Gleich neben dem Bahnhof ist die Touristeninformation. Zwei mit Prospekten vollgestopfte Regale stehen am Fenster. Auswanderermuseum, Zoo am Meer, Hafenrundfahrten. Das touristische Angebot ist groß. "Für junge Leute?", fragt die Dame mit der dunkelblauen Bluse und der Föhnfrisur zurück. Sie schüttelt den Kopf. Da helfen die vielen bunten Flyer nicht weiter. "Ja, drei Hallenbäder haben wir. Aber sonst …" Sie schaut auf den Mann, der als nächstes an der Reihe ist. Ja, danke dann. Tschüss dann. Willkommen in Bremerhaven.
Die Stadt mit ihren 110.000 Einwohnern gilt nicht gerade als kreatives Zentrum, eher als Ort der Langeweile. Eine Gruppe Studenten ist angetreten, das zu ändern. Sie nennen sich onethreethree, weil das Haus, in dem die meiste
onethreethree, weil das Haus, in dem die meisten von ihnen wohnen, die Nummer 133 hat. Die Gruppe überzieht Bremerhaven seit einem Jahr mit ihren Ideen. Spontane Kunstversteigerungen, mit Rasen bespannte Sofas, Surfen ohne Wasser – die Aktionen erinnern an solche in Metropolen wie Hamburg oder Berlin.Aber während dort Bürger oft auf Widerstand von Behörden stoßen, wenn sie den öffentlichen Raum nutzen und gestalten wollen, erfahren die Jungs von onethreethree viel Zuspruch. Sie werden von alteingesessenen Bremerhavenern genauso unterstützt wie von der Stadtverwaltung und ihrer Uni. Sie bekommen sogar eine finanzielle Förderung der Stadt. "Die freuen sich halt, dass hier endlich mal was los ist", sagt Gruppenmitgründer Niklas Piatkowski, 23. Er und sein Mitstreiter Philipp Bensmann, 22, sitzen in einem Café, das nicht besonders hip wirkt, dafür aber nahe der Uni liegt. Sie wollen von ihren Erfahrungen mit dem Provinzhipstertum erzählen.Am Anfang war die PlaneAngefangen hat alles im November 2010 mit einer großen blauen Plane. Tarp Surfing heißt der Trend aus Amerika, den onethreethree als erste nach Deutschland brachten. Dabei wird die Ecke einer auf dem Boden liegenden Kunststoffplane mit Schwung nach schräg vorne gezogen, so dass sich wie beim richtigen Wellenreiten ein Tunnel bildet. Nur mit dem Unterschied, dass an dem Brett, das durch diesen Tunnel hindurchgleitet, Rollen dran sind. "Wir haben ein Video davon gesehen und dachten: Das sieht gut aus", erzählt Piatkowski. "Das machen wird jetzt auch."Einer generierte die Welle, ein anderer surfte lässig hindurch, einer filmte. "Es geht dabei gar nicht um diesen Moment in der Plane, sondern einfach darum, zusammen rauszugehen und was Interessantes an ungewöhnlichen Orten zu machen", sagt Piatkowski. Das erste Mal war auf einem Platz am Neuen Hafen. Es war kalt und regnete, kein Surfwetter. Aber sie passten sich an. "Man lernt dazu", sagt Bensmann. Das zweite Mal hatten sie Handschuhe dabei, beim dritten Mal auch Schals und beim vierten Mal noch warme Getränke.Die Gruppe gab sich den Titel "Erstes offizielles Tarp Surfing Team in Deutschland". Die Hochschule, an der sie studieren, gab eine Pressemitteilung raus. Bald meldeten sich Lokalsender und Regionalzeitungen. Das erste Video auf Youtube wurde mehr als elftausend Mal angeklickt. "Für Berliner Verhältnisse wäre das mickrig", sagt Piatkowski, der aus der Hauptstadt stammt. "Aber hier ist das viel." Bei jedem Wellenritt hatten sie Zuschauer, einmal lief sogar ein Opa mit Rollator durch die Welle, Einladungen zu Sportevents folgten – und eine Erkenntnis: In Bremerhaven geht was."Wir dachten: Wenn man schon mit dieser Sache soviel Aufmerksamkeit bekommt und ein positives Bild der Stadt nach außen tragen kann, dann sollte man doch mehr solche Aktionen machen", sagt Piatkowski. Ideen wurden gesammelt. Beim Urban Gardening legten sie auf einem Platz im Stadtzentrum ein Gemüsebeet an, die Statue des Stadtgründers bekam eine Gießkanne in die Hand. Im Januar wurde die Fußgängerzone zur Free Gallery. "Enjoy" stand auf dem Schild, das für die Passanten der einzige Kommentar zu den vielen kleinen Gemälden war, die die Gruppe gemalt hatte, um sie zu verschenken. "Wir wollten Kunst für jedermann zugänglich machen und ein Gegenstück zur teuren Kunstszene schaffe", sagt Piatkowski.Ein Laden für die KreativitätAußerdem gab es Partys, die "größte Yogastunde des Nordens" und nun einen Stadtsong. Ein Duo namens Hein, benannt nach dem Stadtmaskottchen Hein Mück, singt ihn. Eine gewisse Ähnlichkeit der öffentlichkeitsscheuen Musiker mit Piatkowski und Bensmann ist da, auch wenn die beiden das abstreiten. "Man könnte sagen, wir unterstützen Hein und geben ihnen Anregungen", sagt Bensmann.Das alles ist Teil eines großen Plans, Bremerhaven hipper zu machen. Als Nächstes will onethreethree einen Pop-Up-Shop eröffnen, einen Laden, der eine Zeitlang da ist und dann wieder verschwindet. Dort soll es nichts zu kaufen geben, sondern man wird Kreativität auftanken können. Es wird Stationen geben, an denen Arbeitsmaterialien liegen, um zu fotografieren, zu musizieren und zu malen. Zudem kommt bald der zweite Song von Hein heraus. Beim Videodreh haben einige Bremerhavener mitgeholfen. Einer stellte seine Yacht zur Verfügung, ein anderer ließ im Garten seiner Villa einen Sessel abfackeln.Es gebe zwei Gründe, warum sie das Ganze machten, sagt Piatkowski: "Weil wir gern neue Sachen ausprobieren – und weil wir Leute dazu animieren wollen, sich mit ihrer Stadt auseinanderzusetzen und sie mitzugestalten." Denn das sei hier nötig. "Die Stadt ist zwar im Wandel, das sieht man ja an den Neubauten am Hafen. Aber für die immer zahlreicher werdenden Studierenden, die herkommen, gibt es nicht viel", sagt Bensmann. "Wenn du Spaß haben willst, musst du dir den selbst machen."
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