Sehr schwedisch

Linksbündig Die Jury zur Vergabe des Literaturnobelpreises ist weltoffen, international ist sie nicht

Nein, auch diesmal gab es keine Kritik. Die Entscheidung der Schwedischen Akademie der Wissenschaften, den Nobelpreis für Literatur an den südafrikanischen Schriftsteller J. M. Coetzee zu vergeben, wurde einhellig begrüßt. Offenbar haben die weltweiten Einwände gegen die bislang oft eher politisch als literaturkritisch motivierte Preisvergabe der Schwedischen Akademie Wirkung gezeigt: Diesmal stehen auch in der Begründung der Entscheidung literarische Kriterien im Vordergrund, was sich in der deutschen Übersetzung an einigen Stellen allerdings eigenartig anhört, etwa, wenn es heißt, dass Coetzee "in zahlreichen literarischen Verkleidungen die überrumpelnde Teilhabe des Außenseitertums darstellt".

Vielleicht lässt sich an der gut gemeinten, doch leicht daneben liegenden deutschen Übersetzung der schwedischen Pressemitteilung das ganze Problem dieses angesehensten aller Literaturpreise ablesen: Zwar ist das kleine Land im Norden Europas außergewöhnlich weltoffen, aber gerade diese Offenheit scheint die Schwedische Akademie zu verführen, von sich anzunehmen, die ganze Welt literaturkritisch vertreten zu können. Was sich unter anderem darin ausdrückt, dass man die eigenen Fremdsprachenkenntnisse überschätzt und Pressemitteilungen selbst übersetzt.

Dabei ist gerade J. M. Coetzee ein Beispiel für das Gegenteil einer solchen kulturellen Selbstüberschätzung. Seine distanzierte, nüchterne Prosa misstraut allen Behauptungen, den Anderen, den Fremden wirklich begriffen zu haben. Seine Skepsis gegenüber authentischem Erzählen geht sogar so weit, dass er die eigene Vergangenheit in seinen beiden autobiographischen Büchern Der Junge. Eine afrikanische Kindheit und Die jungen Jahre in der dritten Person beschreibt. Und wenn er als Erzähler in eine andere Person schlüpft, so macht er den fiktiven Charakter dieser Erzählerfiguren immer deutlich. Deshalb ist auch der Titel der Süddeutschen Zeitung zur Preisverleihung, "Weißer Mann, schwarze Prosa", nur in einer Hinsicht richtig. Denn Coetzee erzählt ganz bewusst in allen seinen Texten aus der Perspektive des Weißen, des Kolonialherren oder der Kolonialherrin, und wenn seine Prosa schwarz ist, dann nur, weil in seinen Romanen und Erzählungen Versöhnung schwer zu finden ist - etwa jenes einfache Verstehen, sei es auch noch so gut gemeint, das dann so leicht zur abendländische Arroganz gegenüber anderen Kulturen wird.

Ohne Zweifel, die diesjährige Wahl des Schwedischen Akademie der Wissenschaften trifft einen großen Autor, der Rassismus und Gewalt auf subtile Weise beschreibt und - was als politische Wirkung nicht gegen die literarische Qualität seiner Texte spricht - damit der Diskussion über multikulturelles Zusammenleben neue Aspekte zugeführt hat. Aber es ist schon jetzt abzusehen, dass es demnächst wieder Preisträger geben wird, die sehr "schwedisch" sind, solange zumindest, wie sich die altehrwürdige Institution der Akademie nicht zu einer grundlegenden Reform ihrer in der Tat antiquierten Zusammensetzung durchringen kann (so sind zum Beispiel nur sechs von 18 Mitgliedern Frauen). Ein Weltliteraturpreis, als den der Stiftungsgründer Alfred Nobel seinen Preis ja verstanden wissen wollte, muss von einer adäquaten Jury vergeben werden und das heißt hier von einer international besetzten Jury. Die Schwedische Akademie mag Ende des 19. Jahrhunderts, als Nobel sein Testament formulierte, eine gute Wahl gewesen sein, weil es noch keine ausgeprägten internationalen Organisationen gegeben hat. Heute jedoch, in Zeiten der UNO, wäre eine Jury, die zumindest halbwegs die Weltkulturen repräsentierte, zeitgemäß. Damit könnte zwar nicht sichergestellt werden, dass alle mit einer Wahl zufrieden wären. Oder die preisgekrönten Autoren auch noch in hundert Jahren gelesen werden, denn das kann heute niemand sagen. Ebenfalls hätte die Entscheidung der Jury für einen Autor weiterhin, wie bisher, politische Wirkung, ob das beabsichtigt ist oder nicht. Aber die unterschiedlichen Ansichten der verschiedenen Kulturen wären stärker berücksichtigt und die Entscheidung für einen Preisträger ein Stück weit demokratischer. Abgesehen davon, dass es dann vielleicht auch verständlichere Übersetzungen der Presseerklärung gäbe.

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