Ab 2006 soll die elektronische Gesundheitskarte die Patientenversorgung optimieren und damit Milliarden im Gesundheitssystem einsparen. Soweit die Theorie der Gesundheitsreform. Die Praxis der vergangenen Monate aber zeigt etwas anderes: Kompetenzgerangel zwischen den Akteuren sowie Zweifel an Datenschutz und Zeitplan.
Die Einführung der so genannten eCard als Nachfolger der Krankenversicherungskarte verspricht die bislang größte EDV-Umstellung Deutschlands zu werden. Knapp 80 Millionen Karten müssen an Versicherte ausgeteilt, 280.000 Arztpraxen, 22.000 Apotheken, über 300 Krankenkassen und 2.200 Kliniken vernetzt werden. Kostenpunkt: mindestens 1,4 Milliarden Euro. "Eine lohnende Investition", predigt Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) der Öffentlichkeit und den mit der Umsetzung und Finanzierung verpflichteten Akteuren aus Industrie und Selbstverwaltung, also Ärzten, Kassen, Apotheken und Krankenhäusern. Lassen sich doch ihrer Meinung nach mit einer modernen Technik teure Doppeluntersuchungen und Fehlmedikationen vermeiden.
Optisch wird sich die eCard nur durch ein Foto des Versicherten von der alten Chipkarte unterscheiden. Technisch aber mausert sich der Datenspeicher zu einem lernfähigen System: Die Karte wird mit einem Mikroprozessor bestückt (64.000 Byte), der durch Updates neue Informationen aufnimmt und diese jederzeit verfügbar macht. Gesichert ist die Karte durch eine persönliche Identifikationsnummer (PIN).
Als Basisfunktionen wird sie die gewohnten persönlichen Daten des Versicherten sowie die europäische Gesundheitskarte und das elektronische Rezept beinhalten. Später kann die Karte zu einer umfassenden Patientendatei - mit Notfalldaten, Krankengeschichte, Arzneimitteldokumentation und Röntgenbildern - aufgerüstet werden. Welche dieser Zusatzfunktionen frei geschaltet werden und wer darauf zugreifen darf, entscheidet der Versicherte.
Allein die elektronische Rezeptfunktion dürfte die Gesundheitsausgaben um eine Milliarde Euro entlasten, glaubt die Bundesgesundheitsministerin. Bei der Freigabe aller Funktionen könnten weitere dreistellige Millionenbeträge pro Jahr gespart werden. Ulla Schmidt zeigt sich optimistisch, dass viele die freiwilligen Funktionen nutzen werden.
Eine aktuelle Umfrage des Emnid-Instituts im Auftrag der Techniker Krankenkasse stützt diese Annahme: 75 Prozent der über 1.000 befragten Bürger stehen der eCard positiv gegenüber; 96 Prozent loben den Zugriff auf Notfalldaten und 92 Prozent hoffen, dass Ärzte künftig ein umfassenderes Bild früherer Diagnosen und Therapien erhalten. Solange sie selbst die Datenhoheit besitzen, hegen über 60 Prozent auch keine datenschutzrechtlichen Bedenken.
Ganz anders positioniert sich die Ärzteschaft. Das zeigen mehrere Befragungen unter Niedergelassenen. Gut zwei Drittel der Ärzte fürchten, die eCard werde das Arzt-Patienten-Verhältnis stören sowie zu Problemen im Praxisablauf und beim Datenschutz führen.
Auch wenn der oberste Datenschützer solche Horrorbilder vom "gläsernen Patienten" als übertrieben ablehnt, völlig sorgenfrei blickt auch er nicht auf die Einführung der Karte. Peter Schaar, Bundesbeauftragter für Datenschutz, warnt die Industrie beispielsweise davor, Patientenrechte durch eindimensionale Ja-Nein-Lösungen zu unterlaufen. Auch beim Gebrauch der Karte vermutet er kritische Situationen. Um Einträge anzulegen oder zu ändern, ist zwar bis auf wenige Ausnahmen eine zweite Karte, der elektronische Heilberufsausweis des Arztes oder Apothekers, nötig, dennoch könnte bei der externen Wartung der Praxis- beziehungsweise Apothekensoftware ein Datenzugriff durch Dritte erfolgen, so Schaar.
Eine Klärung solcher Details soll die so genannte Lösungsarchitektur bringen. Gemeint sind damit technische Standardvorgaben, die Bundesgesundheitsministerin Schmidt medienwirksam am 14. März auf der Computermesse CeBIT präsentieren will. Ob das gelingt, bezweifeln Industriekreise. Der IT-Branchenverband Bitkom vermutet sogar, dass das mit der Ausarbeitung beauftragte Fraunhoferinstitut, nur um den Termin zu halten, eine auf die Basisfunktionen abgespeckte eCard anbieten wird. Für die deutsche Industrie ließe sich eine eCard-light jedoch nur schwer als Exportschlager vermarkten.
Im zweiten Halbjahr 2005 sollen die auf Grundlage der Lösungsarchitektur entstandenen Konzepte in mindestens zwei ausgewählten Regionen getestet werden. Was genau, wann und wo mit wem geprüft wird, ist noch unklar. Relativ sicher ist dagegen: In Händen halten wird die eCard jeder Versicherte erst 2007. Am 1. Januar 2006 fällt - wenn überhaupt - nur der Startschuss zur flächendeckenden Verteilung, auch wenn das Bundesgesundheitsministerium dieses Detail nur kleinlaut zugibt.
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