Der Wein schmeckte nach Alpenmilchschokolade und einer undefinierbaren Schwere. Du fragtest mich, ob ich mal eben deine Seele tragen könnte, du wolltest dir nur kurz die Schuhe zubinden.
Monatelang ging ich an deiner Hand, obwohl du längst losgelassen hattest. Ich trug noch immer deine Seele und du schienst das vergnüglich zu finden. Du wurdest zusehends fröhlicher, ja, sogar liebevoll, besonders zu den Frauen, mit denen du schliefst - natürlich neben mir, denn ganz ohne Seele ging das nicht.
Anfangs litt ich darunter und es tat mir weh, wenn du mit den anderen Frauen zärtlich warst. Irgendwann aber gab es mich nicht mehr, nur noch deine Seele mit meinen Händen, meinen Füßen und meinem Kopf. Jetzt schien ich dir auch wieder zu gefallen, und manchmal schliefst du sogar mit mir.
Ich freute mich und beschloss, auch meine Gedanken an deine Seele zu heften, bis zu dem Moment, an dem ich völlig mit dir verschmolz. An diesem Tag sah ich dich zum ersten Mal mit deinen eigenen Augen und ich staunte, wie gleichgültig du mir auf einmal warst.
Ich gab dir deine Seele zurück, drehte mich um und ging meiner Wege.
Ingrid Weißbach, geboren 1953 in Altenburg (Thüringen), freiberufliche Schriftstellerin und Aquarellmalerin, lebt in Berlin und Lugano.
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