An diesem Wochenende startet die SPD mit der Kür ihres Kanzlerkandidaten in den Bundestagswahlkampf, aber die Sache steht unter keinem guten Stern. Denn dass Peer Steinbrück eine Chance haben könnte, Angela Merkel abzulösen und mit einer rot-grünen Mehrheit Kanzler zu werden, ist eher unwahrscheinlich. Sehr wahrscheinlich ist dagegen, dass die SPD mit einem Kurs, der sich in wichtigen Fragen nicht von Merkels Politik unterscheidet, die Wahl im Herbst 2013 nicht gewinnen wird.
Für eine rötlich gefärbte Kopie wechselt man in der Krise nicht das Pferd. Die einzige Chance der SPD besteht darin, sich grundlegend von Union und FDP zu unterscheiden. Der SPD-Vorsitzende Gabriel hatte das schon vor einem Jahr richtig erkannt. Damals kündigte er an, er wolle einen „klaren Richtungswahlkampf führen“.
Dafür sprechen in der Tat gute Gründe: Da wäre zum einen die überfällige Auseinandersetzung mit der neoliberalen Ideologie. Steinbrück und die SPD könnten zeigen, wie hoffnungslos das Menschenbild der neoliberalen Meinungsführer ist und wie erfolglos Ideologie und Rezepte für die Mehrheit der Menschen gewesen sind. In dieser Debatte könnte sichtbar werden, wie aussichtslos die Orientierung allein am Eigeninteresse ist. Egoismus als vorherrschende Religion lässt die Anständigen als dumm erscheinen. Das ist keine gute Basis menschlichen Zusammenlebens.
Den Sozialisten das Rückgrat einziehen
Der SPD-Kandidat könnte zeigen, was die Orientierung an sozialdemokratischen Werten heute praktisch bedeuten würde. Eine solche ebenso kämpferische wie grundlegende Auseinandersetzung mit der herrschenden Ideologie böte darüber hinaus die Chance, den Sozialdemokraten und Sozialisten auf der internationalen Bühne endlich wieder das Rückgrat einzuziehen, das ihnen unter der brachialen Gewalt von Tony Blairs New Labour und seiner EU-weiten Gefolgschaft gebrochen worden ist.
Zweitens – und eng mit dem ersten Thema verbunden: der Kampf um das Verfassungsversprechen Sozialstaatlichkeit. Das wäre ein ausgezeichnetes Thema für eine Richtungswahl. Soziale Sicherheit wird heute längst nicht mehr nur von abhängig Arbeitenden und Geringverdienern als wichtig erachtet. Die solidarische Absicherung gegen die Risiken des Lebens ist gerechter, sie ist sicherer und effizienter als die in den vergangenen 20 Jahren erprobte Privatisierung. Zur Sozialstaatlichkeit gehört auch die Versorgung mit öffentlichen Gütern. In der anstehenden Richtungswahl sollte das Übermaß an Privatisierung zur Disposition gestellt werden.
Drittens: Wer soll die Wirtschafts- und Finanzpolitik hierzulande, in Europa und in der Welt bestimmen? Die Betreiber des Finanzkasinos? Die Spekulanten? Die Ideologie der Chicago Boys? Das jetzige Elend ist ja nicht vom Himmel gefallen ist. Die Politik war viel zu lange in den Händen von Spekulanten, sie war dominiert von einer obskuren makroökonomischen Theorie. Eine schreckliche Mischung. Kein Wunder, dass es nicht gelungen ist, für einen gemeinsamen Währungsraum den richtigen wirtschafts- und finanzpolitischen Rahmen zu setzen. Deshalb sind die meisten Menschen so orientierungslos. Im Prinzip ist das eine großartige Chance für eine Partei wie die SPD, die in der Makroökonomie und Finanzpolitik einmal führend war.
Kein Mangel an guten Themen
Und schließlich: Wie organisieren wir unsere äußere Sicherheit? Mit Panzerlieferungen nach Saudi-Arabien oder andere autokratische Regime? Mit Militäreinsätzen? Oder mit dem mühsamen, aber in der jüngeren deutschen Geschichte erfolgreichen Versuch, Konflikte abzubauen und sich zu verständigen? Kriegstreiber gibt es genug auf der Welt. Dieser Platz ist besetzt. Der andere ist dagegen noch frei.
An guten Themen mangelt es in dieser Wahlauseinandersetzung mit dem bürgerlichen Lager also nicht. Sie bieten Chancen zur Profilierung. Sie bieten Chancen zur Mobilisierung von vielen Menschen. Aber selbst wenn es Peer Steinbrück mit dieser Art von Richtungswahl nicht gelingen würde, die jetzige schwarz-gelbe Regierung abzulösen – er und die SPD könnten damit unserem Land einen großen Dienst erweisen. So ein Wahlkampf könnte Aufklärung und sozialer Verantwortung wieder mehr Achtung verschaffen. Er könnte den Egoisten die Herrschaft über den politischen Stammtischen abnehmen. Soziales Denken würde zumindest wieder hoffähig. Solidarität ist modern – allein diese Botschaft zu pflanzen, würde lohnen.
Wenn sich Peer Steinbrück in diesem Sinne zum Promoter eines anderen Deutschland machte, dann würden ihn auch jene Wähler sympathisch finden, die sich in den letzten 15 Jahren enttäuscht von der SPD abgewendet haben. Dann könnte er sogar Sympathien gewinnen, die sich in Wählerstimmen niederschlagen. Diese Grundsatzauseinandersetzung ist seine einzige Chance. Und wenn er die Wahl nicht gewinnen würde, dann würden am Ende wenigstens viele sagen: Er hat unser Land vorangebracht. Das ist auch etwas wert. Viel sogar. Steinbrück könnte damit etwas wieder gutmachen: Alle, die seine hohen Honorare unanständig finden, würden anerkennen, dass er lernfähig und im Kern vielleicht doch nicht der falsche Kandidat ist.
Albrecht Müller ist Herausgeber von nachdenkseiten.de
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