Der Regenbogen beginnt dort, wo das ehemalige Regime des Landes in Trümmern liegt. Vor der Ruine des serbischen Verteidigungsministeriums wummert pappiger Bass. Techno in MC Hammer-Manier weht über die Kreuzung, wo die Pläne Slobodan Miloševićs in den Flammen der NATO-Bomben aufgingen, Retro-Sounds aus den 90ern.
Einige hundert Serben, Montenegriner und andere Ex-Jugoslawen pusten hier Seifenblasen in den Belgrader Mittagshimmel. Manchmal jubeln sie auf, aber meist nur, wenn ihnen ein Fotograf das Zeichen dazu gibt. Dann schwenken sie die Regenbogenfahnen besonders wild und marschieren mit Enthusiasmus im Blick. Anderen aber steht die Unsicherheit ins Gesicht geschrieben. Allein ihre Banner sind eindeutig und fordern das Recht ein, sich als Homosexueller in Serbien nicht verstecken zu müssen.
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Demonstrierende in Belgrad, Bild: Michael Gruber
„Hass ist keine Religion“
Rund tausend Schwulenrechtsaktivisten durften bei der „Pride Parade“ in der serbischen Hauptstadt mit ihrer Stimme auf offener Straße vor das Parlament ziehen. Umringt von Journalisten, umkreist von Helikoptern, verloren in einer menschenleeren Innenstadt, die von 6000 Polizisten und Panzerfahrzeugen regelrecht evakuiert wurde. In dem Balkanland, in dem Schwule und Lesben regelmäßig als krank und abartig diffamiert werden, war es die erste Homosexuellen-Demonstration nach dem Jahr 2010. Die blutige Spur des Regenbogen-Marschs vor vier Jahren ließ die Regierung immer wieder mit einer Genehmigung zögern. Nach Ausschreitung rechtsradikaler Gruppen gab es 120 Verletzte und 100 Festnahmen.
„Die Frage ist nicht, ob wir in der Lage sind die Parade zu sichern, sondern wie es aussehen würde, wenn Belgrad brennt“, erklärte der serbische Innenminister, Nebjosa Stefanovic, dem Sender TV Pra am Freitag vor der Demo.
Bis Sonntagmorgen war nicht klar, ob vor dem Verteidigungsministerium eine Armee auffährt. Ob in Serbien das „Konzept von Hassverbrechen“, das Homosexuelle per Strafgesetz seit 2012 juristisch schützen soll, die Gegner von den schlimmsten Gewalttaten abhält. Und wie viele Pluspunkte das Land damit bei den EU-Beitrittsverhandlungen bekommt, die es seit Januar führt. Mehrere EU-Partner hatten der Regierung nahegelegt, dass sich eine friedliche Schwulen-Parade in Brüssel positiv auswirkt.
„Ein großer Tag für Europa“
„Schau sie Dir an, die Darth Vaders. Wo sind sie, wenn ich nachts in Belgrad nach Hause gehe und Angst vor Verrückten haben muss? Ist das heute anders als unter Milošević?“
Ivina Panti steht vor einem dm-Markt, rund fünf Gehminuten von der Demonstration entfernt. Sie ist außer Atem, ihre Oberlippe zittert vor Aufregung. Vor ihr blockieren rund 200 schwer bewaffnete Polizisten, „Darth Vaders“ mit zwei Panzerfahrzeuge den Weg zum Parlamentsgebäude. Auf der Straßenseite gegenüber formiert sich ein kleiner Mob. Ein Mann stimmt Parolen an, hält eine Serbenfahne vor seine Stirn als wäre es ein Fußballschal. Dann fliegt eine Plastikflasche Richtung Polizei. „Das“, sagt Ivana und deutet auf die Nationalisten, „das sind die Idioten. Die meisten sind keine Belgrader. Sie sind aus den Dörfern angereist. Nur warum komme ich wohl nicht rein? Was glauben Sie?“ Nach dem Satz bleibt ihr Mund halb offen, die Oberlippe zittert wieder.
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Die Parade wurde von Polizeiaufgebot begleitet, Bild: Michael Gruber
„Denkt darüber nach, ob Jesus Schwule gehasst hätte. Oder nicht stattdessen für Freiheit, Liebe und eine friedliche Gesellschaft eingestanden wäre“, erklärte der deutsche Bundestagsabgeordnete der Grünen, Volker Beck, bei der Kundgebung vor dem serbischen Parlament. Wie auch EU-Vertreter, zahlreiche Diplomaten und serbische Abgeordnete hatte er an der Demo teilgenommen, um mit seinen Worten einen Appell an die serbisch-orthodoxe Geistlichkeit zu senden. Der norwegische Botschafter Nils Ragnar Kamsvåg wertete den rund ein Kilometer langen Marsch der Pride Parade so: „Heute ist ein großer Tag für Serbien auf dem Weg zu europäischen Kernwerten. Ein großer Tag für Belgrad und für Toleranz, Vielfalt und Demokratie. Die Pride Parade Belgrad ist ein großer Tag für Europa.“
„Das ich nicht lache“, sagt Ivana Panti, als sie davon vor den Zäunen erfährt. Die Polizei hatte der 42-Jährigen Philosophie-Lehrerin, die den symbolträchtigen Protestmarsch unterstützen wollte, den Zutritt zur Parade verwehrt. Nur registrierte Teilnehmer, Journalisten und Fotografen durften mitmarschieren, zur Erkennung, trugen sie grüne Bänder und Aufkleber. „Sie glauben doch nicht ernsthaft, unser Staat würde sich um eine Stärkung der Bürgerrechte scheren. Viele der Abgeordneten der aktuellen Regierung haben als Soldaten und Generäle unter Milošević gekämpft.“
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Ivana Panti, Bild: Michael Gruber
Die Vergangenheit am Save-Ufer
Ivana hat keine Arbeit, wie jeder Fünfte in Serbien. Seit wann die Lehrerin eine Stelle sucht, um damit rund 400 Euro im Monat, dem Landesdurchschnitt, zu verdienen, will sie nicht sagen. Nur, dass auch ein möglicher Beitritt zur EU die soziale Spaltung des Landes wohl nicht aufhalten wird. „Plötzlich zeigen sich unsere Politiker als Mustereuropäer, dabei ist das Land noch höchst korrupt.“ Erst vor wenigen Jahren, sagt sie, habe ein Nationalminister eine Straße in Belgrad nach Ratko Mladi benennen wollen – dem General, der das Attentat von Srebrenica verantwortet hat. „Ganz ehrlich. Unter Titos Jugoslawien ging es uns besser als jetzt. Schauen Sie sich doch um. Wir sind ein Haufen kleiner Balkan-Bananenstaaten.“
Im Mai 2014 hatten verheerende Überschwemmungen in Serbien und Bosnien tausende Menschen obdachlos gemacht. Landminen aus dem Bosnienkrieg wurden angespült. Vertreter der serbisch-orthodoxen Kirche sprachen dabei kurz vor der Demonstration von einer „Warnung wegen der Schwulen Parade“. Trotz Drohungen rechtsradikaler Gruppen blieb die Demonstration weitgehend friedlich – wenn auch nur dank einer Innenstadt, die unter Polizei-Quarantäne stand. „Wir haben damit gezeigt, dass wir ein Rechtsstaat sind“, sagte Regierungschef Aleksandar Vučić der Deutschen Presse Agentur. Wie Vučić, der selbst nicht an der Veranstaltung teilnahm, über die Behörden mitteilen ließ, seien die Vorwürfe, Serbien sei „zurückgeblieben und primitiv“ nun widerlegt. Sein Bruder, Andrej Vučić, und zwei seiner Leibwächter wurden am Rande der Parade von Spezialpolizisten verprügelt, hieß es am selben Abend. Eigentlich, so der Eindruck, sollte die Polizei nur gegen Hooligans, Nationalisten und Paraden-Gegner vorgehen. Der Grünenabgeordnete Volker Beck nahm es bei der Kundgebung vorweg: „Die Pride Parade Belgrad ist ein kleiner Schritt in die richtige Richtung.“
http://imagizer.imageshack.us/v2/800x600q90/910/LkSEy1.jpgVolker Beck (Grüne) spricht in Belgrad, Bild: Michael Gruber
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