Sex gegen Abschlussexamen

Linker Haken Die Schlagzeile "Sex gegen Abschlussexamen" empört uns. Doch der Kampf gegen widerwärtige Zustände dient oft genug als Vorwand, die Sexualität an sich zu verteufeln

Der Spiegel berichtet von einer Studentin, die einem Hochschullehrer für den Fall eines Versagens bei der Abschlussprüfung 5.000 Euro angeboten habe oder auch, dass sie für ihn kochen und putzen würde. Der Professor aber habe von ihr stattdessen "sexuelle Leistungen" gefordert.

Das erscheint dem ehemaligen Nachrichtenmagazin, das sich längst auch mit Klatsch und Tratsch beschäftigt, offenbar besonders verwerflich. Damit befindet es sich im Konsens einer Wertordnung, die von der Kirche, maßgeblichen Teilen der Frauenbewegung und dem Boulevard in gemeinsamer Anstrengung aufrechterhalten wird: Unter dem Vorwand des Kampfes gegen tatsächlich widerwärtige Zustände wird die Sexualität verteufelt.

Dass eine Frau ihre Arbeitskraft verkauft oder, wie hier, gegen eine vorteilhafte Beurteilung eintauschen will, bewegt sich noch im Rahmen des Normalen. Wenn jemand für einen Spottlohn oder, wie halblegale Einwanderer, für eine Aufenthaltsgenehmigung kocht und putzt – warum nicht für eine bessere Note? Wenn diese Frau aber ihren Körper verkauft, dann ist das pfui.

Dass der Bestechungsversuch und die Erpressung der Skandal sind, unabhängig davon, was als Gegenleistung geboten wird, ob das nun Geld, Arbeitskraft oder eben Sex ist, kommt niemandem in den Sinn. Was empört, ist die sexuelle Prostitution. Oder deren Anordnung. Es sei denn, sie findet innerhalb der Ehe statt.

Die Versorgungsehe, in anderen Kulturen und zu anderen Zeiten die Regel, in unserer Gesellschaft seit nicht viel mehr als einem Jahrhundert hinter allerlei ideologischem Brimborium verborgen, erregt keinen Anstoß, auch wenn der von den Ehemännern bezahlte Preis für den Gebrauch des weiblichen Körpers meist geringere Vorzüge einbringt als ein bestandenes Abschlussexamen.

Der eigentliche Skandal ist die Nötigung, nicht die Art der Dienstleistung

Gewiss, die Einforderung von „sexuellen Leistungen“, die ohne Druck nicht erbracht würden, ist ekelhaft. Aber ist es die Einforderung von Dienstleistungen anderer Art unter den gleichen Umständen nicht auch? Wenn der abgenötigte „Liebesdienst“ die Fantasie der Kommentatoren weitaus stärker beschäftigt als abgenötigtes Kochen oder Putzen, dann besagt das nicht nur etwas über die gesellschaftlichen Normen, sondern auch über die Verklemmungen derer, die sich erregen. Es darf unterstellt werden, dass sie sich insgeheim wünschen, was zu verurteilen sie vorgeben.

Die Sexualfeindschaft unter dem Deckmantel der Abwehr eines tatsächlichen Übels ist kein Einzelfall. Wenn seit einigen Jahren allenthalben von „sexueller Gewalt“ die Rede ist, die bekämpft, bestraft, angezeigt werden müsse, dann liegt der Verdacht nahe, dass es nicht um Gewalt geht, sondern um Sexualität.

Dass Sexualität mit Gewalt verbunden sein kann, ist keine neue Erkenntnis. Das Wort „Vergewaltigung“ bedarf keines Attributs, um seine Herkunft aus dem Umfeld der Sexualität erkennen zu lassen. Was aber hat es zu bedeuten, wenn die Ächtung der sexuellen Gewalt gefordert wird anstelle der Ächtung von Gewalt ganz ohne Attribut? Ist die Gewalt von Eltern gegen ihre Kinder, die Gewalt von Terrorkommandos gegen Systemkritiker, die Gewalt von Soldaten gegen Zivilisten weniger verdammenswert als Gewalt, die mit sexueller Lust verbunden zu sein scheint?

Die eher marginal gebliebene feministische These, dass jeder Sexualakt, insbesondere jede „Penetration“ ein Akt der Gewalt sei, bestärkt die Vermutung, dass mit den Kampagnen gegen „sexuelle Gewalt“ in Wahrheit die Sexualität gemeint ist. Wie mit den „religiösen Gefühlen“ die Religion und nicht die Gefühle, wie mit dem „islamischen Fundamentalismus“ der Islam und nicht der Fundamentalismus gemeint ist. Warum sonst bedürfte es des Beiworts?

In der Freitag(s)-Kolumne "Linker Haken" beklagt Thomas Rothschild Woche für Woche, dass alles immer schlimmer wird. Manchmal hat er aber auch andere Sorgen: Letzte Woche: Wie gut das Beste ist. Über Sinn und Unsinn von Bestenlisten und anderen Auszeichnungen


Thomas Rothschild wurde 1942 in Glasgow geboren, wuchs in Österreich auf und lehrte bis 2007 an der Universität Stuttgart Literaturwissenschaft. Er ist seit vielen Jahren Autor des Freitag.

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