Es geht auch anders: Was Protestbewegungen von Künstlern lernen können
Plakat: der Freitag, Material: CSA-Images/iStock
Eine vertraute Gestalt der Bundesrepublik ist in die Jahre gekommen. Der Demonstration geht es nicht so gut. Das zeigt sich vor allem: auf Demonstrationen. Es ist ja nicht so, dass es gerade wenige gäbe. Die Berliner Polizei zählt einen deutlichen Anstieg. 2012 fanden 3.498 in der Hauptstadt statt, zwei Jahre später fast 5.000. Das sind 13,58 Demonstrationen am Tag. In Dresden hielten die „Spaziergänge“ der Pegida Medien und Stadt einen Winter lang in Atem. Und Blockupy brachte gerade in Frankfurt Tausende Menschen gegen die Politik der Europäischen Zentralbank auf die Straßen. Der friedliche Protest wurde aber von Bildern brennender Streifenwagen und wüster Straßenschlachten überdeckt.
Genauso vertraut wie die sich ähnelnden Fer
ähnelnden Fernsehbilder gewalttätigen Widerstands sind auch die friedlichen Demo-Rituale. Irgendjemand redet, singt, es gibt vielleicht Bratwurst, vielleicht nur Tofu. Nur, egal ob angezündete Autos oder Bratwurstessen – hinterher herrscht weiter der Neoliberalismus, oder, je nach Perspektive, das Abendland siecht vor sich hin. Auf jeden Fall regiert Angela Merkel immer noch, und die Europäische Zentralbank hilft weiter den Banken, nicht den Menschen.Aber es geht protesttechnisch auch anders: Das Zentrum für Politische Schönheit schraubte vergangenes Jahr zum 25. Jubiläum des Mauerfalls Gedenkkreuze der Mauertoten ab und nahm sie an die EU-Außengrenzen mit. Die Münchner Gruppe Goldgrund renovierte Wohnungen, die die Stadt für ein Investorenprojekt abreißen lassen wollte. Das Kollektiv Peng! verkleidete sich als Jung-Unionler und verteilte Weihnachtspost von Kanzlerin Merkel mit der Erklärung, warum Deportationen christlich seien. Von diesen Aktionen blieb mehr im kollektiven Gedächtnis hängen als von den meisten Kundgebungen.Erfolgreiche politische Proteste verzichten deshalb heute oft auf Massenaufläufe – und haben dennoch breitenwirksame Interventionen im Sinn. Der Soziologe und Protestforscher Dieter Rucht weist darauf hin, dass die klassische Kundgebung, die in den 50er Jahren noch ein Drittel aller Veranstaltungen ausmachte, mittlerweile nur für etwas mehr als ein Zehntel des Protests verantwortlich ist. Den Zahlen nach gibt es also immer mehr Proteste, und sie sind: kreativer, bunter, vielfältiger.Aggressiv mehrdeutigMit den Protestaktionen hat sich aber auch das daran gekoppelte Verständnis von Öffentlichkeit gewandelt. Ein besonderer Impuls geht von einer Mischung aus, die einen weit gestreckten Kunstbegriff mit Ironie und direkten Aktionen kreuzt. Oft sind nur wenige Menschen an den Aktionen beteiligt, sie provozieren aber trotzdem ein großes Echo.Mit dem weit gestreckten Kunstbegriff ist dabei nicht etwa „Tanzen gegen Gewalt“ gemeint. Vielmehr geht es um eine Politisierung der Kunst, zu der vor allem der US-amerikanische Künstler Allan Kaprow beitrug: Kaprow entwickelte das Happening. Er bestand auf einer Durchlässigkeit zwischen Alltag und Kunst und nahm ihr so den bloßen Anschauungscharakter. Den künstlerischen Aufklärungsimpetus ergänzte er mit dem aktiven, koproduzierenden Zuschauer. Als kurz darauf Wiener Aktionismus und die Situationisten das Ganze um den Grad der Provokation verschärften, stellten sie Kunst gegen das, was man damals „repressive Zustände“ nannte.Es entstand Kunst, um die Kunst zu verlassen: Künstler wurden übergriffig, ästhetisch mobil, aggressiv mehrdeutig. Die Situationisten druckten Kopien echter Zeitungen mit eigenen Inhalten, verkehrten etablierte Symbole in ihr absurdes Gegenteil – Techniken, denen sich heute auch die Yes Men bedienen (siehe Interview).Placeholder gallery-1Im schlimmsten Fall – und davon gab es einige – verirrlichterte die Kunst sich aber in banalen Posen, ergötzte sich in Repräsentation: Irgendwer performte nackt mit der Fahne der USA, irgendwer spritzte mit roter Farbe. Im besten Fall entdidaktisierte sich die Kunst. Zunehmend verstanden sich Künstler weniger als vom Genius geküsste Figuren. Die auratischen Ausnahmegestalten räumten viele Bühnen und machte Kollektiven Platz.Einen Einschnitt markierte das Ende des Kalten Kriegs. Das Ziel des Protests veränderte sich. Sprechchöre der großen Gesellschaftsutopie, das Gegenbild des Kapitalismus, der Systemsturz fanden in den Jahren danach weniger Zulauf. Romantiker erinnerten noch an die braven Versammlungen im Bonner Hofgarten, das Idealbild des großen Menschenauflaufs aber verblasste. Wer in den Nullerjahren bei Protesten gegen die Welthandelsgesellschaft WTO dabei war, erinnert sich an viel Verbalmilitanz, mobile Musiktrupps, Zeltstädte und Verfolgungswahn am Lagerfeuer.Hawaiihemd schlägt HoodieDen effektivsten antikapitalistischen Protest organisierten damals südkoreanische Bauern bei einem WTO-Kongress im mexikanischen Cancún. 2003 rissen sie mit traditionell geknüpften Stricken einen Absperrzaun auf – und forderten danach Tausende auf, sich zu einem stillen Ritual niederzusetzen. Etwas verlegen hockte sich auch der schwarze Block hin. Dessen Mitglieder wirkten gegen den kollektiven Protest der mit Hawaiihemden, kurzen Hosen und hochgezogenen Strümpfen ausgerüsteten Südkoreaner wie durchindividualisierte Krawalljugendliche, mit viel Geschrei und keiner gemeinsamen Agenda. In Deutschland gab es zuletzt 2004 politische Demonstrationen, die über 500.000 Leute gegen Sozialkürzungen und Hartz IV auf die Straßen brachten. Heute treffen sich so viele Menschen nur noch beim Christopher Street Day, wenn es mit dem Wetter passt.Im Kontrast dazu hatte Greenpeace aber 1995 bereits die Grundlagen für einen erfolgreichen Protest abseits von Massenveranstaltungen durchgespielt: mit einer symbolischen Aktion, ohne viele Beteiligte, aber riesiger öffentlicher Wirkung. Als die Umweltaktivsten am 30. April 1995 die Brent-Spar-Plattform besetzten, nahm die Weltöffentlichkeit davon zwar erst Notiz, als sich Shell mit Unterstützung der britischen Regierung grobe Fehler leistete. Mit Gewalt und richterlichem Segen ließen sie die Plattform räumen, es entwickelte sich ein Krieg auf hoher See. Und der Widerstand war vor allem: bildmächtig.Der Protest war damit in einer gewissen Kleinräumigkeit angekommen. Es ging nicht mehr um das Besetzen großer Plätze, das Ziel waren direkt die Medien. Überhaupt stellt der Protestforscher Rucht fest, dass heute immer mehr spezifisch Interessierte auf die Straße gehen, alleinerziehende Väter oder Allgäuer Milchbauern. „Das utopische Moment ist ziemlich abwesend“, sagt Rucht. Dagegen gibt es häufiger lokal begrenzte Guerillataktik. Der Vorteil der Guerilla gegenüber einer Armee: Sie muss nicht gewinnen, sie darf nur nicht verlieren. Dafür muss sie dauerhaft und genau arbeiten. Brent Spar ist ein gutes Beispiel: Es ist nicht der Phalanx-Angriff auf ein System, sondern der Nadelstich. Der Erfolg solcher Protestformen hängt aber an einem dünnen Faden: Sie müssen die zersplitterten Teilöffentlichkeiten verbinden und ein größeres Ganzes ansprechen. Oder sich auf regionale Probleme beschränken.Als Shell auf der Nordsee immer grober gegen die Besetzer vorging, halbierten sich in Deutschland zwischenzeitlich die Umsätze an den Tankstellen des Konzerns. Greenpeace zeigte, dass die besten Verbreitungsmedien nicht mehr Transparent und Lautsprecherwagen sind, sondern Zeitung, Fernsehen und Radio. Mit dem Internet und den sozialen Medien muss der Protest nun auch nicht mehr zwingend durch dieses Nadelöhr – der situationistische Traum vom Selbermachen wird greifbar.Dieses Selbermachen hat viele kleine Protestgruppen hervorgebracht, sie bilden unterschiedliche Perspektiven auf die Probleme der Gesellschaft ab. Im Netz werden viele private Interessen auch als politische verhandelt. Sie bleiben aber oft: einzeln. Dieter Rucht hat festgestellt, dass ein erfolgreicher Protest sich dagegen „nicht völlig ins Netz verlagert, sondern Aktionen, die in der realen Welt stattfinden, mit Botschaften und Dokumentationen im Internet verbindet“. Der Ertrag misst sich nicht nur in Zugriffszahlen, gemeinschaftliches Rumstehen und skandierte Solidarität sind auch im 21. Jahrhundert nicht verkehrt. Solange es nicht dabei bleibt, sondern etwas Kreatives hinzutritt. Vor allem braucht es aber mehr denn je: einen langen Atem.Placeholder link-1Placeholder link-2
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