen, zieht man allein die Tatsache in Betracht, dass die USA Panamas wichtigster Handelspartner sind. Edward Coyle: "Wenn wir abziehen, dürfte der Lebensstandard spürbar sinken. Nur die reiche Oberschicht wird keine Probleme bekommen und ihre Verbindungen in die USA pflegen ... "
Die Lebensader der Kanalschleusen, der Fluß Charge, wurde im Jahr 1910 zu dem seinerzeit größten künstlichen See der Welt gestaut. Die Blutung des Gatún-Sees dauerte 15 Jahre. Der Anthropologe Stanley Heckadon vom Smithonian-Institut in Panama-City bezeichnet das Gewässer als ein riesiges, archäologisches Unterwassermuseum: "60 Dörfer und die Ansiedlungen der Eisenbahnarbeiter wurden überschwemmt. Unter dem Wasser befindet sich die fortgeschrittenste Technologie, die es seinerzeit im 19. Jahrhundert gab."
Plötzlich bricht ein tropischer Regenguss los. Es scheint, als würde das ganze Wasser des Kanals die Erde überschwemmen. Doch die Kanallotsen kennen die Schleusen und schiffbaren Wege genau. Sie brauchen keine klare Sicht, um mit den schwimmenden Kolossen ihre Zentimeterarbeit zu leisten. Nach neun Stunden und 81,6 Kilometern ist das Ende der Durchfahrt erreicht. Die Lotsen gehen von Bord, der Kapitän übernimmt wieder das Kommando.
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