Seinem Auftrag treu geblieben

Nachruf Zum Tode des Antifaschisten und Widerstandskämpfers Peter Gingold

Er hat Zeit seines Lebens gekämpft: gegen Ausbeutung und Unterdrückung, gegen Faschismus und Krieg, gegen Antisemitismus und Rassismus. Trotz erlittener Niederlagen hat er sich nie unterkriegen lassen. Gegen seine Krankheit allerdings konnte er am Ende doch nichts ausrichten: In der Nacht zum 29. Oktober erlag Peter Gingold im Alter von 90 Jahren einem schweren Krebsleiden.

Geboren wurde er mitten im Ersten Weltkrieg, am 8. März 1916. Vielleicht war es dieses mit der Biografie verwobene historische Ereignis, weshalb der Kampf gegen den Krieg in seinem Leben eine so wichtige Rolle spielen sollte. Vielleicht war es aber auch die Tatsache, dass Peter Gingold in eine 1912 aus Polen eingewanderte jüdische Familie hineingeboren wurde. Bis Ende der zwanziger Jahre arbeitete Vater Moritz als Konfektionsschneider, Mutter Esther hausierte mit Kleidung und Seife. Nach ihrer Übersiedlung nach Frankfurt am Main begann Peter 1930 eine kaufmännische Lehre und näherte sich dem Kommunistischen Jugendverband an, dem er 1931 beitrat. Während die Gingolds 1933 nach Frankreich flohen, blieb der Sohn vorläufig in Deutschland. Erst nach einer mehrmonatigen Haft folgte er seiner Familie ins Pariser Exil.

Dort schloss er sich der Résistance an, lernte seine Frau Ettie kennen, 1940, Paris war gerade von den Deutschen besetzt worden, kam seine älteste Tochter Alice zur Welt. Aus Sicherheitsgründen entschlossen sich die Eltern, das zweijährige Kind bei einem Bauernpaar in Pflege zu geben. Diese Trennung mit ungewissem Ausgang hat Peter Gingold zeitlebens so bewegt, dass er sie in seinen Reden so wenig zu erwähnen vergaß wie Ettie, die, ebenfalls Jüdin, in der Résistance außerordentlich großen Mut bewiesen hatte.

Nach der Befreiung von Paris im August 1944 schloss sich Peter Gingold dem italienischen Widerstand an. Den 8. Mai 1945 erlebte er in der Nähe von Turin. "Den ganzen Tag läuteten die Glocken, die Leute lagen sich in den Armen und sangen Bella Ciao und Avanti popolo", erinnerte er sich gern.

Nach Kriegsende kehrte das Paar mit Alice nach Deutschland zurück, 1946 wurde die zweite Tochter Sylvia geboren. Doch statt Anerkennung für ihren politischen Mut zu finden, erwartete die junge Familie einmal mehr Ausgrenzung und Verfolgung: als Staatenlose mussten sie um die deutsche Staatsangehörigkeit kämpfen, die ihnen erst 1974 zuerkannt wurde. Als Kommunisten gerieten sie ins Fadennetz des KPD-Verbots, Sylvia Gingold wurde 1974 mit Berufsverbot belegt.

Peter Gingolds politische Leidenschaft galt dem Kampf gegen Faschismus und Krieg: Er war Mitbegründer der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN), fehlte auf keiner Anti-Kriegs-Demonstration und gründete 1986 unter anderen mit Esther Bejarano das Auschwitz-Komitee.

Jeder sei ersetzbar, heißt es. Doch Peter Gingold ist es nicht. Er war das antifaschistische Gewissen der Bundesrepublik und fand weit über die Linke hinaus Gehör. Auf unzähligen Demonstration, Konferenzen und Veranstaltungen sowie in zahllosen Schulen wurde er als Zeitzeuge geladen. Seine Auftritte gingen zu Herzen und endeten meist mit stehenden Ovationen. Er wusste um den Auftrag der Überlebenden und blieb ihm, trotz höllischer Schmerzen, bis kurz vor seinem Tode treu.


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