Tuntenhaus Forellenhof im Schwulen Museum: Antipatriarchale Hausbesetzung
Ausstellung Es war eine schöne, wenn auch kurze Utopie: Schwule Aktivisten besetzten 1990 ein Haus in der Mainzer Straße. Daraufhin wurde brutal geräumt. Das Schwule Museum erinnert nun mit einer Ausstellung an das Tuntenhaus in Ostberlin vor 32 Jahren
Ein Raum, darin ein Esstisch, bedeckt mit den Requisiten eines nie endenden Frühstücks: ein Korb voller Ostschrippen, das halb zerlesene Neue Deutschland, Nutella, überquellende Aschenbecher. Dazu wild zusammengewürfelte Stühle, zum Teil aus VEB-Beständen. Auf einem Beistelltisch ein graues Wählscheibentelefon, an der Wand dahinter die Nummern einer Telefonkette. Die Künstlerin und Szenenbildnerin Bri Schlögel hat diesen Raum in Ermangelung von Fotos allein nach dem Standbild eines Dokumentarfilms rekonstruiert.
„Es hätte einen komischen Schlag Richtung Heimatmuseum kriegen können“, sagt Schlögel, „aber für mich bedeutet es, die Geschichte zu verräumlichen“. Noch bis Ende Oktober ist diese Szene in
ist diese Szene in der Ausstellung Tuntenhaus Forellenhof 1990 im Schwulen Museum in Berlin zu sehen. Wer dieses akribisch reinszenierte Zimmer, das den 28 Besetzern des Tuntenhauses Forellenhof über fünf Monate als Esszimmer diente, betritt, befindet sich auch im Raum zwischen Mauerfall und Wiedervereinigung. In dieser Zeit blühte die Ostberliner Hausbesetzerbewegung, nachdem der Westberliner Häuserkampf ein Jahrzehnt zuvor mit Zuckerbrot und Peitsche „befriedet“ worden war.Trotzig wie militantWie schon zuvor im Westen, so ging es auch in der sterbenden DDR einer linken autonomen Jugend darum, sich in einer zunehmend der kapitalistischen Verwertungslogik unterworfenen Stadtarchitektur Freiräume zu erkämpfen. Diese boten Platz für die konkrete Umsetzung ihrer Utopien, ob nun kommunistisch, anarchistisch, feministisch, tuntig, queer (ein Begriff, der so damals allerdings noch nicht verwendet wurde) oder alles zusammen.Vielleicht lassen sich die Häuserkämpfe der 80er- und 90er-Jahre aus heutiger Sicht sogar als Rückzugsgefechte einer radikalen linken Jugend interpretieren. Hatten die 68er noch selbstbewusst den Umsturz der Verhältnisse proklamiert, so war die Generation X in Sachen Weltrevolution längst desillusioniert.Aufgewachsen zwischen dem Deutschen Herbst und dem Zusammenbruch des real existierenden Sozialismus, geprägt von den No-Future-Parolen des Punk, blieb ihr aber immerhin noch die Kraft, so trotzig wie militant auf einem Raum für ihre Utopien inmitten eines Kapitalismus im Siegesrausch zu bestehen, „dem Beharren auf der Möglichkeit einer anderen Welt“, wie der Queer-Theoretiker José Esteban Muñoz es formuliert hat.Placeholder image-1Die frisch eröffnete Ausstellung Tuntenhaus Forellenhof 1990 erzählt die kurze Geschichte der Besetzung in zehn Kapiteln: Das Tuntenhaus als Teil eines ganzen besetzten Häuserblocks aus insgesamt zwölf Häusern, darin unter anderem eine Volxküche, ein – leider sehr schlecht dokumentiertes – Frauen- und Lesbencafé, ein Spätkauf, der viel zur Akzeptanz durch die Nachbarschaft beitrug, und ein Theater.Angefangen hatte die Geschichte dieses zweiten Berliner Tuntenhauses im Frühjahr 1990. In Kreuzbergs autonomer Szene kursierte eine Liste leerstehender Häuser in Ostberlin, die von der Umweltbibliothek, einem Zentrum der DDR-Opposition, zusammengestellt worden war. Darunter ein ganzer Straßenblock in der Mainzer Straße im Friedrichshain. Schnell entstand im Umfeld der Kreuzberger „Schweineschwulen Schankstube Café Anal“ die Idee, in der Mainzer mit einem eigenen Tuntenhaus vertreten zu sein. Mit viel Geheimniskrämerei wurden im Anal und im SchwuZ die ersten Besetzer rekrutiert. Am Abend des 1. Mai überquerten die ersten Besetzer den Grenzübergang Oberbaumbrücke.Schnell entwickelte sich das Tuntenhaus zur Seele der ganzen Mainzer Straße. Als eines der ersten Häuser war die Nummer 4 im bewohnbaren Zustand. Die Zahl der Besetzer stieg auf rund dreißig. Mit Flyern rekrutierten sie in der DDR-Schwulendisko Busche auch ein paar Ostdeutsche.„Das waren Inge, Nancy, Margot und Birk, die haben das Tuntenhaus schon stark mitgeprägt. Die waren stur und bestanden darauf, sich von uns nicht unterbuttern zu lassen“, erinnert sich Kurator und Mitbesetzer Bastian Krondorfer.Um die „Kiezhomos“ anzulocken, eröffneten die Tunten in der Mainzer Straße 5 die schwule Bar Forelle Blau. Statt linkem Punk und Hardcore liefen dort House-Musik und die ersten Tracks der beginnenden Techno-Ära. Fast jeder Abend in der Forelle Blau endete mit Marlene Dietrich oder Ingrid Cavens Die weißen Vögel – Hommage an die Tatsache, dass die Aidskrise auch am Tuntenhaus nicht vorbei ging. Ein Fakt, der in der Ausstellung bis auf eine recht versteckte Erinnerungswand nicht thematisiert wird.Die später an den Folgen ihrer HIV-Infektion verstorbene Tunte Pepsi Boston gehörte zu den Dauergästen im Haus. Die 1993 verstorbene Melitta Sundström sang auf einem Hoffest am Vorabend des CSD vor 300 Gästen. Aus New York kamen die Hot Peaches, um aufzutreten. Die Filmemacherin Juliet Bashore drehte die Dokumentation The Battle of Tuntenhaus für den britischen Sender Channel 4, (am 9. August im Freiluftkino Friedrichshain in Berlin im Rahmen der Ausstellung zu sehen). Kurator Bastian Krondorfer war es wichtig, einen quellenbasierten Blick auf das Tuntenhaus und seine Geschichte zu bieten, ohne zu viel Interpretation vorzugeben. Neben der überraschenden Vielzahl von Bildern, Tönen und Artefakten, die diese kurze Zeit dann doch hervorgebracht hat, besticht ein Interview Krondorfers mit dem Neonazi-Aussteiger Ingo Hasselbach über die Zeit. In der Lichtenberger Weitlingstraße hatten zur gleichen Zeit Neonazis ein Haus besetzt und von dort die Mainzer Straße mehrfach angegriffen.Über den ganzen Sommer zogen sich Verhandlungen mit dem Ostberliner Magistrat, um die Mainzer Straße zusammen mit den anderen 120 besetzten Häusern Ostberlins zu legalisieren. Die Linie der Besetzenden hieß: Entweder alle oder keine. „Dabei konnten wir zusehen, wie der Osten nach und nach vom Westen übernommen wurde“, erzählt Krondorfer.„Ab dem Spätsommer saßen dann plötzlich die Senatsvertreter aus Westberlin mit am Tisch und spätestens nach der Wiedervereinigung am 3. Oktober gab es kein ernsthaftes Interesse mehr an einer Lösung.“ Das Ende begann kurz vorm Morgengrauen des 14. November. Über Nacht hatten Besetzer*innen und Unterstützende der Mainzer Straße noch die zwei Tage zuvor errichteten Barrikaden aufgestockt. Im Verlaufe des 13. November hatte die Berliner Polizei Verstärkung von 1.200 Beamten aus NRW und 300 aus Bayern erhalten, dazu Wasserwerfer, Hubschrauber, Tränengas und scharfe Munition. Ab sechs Uhr erfolgte der Angriff von über 3.000 Polizisten auf die zwölf besetzten Häuser. Räumpanzer machten sich an die Beseitigung der Barrikaden, Tränengas legte sich als dicker Nebel über den gesamten Häuserblock. Die rund 500 Besetzer*innen und mindestens ebenso viele Verteidiger*innen aus den anderen 120 in Ost-Berlin besetzten Häusern und Sympathisant*innen aus Kreuzberg hielten mit Pflastersteinen und Molotowcocktails dagegen. „Fast alle Tunten sind bis zum Schluss geblieben“, erinnert sich Krondorfer an die Situation vor zweiunddreißig Jahren. Bis zuletzt hatten alle darauf gehofft, dass es noch zu einer Verhandlungslösung mit dem rot-grünen Senat kommen könnte. Eine krasse Fehleinschätzung.Nach rund zwei Stunden Häuserkampf gelang es Spezialkräften des SEK, die Dächer der Mainzer zu besetzen. Sie begannen, sich abzuseilen, und gelangten durch die Fenster in die Häuser.„Im Tuntenhaus gab es eine Bibliothek für DDR-Literatur, dort saßen wir mit der Verhandlungsgruppe, alles in allem vielleicht fünfzig Leute, viele aus dem Tuntenhaus, aber auch Leute aus der Bürgerbewegung, Grüne – und das hat uns vor dem Schlimmsten bewahrt.“ Die Parlamentarier durften gehen, die knapp dreißig Tunten wurden in Wannen verfrachtet, verbrachten einen halben Tag auf der Wache und wurden dann weggeschickt: „Wir hatten mit dem Schlimmsten gerechnet, Anzeigen wegen Landfriedensbruch und § 129a, aber nichts passierte.“Am Ende zitiert die Ausstellung Louise Michel, eine Kämpferin der Pariser Kommune von 1870/71: „Die Kommunarden haben nach den Sternen gegriffen und sind gescheitert.“ Im Original geht Michels Zitat aber weiter: „Ihre Reputation blieb relativ unbefleckt. Das lässt sich nicht von allen sagen, die davon inspiriert wurden. “Die Reputation der Generation Tuntenhaus trotz ihres Scheiterns wiederherzustellen, das haben die Ausstellungsmacher*innen eindrucksvoll geschafft. Für den Kurator Bastian Krondorfer ist das kein Selbstzweck: „Wir müssen unsere Geschichte verstehen lernen“, sagt er, „in Zeiten des Krieges, von Hunger, Armut und Unterdrückung. Gestern, heute und morgen. Jenseits von Wörtern ziehen sich Rhizome durch die Zeiten, Gemunkel, Erzählungen, Vorbilder: Da war doch schon mal was anderes möglich!“Placeholder infobox-1
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