Selbstmord nach der Schlacht

Grossbritannien 250 ehemalige Soldaten verklagen die Regierung wegen der psychischen Folgeschäden ihres Kriegseinsatzes

Bosnien 1995. Ein 19-jähriger britischer Soldat beobachtet eine Szene, die sein Leben für immer verändern wird. Er hat den Anschluss an seine Gruppe verloren und irrt durch ein kleines Dorf, in ständiger Angst vor Heckenschützen, die sich dort versteckt halten. Plötzlich sieht er eine schwangere Frau, sie ist tot und an einen Pfosten gefesselt, mit aufgeschnittenem Bauch, in den jemand einen toten Hund gestopft hat.
Ein ganz normaler Tag im Bosnien-Krieg? Vielleicht. Jedenfalls leidet der junge Brite seither unter Schlafstörungen, Alpträumen und Depressionen, die Psychiater unter dem Begriff Post Traumatic Stress Disorder (PTSD) fassen. Gemeinsam mit 250 Überlebenden anderer Konflikte, an denen Großbritannien in den vergangenen zwei Jahrzehnten beteiligt war, hat er im März eine Sammelklage gegen den Staat wegen Verletzung der Fürsorgepflicht eingereicht. Die Veteranen beklagen, dass sie nicht ausreichend auf die Schrecken des Krieges vorbereitet wurden. Schlimmer noch, das Verteidigungsministerium habe nicht reagierte, als die psychischen Folgen nicht ausblieben.
Die ersten Termine vor dem Londoner High Court ließen erkennen, dass sich der Fall wohl über Monate hinziehen wird. Der Verteidigungsminister will unbedingt einen Präzedenzfall vermeiden, der bei Zahlungen von über 500 Millionen Pfund Schmerzensgeld enden könnte.
Stephen Irwin, Anwalt der Kläger, wird nicht müde zu betonen, dass man die Regierung nicht dafür verklage, Soldaten in den Krieg geschickt zu haben: "Krieg ist ein unvergleichlich grausames Ereignis und verursacht Verletzungen der Psyche. Das sollten die Soldaten wissen, wenn sie zur Armee gehen". Dennoch hätten Vorgesetzte die Pflicht, auf das möglicherweise Entsetzliche einzustellen. "Dieser Pflicht sind sie nicht nachgekommen. Und zwar systematisch."
Geklagt haben Veteranen des Falklandkrieges von 1982 ebenso wie des Nordirland-Korps, Überlebende des Golfkriegs von 1991 wie Soldaten, die in Jugoslawien eingesetzt waren. Dazu haben sich nahezu 2.000 weitere britische Soldaten in Listen eingetragen, um Zeugenaussagen zu leisten oder gegebenenfalls als Nebenkläger aufzutreten.
Major General Robin Short, der für die medizinische Versorgung des britischen Truppenkontingents im Golfkrieg verantwortlich war, fungiert als zentraler Zeuge der Anklage. Vor kurzem äußerte er sich gegenüber BBC 4 Radio Today: "Ich habe keinen Zweifel, dass man mehr hätte tun können." Seinerzeit habe er sich um intensivere psychiatrische Hilfe für Soldaten mit traumatischen Erlebnissen eingesetzt, sei aber auf erhebliche Widerstände in der Armee gestoßen. "Ich glaube, dass dieselben Dinge in Afghanistan geschehen werden, möglicherweise jetzt schon passieren."
Auch in Großbritannien ist seit langem bekannt, dass selbst Kriege, die aus der Perspektive der britischen Zeitungsleser vergleichsweise harmlos schienen, schwere emotionale Schäden bei Soldaten verursachen können. Sie reichen bei vielen Betroffenen bis zu permanenter Suizid-Gefahr. In den 20 Jahren, die seit dem Falkland-Krieg vergangen sind, nahmen sich 264 Veteranen der Schlacht im Südatlantik das Leben, verglichen mit 255 britischen Soldaten, die während der Kampfhandlungen starben. Irwin meint, der Anteil von zum Zeitpunkt des Einsatzes sehr jungen und unerfahrenen Soldaten sei unter seinen Mandanten besonders hoch.
Der 19-Jährige in Bosnien ist ein ebenso typisches Beispiel dieser Gruppe wie auch die 40 Kriegshelfer des britischen Kriegsschiffs Sir Galahad, das 1982 im Südatlantikkrieg von der argentinischen Luftwaffe beschossen wurde. Ein junger Matrose aus Westengland beobachtete dort, wie sein Freund verbrannte. Seitdem wacht er unentwegt nachts auf und riecht verbranntes Fleisch. Traumatisch ist in solchen Fällen vor allem die Erfahrung der absoluten Hilflosigkeit gewesen.

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