Selfmade woman

ISADORA DUNCAN Jochen Schmidts Biografie über die faszinierende Revolutionärin des Tanzes. Ihr Leben liefert die Blaupause für ein weibliches, hoch aktuelles Karrieremodell

Isadora Duncan ist eine Kultfigur des modernen Tanzes, unzählige Legenden umrankten die 1877 in San Francisco geborene Künstlerin schon zu Lebzeiten. Ihr ebenso tragischer wie theatralischer Unfalltod wurde zu einem Symbol für ein unkonventionelles Frauenleben an der Schwelle vom 19. zum 20. Jahrhundert: Sie starb, fünfzigjährig, in Nizza, weil sich ihr langer Seidenschal in den Speichen eines Bugatti verfing und sie erdrosselte.

Ein modernes Künstlerinnenleben, gezeichnet durch die Unvereinbarkeit privaten Glücks und beruflicher Karriere. Isadora Duncan hat nie ein bürgerliches Leben geführt. Schon als Kind schwor sie sich, nie zu heiraten. Dass sie diesen Vorsatz sehr spät doch noch brach, hatte vor allem den Zweck, ihrem Geliebten, einem jungen russischen Dichter, die Reisefreiheit zu verschaffen, die er benötigte, um die Tänzerin und Choreographin auf ihren Reisen begleiten zu können. Kurz nach dem Scheitern dieser Verbindung nahm sich der Dichter das Leben. Die Tänzerin brachte drei (uneheliche) Kinder von drei verschiedenen Vätern zur Welt. Zwei ihrer Kinder stürzten mit einem Auto in die Seine und ertranken, das jüngste starb kurz nach der Geburt. Schicksalsschläge, die Isadora Duncan in schwere Depressionen stürzten. Es klingt nach Verzweiflung, dass sie, je älter sie wurde, um so rastloser von einem Liebhaber zum nächsten taumelte, einer jünger als der andere.

Ihr Lebensstil war skandalös und glamourös. Diese Frau hatte eine Vision, sie wollte eine berühmte Tänzerin werden. Alles andere unterwarf sie kompromisslos diesem Ziel. Sie lebte stets über ihre Verhältnisse und fand in der größten Not immer wieder reiche Gönner, die sie und ihre Mission, den "Tanz der Zukunft" und dessen Verbreitung in Europa und den USA unterstützten. Die Sowjetunion bot der Tanz-Revolutionärin an, eine Schule zu gründen, die sich allerdings aufgrund fehlender staatlicher Subvention nicht etablieren konnte, so dass die Duncan erneut in West-Europa auf Tournee ging und nicht nach Moskau zurückkehrte.

Duncans Tanz war eine radikale Abkehr von Technik und Ästhetik des klassischen Balletts. Duncan huldigte einem (um die Jahrhundertwende weit verbreiteten) Körper- und Schönheitsideal, das sie für das "natürliche" hielt. Jochen Schmidt, Tanzkritiker der FAZ, verweist in seiner Biographie auf eine rassistische oder präfaschistische Tendenz in Duncans Schriften zum Tanz, ohne im Rahmen seines auf ein breiteres Lesepublikum zielenden Buchs näher auf die historischen Zusammenhänge eingehen zu können. Duncan rekonstruierte Bewegungsmuster nach den Vorlagen antiker Vasenmalerei. Im Rückgriff auf den vermeintlichen Ursprung entstand, wie so oft in der Kunst der Moderne, etwas Neues.

Tanz ist bis heute die unumstrittene weibliche Domäne unter den Künsten. So gesehen lässt sich die Duncan nicht nur als "Mutter des modernen Tanzes", sondern auch als erster weiblicher Star des 20. Jahrhundert begreifen. Ihre Biografie liest sich wie eine weibliche Variante des amerikanischen Traums, ein Pendant zur Legende des Selfmademan, der es vom Tellerwäscher zum Millionär bringt. Nur, dass Duncan vor allem durch ihre Auftritte in London, Paris und Berlin zu Weltruhm gelangte. Mitentscheidend für ihren Erfolg war der Ehrgeiz ihrer Mutter. Sie gab Sicherheit und das Selbstvertrauen, "an sich zu glauben". Mutter und Schwester waren ihre Geschäftspartner: die Mutter Coach, die Schwester Leiterin der Tanzschulen. Vielleicht veranlasste auch die Abwesenheit des Vaters Isadora Duncans Mutter dazu, ihre eigene Tanzschule aufzugeben, um alle Energien in das Projekt Isadora zu stecken und sozusagen aus dem Nichts eine Existenz für die ganze Familie aufzubauen.

Isadora Duncan war ein Star, bevor es das, was man später Kulturindustrie nannte, gab. Kein Wunder, dass Hollywood ihr Leben schon mehrfach verfilmte. Ihre Biografie liefert die Blaupause für ein weibliches, hoch aktuelles Karrieremodell. Dass es erfolgreich war, ohne dass seine Erfinderin von ihm wirklich profitieren konnte, steht auf einem anderen Blatt.

Jochen Schmidt, "Ich sehe Amerika tanzen" - Isadora Duncan, List Taschenbuch Verlag, München 2000, 260 S., 16,90 DM.

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