Sebastian Hartmann in Leipzig

Bühne In den letzten Jahren seiner 13-jährigen Leipziger Intendanz hatte Wolfgang Engel deutliche Probleme mit dem Publikumszuspruch. Wenngleich er mit ...

In den letzten Jahren seiner 13-jährigen Leipziger Intendanz hatte Wolfgang Engel deutliche Probleme mit dem Publikumszuspruch. Wenngleich er mit Thomas Bischoff, Konstanze Lauterbach, Armin Petras, Michael Thalheimer und Karin Henkel ein breites Spektrum moderner Inszenierungsformen und Spielweisen anbot, schien manchem das Schauspiel Leipzig zu brav und "stadttheaterhaft". Der auch von Engel gewollte Wechsel fiel radikal aus. Mit dem neuen Intendanten Sebastian Hartmann verbindet die Stadt die Hoffnung, ihr Schauspiel möge endlich in der (Post)Moderne ankommen und ein neues, größeres Publikum anlocken.

Der geborene Leipziger Sebastian Hartmann tritt mit einer deutlichen Absage an das Stadttheater an. Er hat das große Haus in "Centraltheater" umbenannt, das kleine der "Neuen Szene" in "Scala" und hat als Motto "Ende Neu" gewählt. Man will aktuell und politisch reagieren, und der von der Berliner Volksbühne geholte Guillaume Paoli soll als fest angestellter Hausphilosoph das Theater verunsichern. Hartmann versucht, mit auftrumpfendem Werbegestus seine Intendanz als Anfang einer neuen Ära erscheinen zu lassen. Mit reduzierten Eintrittspreisen will er sich ein neues, junges Publikum als einverständige Gemeinde schaffen. Ein Schelm, der da nicht an die Berliner Volksbühne denkt, der Hartmanns bilderseliges und assoziationskräftiges Theater auch ästhetisch ähnelt. So gelingt es zwar, das Publikum auszutauschen - statt der älteren, "bürgerlichen" Zuschauer kommen ausschließlich junge Leute. Doch in einer Repertoire-Vorstellung von Die Schock-Strategie. Hamlet sitzen dann nur etwa 150 Zuschauer. Die allerdings sind begeistert.

In der Inszenierung von Jorinde Dröse trägt Anna Blomeier als Naomi Klein mit aufklärerischem Furor Thesen vor. In denen erscheint Milton Friedman als Theoretiker eines Kapitalismus, der Notsituationen und Katastrophen, die er teilweise selbst schafft, ausnutzt, um die Wirtschaft nach seinen Interessen neu zu ordnen und zu privatisieren. Von den Shakespeare-Figuren wird Naomi Klein zunächst als Geist von Hamlets Vater angesehen, später sucht sie den melancholischen Hamlet zu agitieren, diskutiert mit ihm und Ophelia über den Neoliberalismus. Es gibt viele Videoeinspielungen, aus Filmen oder mit Live-Geschehen von der Hinterbühne, es gibt diskursives Mitmachtheater, und es gibt eine spielerische wie skeptische Auseinandersetzung mit der Wahrnehmung und den politischen Handlungsmöglichkeiten des Publikums sowie mit den Wirkungsmöglichkeiten des Theaters überhaupt. Hartmanns fünfstündige Eröffnungspremiere Matthäuspassion kam als Triptychon in wechselnden modernen Theatermoden-Gewändern daher. Es geht um das Leiden des suchenden Menschen in und an der Welt. In Passagen aus dem Neuen Testament werden verquaste Texte von Klaus Kinski montiert. Jesus will nicht ans Kreuz, sondern kopuliert lieber mit seinem wie er nackten, sexy Schutzengel. In Die Abendmahlsgäste (nach Bergmanns Film) suchen verzweifelte Menschen vergeblich Erklärungen bei einem Pfarrer, der selbst nicht mehr an Gott glaubt und Hilfe verweigert. Nicht psychologisierend wie bei Bergmann wird dies bei Hartmann gespielt, sondern mit expressiv ausgestellten Gesten, mit denen Gefühle und Haltungen bis zur Parodie übertrieben werden. Im anschließenden Stück Brand, das Henrik Ibsen 1866 schrieb, ist der Pfarrer ein strenger Eiferer, der sich im Wahn aufopfert, Gott verlange Härte und Leiden. Der lautstarke Thomas Lawinky tritt in der Titelrolle wie ein Zirkusdirektor an die Rampe und spricht das Publikum direkt an.

Sebastian Hartmann zerschlägt die Texte bis zur Unkenntlichkeit und füllt die Reste mit Castorfiaden so auf, dass nur mehr undeutliche Gefühle statt klarer Situationen übrig bleiben. In Leipzig wurde dieses neue, körpersprachlich bewegte Bildertheater zum Auftakt heftig bejubelt, und der lange Beifall drückte Begeisterung wie Hoffnungen des Publikums aus.

Nur für kurze Zeit!

12 Monate lesen, nur 9 bezahlen

Geschrieben von

Freitag-Abo mit dem neuen Roman von Jakob Augstein Jetzt Ihr handsigniertes Exemplar sichern

Print

Erhalten Sie die Printausgabe zum rabattierten Preis inkl. dem Roman „Die Farbe des Feuers“.

Zur Print-Aktion

Digital

Lesen Sie den digitalen Freitag zum Vorteilspreis und entdecken Sie „Die Farbe des Feuers“.

Zur Digital-Aktion

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden