Sigmund Freud veröffentlicht 1917 den Aufsatz Eine Schwierigkeit der Psychoanalyse, in dem er drei fundamentale und narzisstische Kränkungen der Menschheit identifiziert: erstens die kosmologische oder kopernikanische Kränkung, also die Einsicht, dass nicht die Sonne sich um die Erde, sondern die Erde sich um die Sonne dreht und der Mensch folglich nicht im Mittelpunkt des Universums steht. Zweitens die biologische oder darwinistische Kränkung: die Erkenntnis, dass der Mensch vom Affen abstamme; und drittens die psychologische – im Grunde die Freud’sche – Kränkung, die darin besteht, dass beträchtliche Teile der individuellen Persönlichkeit eines Menschen von unbewussten Regungen und libidinösen Trieben bestimmt werden, die nur mittels psychoanalytischer Verfahren an die Oberfläche des Seelenlebens gehoben und somit aufgelöst werden können. Im Januar 2014, kurz nach den Enthüllungen des Whistleblowers Edward Snowden, spricht Sascha Lobo von der vierten, der digitalen Kränkung der Menschheit. Diese bestünde, so Lobo, darin, dass das Internet nicht nur als Instrument der Freiheit, der Demokratisierung und der freien Zugänglichkeit zu Bildung und Kultur genutzt werde, als das es zunächst konzipiert war, sondern auch dazu, nicht nur einzelne Personen oder Personengruppen, sondern ganze Staaten zu überwachen. Diese digitale Kränkung der Menschheit mag sich auch daraus erklären, dass es das Internet gar nicht gibt, sondern dass das, was unter dem Begriff des Internets subsummiert wird, lediglich eine Vielzahl verschiedener Nutzungspraktiken und Anwendungsmöglichkeiten darstellt, die diesem oder jenem Zweck dienlich sein können.
Um eben jene Nutzungspraktiken und Anwendungsmöglichkeiten drehen sich auch die Zehn Lehren aus der Gegenwart, die Lobo in seinem Buch Realitätsschock versammelt und die im Grunde eher den Charakter von Beobachtungen gegenwärtiger Phänomene haben. Unter einem Realitätsschock versteht Lobo die Erkenntnis, dass die Welt anders beschaffen ist, anderen Regeln folgt, als bisher angenommen. Realitätsschocks sind „Kippelemente im Wahrnehmungssystem der Öffentlichkeit“. Ein Beispiel: Der Realitätsschock der sozialen Medien besteht im Erkennen der eigenen Hilflosigkeit „angesichts des allzu dünnen Firnisses der Zivilisation“, der in ihnen sichtbar wird.
Wahrscheinlich ist es echt so
In zehn Kapiteln widmet sich Lobo unter anderem Themen wie Umweltschutz, Migration, Gesundheit oder künstlicher Intelligenz. Während der Lektüre wird deutlich, dass all diese Themen vor allem eines sind: komplex. Diese Komplexität ist in Lobos Buch doppelt gewendet, denn einerseits entwirft er mannigfaltige Perspektiven auf jene Diskurse, die in den (sozialen) Medien breit, aber häufig unterkomplex geführt werden; andererseits schafft er ein ganz grundsätzliches Bewusstsein dafür, dass es für die aus diesen Diskursen entstehenden Gemengelagen keine einfachen Lösungen gibt.
Die Grundbedingungen aber für die soziokulturellen und ökonomischen Disruptionen, die dann als Realitätsschocks wahrgenommen werden, sind in der Digitalisierung und der Globalisierung der Gesellschaft zu finden. Dabei nehmen die sozialen Medien eine Sonderrolle ein, denn auf die eine oder andere Art und Weise sind sie an den meisten dieser Schockmomente beteiligt. Facebook,Twitter und Instagram fungieren als Skalierungs- und Sichtbarmachungsmaschinerien.
Hatespeech und Mobbing sind aber keine Erfindungen der sozialen Medien, sondern Mechanismen, die auch abseits einer digital vernetzten Welt stattfinden. Die fünfte narzisstische Kränkung der Menschheit könnte in der Erkenntnis des tatsächlichen Zustandes gesellschaftlicher Verhältnisse bestehen. Denn in den sozialen Medien könnte auch nur all das sichtbar werden, was in der wirklichen Wirklichkeit nicht etwa wieder aufgetaucht ist, sondern dort nie verschwunden war. Das, was für den Rest der Gesellschaft nur unsichtbar war: Ressentiment und Ignoranz.
Info
Realitätsschock. Zehn Lehren aus der Gegenwart Sascha Lobo Kiepenheuer & Witsch 2019, 400 S., 22 €
Kommentare 31
Ein sehr gutes Buch von dem Herrn Lobo, welches ich gerade erst begonnen habe zu lesen - ein Kapitel liegt hinter mir.Realitätsschocks gab und gibt es einige. Wir erinnern uns an den Klassiker "Das Ende der Geschichte" aus den 1990ern. Dies konnte man nur vermuten/behaupten, wenn "die Welt" eben nur aus den USA und Europa besteht. Der Realitätsschock besteht dann darin, dass es eben auch Afrika, Südamerika und Asien gibt und dort noch viel "Geschichte" geschrieben wird.Realitätsschocks durchleben seit Jahren die etablierten Parteien, anderswo schon stärker als noch in Deutschland. Die französischen Altparteien sind kaum noch existent, Trump in den USA, Ungarn, Polen und Co. - in der Realität wurden zu viele konservative, erzkonservative, sogenannte "einfache Menschen" und andere mehr "vergessen". Man darf moderne, fortschrittliche und liberale Ansichten haben (die habe ich), aber man muss in einer Gesellschaft die Menschen immer mitnehmen - zumindest dauerhaft und immerzu es versuchen. Zu oft wurde dies nicht gemacht - stattdessen wurde diese Gruppe als rückschrittlich belächelt und nicht ernst genommen.Kann man alles gut oder schlecht finden - ändert aber nichts an der Realität.Die Globalisierung ist ein entscheidender Meilenstein der Menschheit, neutral gesprochen. Die Waren-Globalisierung findet seit weit über 100 Jahren statt.Die Globalisierung in Form der Beweglichkeit breiter Mengen der Menschen, "Migration", ist erst wenige Jahrzehnte alt. Da Freud im Ausgangsartikel zitiert wurde, schliesse ich auch massenpsychologisch: wir alle haben auch Angst vor dem Neuen, dem Unbekannten. Veränderungen muss man verarbeiten und annehmen. Ein Prozess. Den kann man abfällig hinterwäldlerisch betrachten und die "betroffenen" Menschen belächeln...Oder man kann diese Prozesse begleiten und Ängste nehmen. Wenn dies nicht ausreichend passiert, haben die anderen, radikaleren Parteien leichtes Spiel...
As short as possible. Ganze Bücher können diese Themen füllen.
Daß dieser Beitrag nicht heftiger diskutiert wird, wundert mich etwas, denn er thematisiert ein zwar unterschwelliges, aber anhaltendes Unbehagen.
Besser als von narzistischen Kränkungen wäre es, von fundamentalen Enttäuschungen zu reden. Denn Enttäuschungen sind nicht nur negativ, sondern haben Doppelcharakter, sind auch Erkenntnisgewinn. Und es ist einseitig, die Kultur- und Zivilisationsgeschichte nur als Frustrationsgeschichte zu sehen, sie ist auch eine des (Gestaltungs-)Machtzuwachses. Es gibt das Narrativ der Kränkung und das der Hybris.
Zu den fundamentalen drei Freudschen Enttäuschungen würde ich hauptsächlich 4. die der Grenzen der Wissenschaft(lichkeit), einen prinzipiellen Relativismus/die Perspektivgebundenheit des Denkens, und 5. die der Begrenztheit der Handlungssouveränität zählen, da die nichtintendierten Handlungsfolgen die intendierten überwiegen und nicht kontrolliert werden können. Man könnte hinzunehmen, daß die Bereitstellung von Technik eher der Gängelung als der Befreiung der Menschen gedient (Dialektik der Aufklärung) und die demokratische Befreiung des Einzelnen mehr zum allgemeinen Streit als zum allgemeinen Frieden geführt hat (siehe Internet). Eine falsche neuzeitliche Kränkung wurde der künstlichen Intelligenz zugeschrieben, die der menschlichen überlegen wäre. Lobos digitale Kränkung ist die Überschneidung mehrerer der oben genannten.
Alle diese Kränkungen bzw Enttäuschungen lassen sich der wachsenden Einsicht in die Subjekt-Objekt-Dialektik der menschlichen Seinsweise subsumieren.
Das hohe Haßlevel heutzutage sehe ich in mangelnder Selbstkontrolle und einer Befreiung der Gefühlsexpression begründet, also als einen dialektischen, dh widersprüchlichen „Fortschritt“, das gehört zum Individualismus unserer Zeit, hat neben seinem offensichtlich problematischen Effekt auch den positiven, daß eine Integration und Gleichschaltung (zB für eine faschistische Engführung der Gesellschaft) schwieriger wird.
Genau das, die Unwilligkeit, Kritik zu ertragen, mit dem Bedürfnis, den eigenen Standpunkt zu behaupten, also abweichende Positionen zu kritisieren, führt zu emotionaler Konfrontation/Militarisierung, zur Erhöhung des Haßlevels. Das geschieht auch in Gegenrichtung, auch positive Emotionen werden aufgebauscht. Man sehe sich nur die Haltungen zu Greta an, wie dieses unscheinbare Mädchen zum Haßobjekt und zur Superheldin werden konnte. Die Fähigkeit zu nüchternen Urteilen geht verloren.
Und ich verweise auf den Nachbarthread (Offener Brief...), R/Ukr, die 50., ich kommentiere das nicht mehr, denn keine Seite ist bereit, wenigstens virtuell einmal die Sicht des Gegners einzunehmen. Unter solcher Voraussetzung gibt es keine Entspannung, keine Perspektive zum Lösen eines Konfliks. Von der Kompromißbereitschaft Putins bin ich überzeugt, von der Selenskis nicht, aber da kann ich mich irren – hoffentlich.
"(...) hinsichtlich Greta Thunberg habe ich jedenfalls keinerlei Hassbekundungen bemerkt. Ich habe jede Menge sachliche Kritik über sie gelesen, die von ihrer Unterstützerseite pauschal zu Hass umgedeutet wurde."
Diese "sachliche Kritik" geht einfach von Vorannahmen aus (was den Klimawandel betrifft), die dann auf die Person Greta übertragen wurden und auch so nebenbei noch ihre Psyche "zerlegt" haben. Das ist sicher keine "Hassbekundung", aber ein subtiles Mittel, um eine Person unglaubwürdig zu machen.
Bei dem Ansatz fallen mir im Deutschen Bundestag doch gleich ganz andere KandidatenInnen ein, auf die man mit dieser Methode "sezieren" könnte. Also über die Verhältnismäßigkeit von Kritik nachdenken und vor allem, mit welcher Absicht das betrieben wird.
@ Lethe, @ pleifel
Ja, gut, Haß war etwas übertrieben, man fällt dann selbst in den Modus der Übertreibung. Das aber genau meinte ich, das Aufbauschen negativer oder positiver Gefühle. Verächtlichmachung ist nicht viel besser als Haß.
Die Emotionen Haß und Liebe sind genuin, sind lebensnotwendig. Die eine zum Selbstschutz, die andere zur Sozialbindung. Ein Leben ohne (Steuerung durch) Gefühle ist nicht vorstellbar. Unsere Gefühlsorganisation ist angepaßt und mäßig flexibel. Ich sprach hier von der der bürgerlichen Lebensweise angepaßten, geförderten Gefühlswelt. Die muß man nicht optimal finden. Wo früher viele Gefühle stark unterdrückt waren und damit Individuen krank gemacht wurden, werden heute Gefühle als Authentizitätsbeweis genommen und sind das stärkste Kaufargument, und sie sind nicht nur ein notwendiges Korrektiv der Rationalität, sondern behindern in ihrem Übermaß die Vernunft.
Solange Skeptizismus nicht zum Selbstzweck wird, habe ich keine Einwände gegen ihn. Du weißt, daß ich mich einen skeptischen Optimisten nennen würde und mich von Dir nur durch die Gewichtung des Zweifels unterscheide, ich würde niemals das Motiv des starken Zweifels abqualifizieren, solange es nicht total wird, also keinen Zweifel am Zweifel erlaubt. Du darfst das Glas halb/dreiviertel leer nennen, wo ich es halb/dreiviertel voll nenne.
Ich habe Sympathie für die neue Jugendbewegung, weil ich ihr sowie der großen Mehrheit der Wissenschaftler, die einen dramatischen Klimawandel erwarten, mehrheitlich lautere Motive unterstelle (hier werden zu leichtfertig böswillige Manipulation und schäbige Eigeninteressen unterstellt, das ist die von mir kritisierte emotionale Entwertung, und das gilt gleichermaßen für die andere Seite), und weil ich keine überzeugenden Gründe sehe, mich ohne eigene genauere Kenntnis gegen solche Mehrheitsmeinung zu stellen. Aber selbstverständlich kann das falsch sein.
Übrigens habe ich hier schon den grundsätzlichen Vorbehalt gegen die Kampagne geäußert, daß bei allen berechtigten Appellen von sehr vielen übersehen wird, daß aus strukturellen Gründen die soziale Problematik (die soziale Frage) der ökologischen vorgeordnet ist.
Das haben Sie im ersten Absatz gut beschrieben. Dann allerdings verläßt Sie die Logik. Wer gibt den Gefühlen die Berechtigung oder wer bestreitet diese? Gefühle sind ein natürlicher Fakt, aber wie die Muskeln variabel, man kann sie trainieren und verkümmern lassen. Wir bilden unsere Kognition, bleiben nicht bei unserer natürlich angeborenen Intelligenz stehen, warum sollten wir das bei den Emotionen nicht ebenso halten, wenn wir können? Wir sind Kulturwesen, warum sollten wir unser emotionales Steuersystem davon ausnehmen? Weil das Selbstoptimierung bedeutet, wie das schlimme Wort lautet? Selbstoptimierung gehört zu unserer menschlichen Natur, nur muß sie autonom sein, darf keine Zurichtung nach fremden Zwecken sein, sie ist Selbstzweck. Selbstverständlich greifen wir in die natürlichen Gegebenheiten gemäß unserer Möglichkeiten ein, damit sie für uns besser funktionieren (was immer wir unter besser verstehen). Und diese Eingriffe müssen verantwortlich durchgeführt werden, sie sollten nicht den gegebenen Funktionsbedingungen des gesamten Biosystems zuwiderlaufen. Das sind die Grenzen, die wir unserem Handeln auferlegen müssen.
Soweit stimme ich zu.
Fairness in der Natur, wie darf ich das verstehen? Daß sich genügend Schafe den Wölfen als Nahrungsquelle zur Verfügung stellen, und das Gras beim Wachsen an die hungrigen Schafe denkt? Daß der Wolf beim Schafereißen nicht stoppt, weil er satt ist, sondern sich sagt, mehr ist unfair?
Sie mißinterpretieren die Menschenrechte, die sind kein Anspruch an die Natur, sondern einer an die Sozialordnung. Auch der Begriff Tierrechte ist strenggenommen Unsinn, da Tiere allenfalls marginal Subjekte sind. Ich sagte ja, Fairness zwischen Objekten ist ein Kategorienfehler. Andrerseits ist es großartig, ein Spezifikum des Humanismus, daß sich der Mensch denkend in einen universaleren, übermenschlichen, die menschliche Perspektive übersteigenden Zustand begeben kann, daß er sich mit den Mitlebewesen identifizieren kann, sich als Organismus in ihnen wiedererkennt. Es gibt Ansätze solcher Solidarität des Lebendigen, man braucht sich nur vorstellen, wir Menschen wären die einzigen Lebewesen, diese kosmische Kälte ist kaum zu ertragen. Also wollen und werden wir die Tiere als Quasisubjekte behandeln und sie, soweit sie nicht unseren Nutzenbedürfnissen unterworfen sind, um ihrer selbst willen schützen. Nur den Begriff Tierrechte (oder in der Natur den Begriff Gerechtigkeit) halte ich für unangemessen. Oder dementsprechend den der Fairness. Und das Tote ist uns nun wirklich egal.
Schade, daß Sie nicht verstehen, was Recht ist. Kultur ist Ordnung, menschliche Formgebung. Recht ist die Formgebung des Sozialen, und die macht nur allgemein Sinn, wenn sie einer Idee der Gerechtigkeit folgt. Und so ist der Zivilisationsprozeß unter anderem notwendig mit der Entwicklung der Idee der Gerechtigkeit verbunden, und fast alle Menschen auf der Welt verstehen das. Daher kann man ua von einem Zivilisationsprozeß reden, dem Bewußtsein von der ethischen Strukturiertheit der Menschenwelt.
Das kann man kernchristlich nennen, ist aber vielmehr kernreligiös, ich zumindest kenne keine Religion, die nicht ein solches Programm hat. Und noch richtiger ist es nur religiös in dem Sinne, daß es wie jeder Sinn, jede Sinngebung die unmittelbare materielle Wirklichkeit transzendiert, ist also so religiös wie etwa die Mathematik. Wenn Sie mir das vorhalten, sind Sie gnadenloser Positivist, eine Position, die mein intellektuelles Fassungsvermögen übersteigt. Denn ich begreife nicht, wie man konsistent in einer mit Sinn (und das heißt natürlich auch mit Unsinn) vollgestopften Welt mit jeder Kommunikation den Sinn bedienend, mit jeder Überlegung nicht nur die Sinne, sondern Sinn nutzend jeglichen Sinn (was wegen des Unsinns auch Sinndekonstruktion nötig macht) bestreiten kann.
Aus Ihrer Position mag sich der sinnsuchende und sinnbildende Mensch an dem Erlösungswunsch überheben, ich sehe jedoch nur den seiner Natur entsprechend (und darin allen Lebewesen gleichend) sich behaglich einzurichten versuchenden Menschen, der in der Begrenztheit seiner intellektuellen und emotionalen Fähigkeiten seine Ziele oft nicht nur nicht erreicht, sondern sogar konterkariert.
In Ihrer Position, wenn ich sie richtig verstehe, gibt es kein Subjekt oder nur das Subjekt als ein die kontingente Realität verfehlendes. Ich kann und will Sie nicht daran hindern, so zu denken, aber den Vorwurf, das Denken, das ich hier vertrete, würde sich in selbstbeweihräuchernder Hybris des Subjektiven über die Wirklichkeit erheben, weise ich als absurd zurück. Das ist nur Ihr Feindbild.
Dann lesen Sie mal einige Geschichten von Borges, dann geht Ihnen vielleicht ein Licht auf.
Manche Ereignisse treten ein, andere nicht. Manche können wir verursachen, andere nicht.
Die Kommunikation über die virtuellen Wege ist verursacht und kann auch gewollt sein.
Das Denken über das objektivierbare hinaus ist eine menschliche Fähigkeit, die ihre Grenzen ausdehnen, um zu weiteren Abstraktionen fähig zu sein.
Hinter allem steckt ein Impuls (Vorbewusstsein, nicht Unterbewusstsein!), dass diese Bewegung in Gang hält, abgesehen von der bloßen Tatsache der Notwendigkeit des physischen Überlebens.
"Kontingenz", der Lieblingsbegriff einiger Foristen, halte ich für überbewertet, eine bloße Hilfskonstruktion zur Ordnung des Weltgeschehens.
Mensch setzt sich sowohl seine eigene Agenda, wie auch die Formung (Verständnis) von Moral und Gerechtigkeit. Ausgehend von der gemeinsamen Urerfahrung, das das eigene Leben zu schützen notwendig ist, betrifft das auch den anderen, insoweit bedarf es von dieser übereinstimmenden Notwendigkeit natürlicher Ordnung heraus keiner ausserweltlichen Ableitungen, außer als autoritäre Verstärker angemasster Herrschschaftsansprüche.
Das Ausblenden des Subjekts, als Wissendes von sich selbst, ist eine kuriose Arbeitshypothese, die, falls als gesetzt genommen wird, diese "Gläubigen" aus dem "Verkehr" zieht, abgesehen von dem Selbstwiderspruch, der bei dieser Annahme auftritt.
Ansonsten hast Du viel Geduld, die ich mir von Fall zu Fall nicht mehr nehmen werde (auch wegen der sich wiederholenden Inhalte).
Aber es ist ja auch ein "Entwicklungsprozess", insoweit kann sich auch dabei etwas Neues ergeben.
Ich hoffe, das ähnlich verständlich gesagt zu haben.
Was man nicht versteht, darüber sollte man nicht reden. Dazu müßte man aber wissen, wo man was nicht versteht.
Natürlich ordne ich Sie so ein, wie ich Sie verstehe, das konstatiere ich und da bin ich ganz ehrlich. Wenn Sie mir sagen, daß ich Sie nicht verstehe, muß ich das akzeptieren, das müssen Sie besser wissen als ich. Schön für Sie, wenn die Community Sie versteht (das kann ich nicht beurteilen, da zu wenig Wortmeldungen), und es wäre schön für mich, wenn Sie oder jemand anderes mir auf die Sprünge helfen könnte. Aber niemand muß sich diese Mühe machen, wir alle können doch gut mit partiellen Sprachlosigkeiten leben. Nur sollten Sie auf den Beleidigten und die Vorhaltungen verzichten, entweder Sie geben die Diskussion mit mir auf oder Sie versuchen, sich mir verständlich zu machen, wenn Sie darauf verzichten, werde ich Ihnen das nicht verübeln. Keine Sorge, daß ich Sie nicht verstehe, wenn ich Sie nicht verstehe, ist mir kein bißchen unerträglich schmerzhaft. Um auf das Beitragsthema zurückzukommen, ich bin nicht gekränkt durch die oft fehlschlagende Kommunikation.
Hier muß ich an die Dialektik des Erkennens erinnern, an die Kuhnsche Vorstellung des Erkenntnisfortschritts. Einerseits kommt er als quantitative Akkumulation von Wissen daher, andrerseits sind unsere Denkkapazitäten beschränkt, mit dem Anhäufen von Wissen wären wir schnell am Ende, wenn wir nicht durch Abstraktionen die Komplexität reduzieren könnten. Das leisten die Paradigmenwechsel. Es ist verkehrt, sich immer weiter in Einzelheiten zu zerstreuen, das axiomatische Denken versucht das Wissen auf Kernsätze zu reduzieren, die konsistent, nichtredundant und möglichst vollständig sind. Das verweist aber auf die enorme Notwendigkeit theoretischer Arbeit.
Für mich schon, für andere nicht. Dann fallen Entscheidungen halt ggf. über Mehrheiten, was als zugrundeliegende Prämisse zumindest noch gilt.
"Die fünfte narzisstische Kränkung der Menschheit könnte in der Erkenntnis des tatsächlichen Zustandes gesellschaftlicher Verhältnisse bestehen."
Ja eben. Mit dem Internet wird eine Problematik offenbar: Wenn plötzlich alle und zu allem Möglichen mitreden dürfen.
"(...) glauben mitreden zu" können. Ehemals war es meistens kneiplich begrenzt.
Ja - präziser hätte ich formulieren sollen: Wenn plötzlich alle und zu allem Möglichen mitreden können.
Ohne das Netz war zwar de jure auch die Möglichkeit da - jedoch, verglichen mit heute, mit einigen Schwierigkeiten. Papierne Briefe schreiben, Demonstrationen organisieren, Vereine organisieren, in Politveranstaltungen dazwischen brüllen ... Heute ist das alles ganz einfach, fast ohne Widerstände möglich. Das Netz ist Möglichkeitsraum und Verstärker.
So in etwa sage ich es ja auch. Allerdings: Die Formungsgewalt von Medien ist nicht zu unterschätzen. Es ist eine Einbildung, dass wir Technik vollkommen beherrschen. Jedes Werkzeug beherrscht auch uns zu einem Gutteil. So entstehen Kulturtechniken. Niemals ist bzw. war jemals abzusehen, wohin eine neue Technik tatsächlich führt.
Noch ein Wort zur Komplexität, zur „neuen Unübersichtlichkeit“, zur Enttäuschung (nicht Kränkung) des Naivitätsverlusts.
Wissen kann verlorengehen, aber im Wesentlichen ist es akkumulativ. Unser Denken wird immer komplexer. Das schließt Formen des Wissens unserer Unwissenheit ein. Auch das jedoch ist ein Komplexitätsgewinn, also kein Grund, darüber zu jammern, daß uns die Welt entgleitet. Naturzusammenhänge werden immer besser erkannt, Naturgesetzlichkeiten vermehren sich ja nicht, in dieser Hinsicht wird die Welt für uns nicht komplexer, „Unübersichtlichkeit“ ist nur die Enttäuschung des o.g. Naivitätsverlusts, der selbstverständlichen Unbedarftheit.
Das ist anders bei der selbstgeschaffenen, menschengemachten Ordnung/Unordnung, wo es berechtigt ist, von selbstverschuldeter Unmündigkeit zu reden. Aber da bleibt die Einsicht, daß alles Selbstgemachte auch geändert werden kann. Das selbstverschuldete Chaos ist kein Naturgesetz.
In jeder Epoche werden die passenden Institutionen ausgebildet, mehr oder weniger gut passend. Die Massengesellschaft hat ihre Massenmedien. Der bürgerliche Individualismus realisiert sich im Waren- und Meinungsmarkt. Das symptomatisch zu kritisieren ist zwecklos. Erst in einer Solidargesellschaft, wenn sie denn zustandegebracht wird, wird auch das Meinungschaos wieder durch Bindung an objektive und subjektive Wahrheiten auf ein kommunizierbares Maß konzentriert werden können. Dies wäre die der materiellen Revolution der kapitalistischen Produktionsweise korrespondierende geistige Revolution.
Ob unser "Denken immer komplexer wird", halte ich für fraglich. Ein sich vergrößernder Wissensberg lässt jedenfalls keinen zwingenden Schluss zu, eher das Gegenteil, nämlich das Ausblenden (Vereinfachung, rechte Tendenzen usw.
Da unsere Sinne auf das Überleben ausgerichtet (gebildet) wurden, dürfte auch der Erkenntnisapparat auf das Naheliegende aufgebaut sein und nicht auf die Durchdringung der Welt im Ganzen.
Unser jeweiliger technischer Entwicklungsstand erzeugt immer über das Unmittelbare hinaus bekannte und unbekannte (später erkannte) schädliche Nebenwirkungen, die aufgrund der menschlichen Größenordnung mit Wirkung auf die Natur wohl nicht tragbar sind, jedenfalls auf dem bisher eingeschlagenen Weg, der sich die Kreislaufvariante (Bionik) der Natur nicht zum zwingenden Prinzip macht.
Und aufgrund dieser Größenordnungen der Eingriffe schränken diese die nachfolgenden Generationen ein, also ein weniger an Lebensmöglichkeiten bei einem vielleicht noch vorrübergehenden Mehr an Wohlstand. Erkennbar auch an den bereits vorhandenen Zuständen auf der Welt. Die Klimakrise wird aber alle treffen, wenn auch wieder in unterschiedlichem Ausmaß.
Geschichte ist im Wesentlichen eine Halbordnung. Kein Grund zur Euphorie, aber ebenso wenig zu einem prinzipiellen Relativismus.
Geschichte ist eine bloße Rekonstruktion (Deutung) des Geschehenen. Und wie schwierig das ist, lässt sich bereits aus den Differenzen über die Zustandsbeschreibung der "Gegenwart" erkennen. Einer Gegenwart, die mehr oder weniger immer Vergangenheit ist und zudem eine fast immer indirekte Wahrnehmung beinhaltet.
Beide von Dir genannten Faktoren sind denkbar, aber nicht zwingend. Allerdings zeugt die offensichtliche Unvernunft der ausgrenzenden, militaristischen, naturzerstörenden Aktivitäten von einem so zumindest nicht langfristigen Überleben, jedenfalls keinem, dem ich noch einen positiven Gehalt von Zivilisation beilegen würde.
Das kann man so sehen und das würde meine Annahme widerlegen, dann wäre Geschichte zirkulär oder singulär. Aber noch mußt Du zugeben, daß die Menschen sich zwar in vieler Hinsicht selbst geschadet haben, aber trotz Atombombe fast unerträglich mehr (und fetter, sedierter, weniger hysterisch?) geworden sind. Selbst Trump und Kim scheinen zu wissen, wo die Grenzen sind, und sie wollen vor allem Geschäfte machen. Nun weiß ich natürlich, daß das Geschäftemachen selbst dabei ist, zu unserem größten Problem zu werden. Aber von der Gefahr auf das Eintreten der Gefahr zu schließen, ist, da sind wir uns doch einig, unzulässig. Und die bisherige Erfahrung spricht dagegen. Du kennst sicher auch den Aphorismus mit dem wachsenden Rettenden, der ist hübsch, aber, das nun gebe ich zu, doch eher ein Pfeifen im Wald.
Du hattest auch den Link zum Beitrag von Stephan Lessenich gelesen, in dem er den "passiven" Zustand der Gesellschaft beschrieben hatte, um es mit meinen Worten auszudrücken.
Eine Demokratie, die aber als eine noch nicht erreichte Zustandsform notwendig wäre (so wie ich mir das denke), erfordert aber Bürger, die auf Dauer diesen Zustand verlassen (können).
Vielleicht bietet die Klimakrise aber genau diese Chance, um etwas in Bewegung zu bringen. Bisher jedenfalls wird alles noch mehr oder weniger der Ökonomie unterworfen, ob es den Bedürfnissen (und Bedarf!) der Menschen entspricht oder nicht.
So kann und darf es natürlich nicht bleiben. Das aber erfordert die genannte, breite Aktivierung ...
@ Miauxx, @ Freitag, die fünfte Kränkung
Ich wiederhole mich nicht gern, aber hier muß ich auf eine Bemerkung zurückkommen, die nicht einfach übergangen werden sollte. Ich hatte vorgeschlagen, besser von Enttäuschung als von Kränkung zu reden. Gekränktsein ist eine infantile Haltung, die trotzig am Irrealen festhält. Enttäuschung ist Verlust und Gewinn. Es gab selbstverständlich Leute, die die kopernikanische Wende als Kränkung empfunden haben, Enttäuschungen werden immer von einigen als Kränkung wahrgenommen, aber ich kann nicht erkennen, wo es der menschlichen Psyche allgemein geschadet hätte, es hat dazu beigetragen, daß der Mensch sich von einer eingebildeten höheren Instanz befreien konnte, hat ihn zugleich marginalisiert und in den Mittelpunkt gestellt.
Genau so wenig kann ich erkennen, daß Relativitäts- und QT sowie die logisch-mathematische Grundlagenkrise mit Russell und Gödel den Menschen in ein Jammertal geworfen hätte, im Gegenteil, enttäuscht und klüger geworden wird weitergemacht.
Im Fall des reflexiven Denkens über die Menschenwelt ist die Sache etwas komplizierter. Im vorgenannten Sachverhalt ist die kategoriale Differenz von physikalischem und erkenntnistheoretischem Wissen angesprochen, das letztere verlagert das Problem in den Menschen. In der Tat ist die unaufhebbare Lücke zwischen Wunsch und Wirklichkeit ein Stachel, der als beständige Kränkung erfahren werden kann. Aber auch hier sehe ich die Menschheit dabei, immer wieder einen relativen Standpunkt einzunehmen und so der Enttäuschung einen positiven Sinn zu geben. Daß die Menschen jemals unter der Vertreibung aus dem Paradies gelitten haben sollen, glaube ich nicht, sie waren niemals im Paradies. Die Religion mag die Antwort darauf sein, das klar zu erkennen, allerdings ist die Religion eine kindliche Antwort.
Nehmen wir ein aktuelles Beispiel. Es wird behauptet, der Tod würde die Menschen kränken und müsse abgeschafft werden. Das ist allerdings nur das Problem und der Traum der IT-Kindsköpfe, die das ewige Leben suchen. Die meisten Menschen dürften im ewigen Leben eher Fluch als Erlösung sehen, sie fürchten sich nur vor einem langen, sinnlosen Leidensprozeß vor dem Tod. Dann ist der Tod keine Kränkung, sondern Erlösung.
Ich glaube auch nicht, daß es viele Linke gibt, die an ein kommunistisches Paradies glauben. Das Gute, die Idee einer emanzipierten kommunistischen Gesellschaft ist eine regulative Idee, ihr liegt der Wunsch nach einer besseren, keiner vollkommenen Gesellschaft zugrunde, und das Wissen, daß das Bessere möglich ist, aber keineswegs, daß es die Lösung aller Probleme ist. Und wenn der Mensch einmal keine Probleme mehr hat, findet er neue. Die Zivilisation bzw Kultivierung ist ein Prozeß, in dem die Wünsche immer differenzierter und komplexer werden und selbstverständlich immer schwieriger zu erfüllen. Es ist ein wesentlicher Teil des Menschseins. Das aber dürfte den meisten auch bewußt sein, wenn man sie aufforderte, darüber nachzudenken. Nur läuft das Leben weitgehend ohne solche Reflexion ab.
DER STAMMTISCH
>> "(...) glauben mitreden zu" können. Ehemals war es meistens kneiplich begrenzt.<<
"kneiplich begrenzt" - genial!