Im Pekinger Botschaftsviertel liegt eine Bar namens Maggie’s. Gerhard*, der seit sieben Jahren für ein großes deutsches Unternehmen in der chinesischen Haupstadt arbeitet, steht lässig am Tresen und trinkt chinesisches Bier aus der Flasche. Er hat sich herausgeputzt – aus Respekt vor der Frau, die er gleich bezahlen wird.
Das Maggie’s ist kein Bordell. Es ist ein Treffpunkt für Frauen, die in knappen Kleidern und mit eindeutigen Fragen um Freier werben. Und für westliche Männer, die sich werben lassen. „Wie heißt du?“ – „Woher kommst du?“ – „Willst du Spaß?“
Das Thema Prostitution sei unter chinesischen wie ausländischen Geschäftsleuten alltäglich, weshalb er keine Hemmungen habe, über seine Erfahrungen zu sprechen, sagt Expat Gerhard. „Ein hübsches Mädchen kann man ab 80 Euro bis zum nächsten Morgen mitnehmen.“ Wenn man weniger zahle, gingen die Mädchen am selben Abend wieder auf Männerfang. Gerhard kommt oft ins Maggie’s, obwohl er Frau und Kind hat. „Die meisten Männer hier sind verheiratet. Aber Nutten gehören für viele zum Expat-Lifestyle dazu.“
Auf der anderen Straßenseite stehen Soldaten vor den Botschaften. Das Treiben im Maggie’s interessiert sie nicht. Nicht nur, weil die Bar von ehemaligen Polizeioffizieren betrieben wird. Die Behörden stellen sich blind und taub. Nur während der Olympischen Spiele mussten Etablissements schließen, weil sich die Volksrepublik kurzzeitig um ihr Image sorgte.
In Massage-Salons und Hotels
In China ist trotz Verbots die gesellschaftliche Akzeptanz von Prostitution hoch, wesentlich höher als in Deutschland. Der deutsche Ergo-Skandal wäre hier kaum einer. Eine Umfrage unter Studenten ergab, dass sich die Hälfte vorstellen kann, sexuelle Dienste in Anspruch zu nehmen. Wo Studenten in Europa mit illegalen Drogen experimentieren, sehnen sie sich in China nach illegalem Sex. Vor allem in der Wirtschaft spielt Prostitution eine große Rolle. Mancher Kunde bekommt nach den Verhandlungen Frauen angeboten, spätestens beim gemeinsamen Karaoke.
Man findet Prostitution nicht nur in Bars, sondern auch in Diskotheken, Massage-Salons, Hotels und Karaoke-Bars, von denen viele über stundenweise nutzbare Nebenräume verfügen. In Fünf-Sterne-Hotels lauern die Mädchen in der Lobby, in billigeren Unterkünften gehen sie von Tür zu Tür oder rufen auf dem Zimmer an. Sogar Flyer liegen mancherorts auf den Zimmern aus, dazu Kondome.
Trotz der Allgegenwart ist Prostitution in China aber nicht so sichtbar wie in Thailand, Hamburg oder Amsterdam. Ob eine Massage nur eine Massage ist, erkennt man häufig nur am Preis. Denn über Sex wird nicht geredet. Alles, was mit Nacktheit und Sexualität zu tun hat, gehört ins Private. Die Aufklärung an den Schulen ist mangelhaft. Die meisten Jugendlichen klären sich selbst auf. Es gibt quasi ein stillschweigendes Abkommen: Prostitution ist eine akzeptierte Grenzüberschreitung.
Durchschnittslohn bei 140 Euro im Monat
Verboten ist sie offiziell erst seit 1991, obwohl die Kommunisten sie seit ihrer Machtübernahme 1949 bekämpften. Unter Mao war sie durch Kontrollen und Bordellschließungen in den sechziger Jahren fast verschwunden. Mit Deng Xiaopings Liberalisierung der Wirtschaft kehrte sie in die Städte zurück. Trotz der Verschärfung der Gesetze ist sie heute im ganzen Land weit verbreitet. Die meisten Konkubinen leben in Shenzhen, der Hauptstadt der Prostitution. Dort verdient einer von 50 Bewohnern sein Geld mit Sex, auch Männer.
Die Gesetze finden, auch wegen der Bedeutung für den Tourismus, häufig keine Anwendung. Was das für die Frauen heißt, steht auf einem anderen Blatt. „Bei den Mädchen hier im Maggie’s“, die alle aus der Mongolei kommen, „weiß man nicht, ob sie das freiwillig machen, ob sie eine Familie ernähren müssen, oder ob sie aus ihrer Heimat verschleppt wurden“, sagt Gerhard. Frauen in anderen Clubs kommen aber auch aus China, aus Thailand und anderen Teilen Südostasiens. Dass ein junges Mädchen aus Bangkok freiwillig nach China kommt, um seinen Körper zu verkaufen, scheint kaum nachvollziehbar.
Ob eine Legalisierung der Prostitution die Zustände der Sexarbeiterinnen verbessern würde, ist strittig. Wegen Gewalt- und Missbrauchsdelikten drängen internationale Organisationen auf die Entkriminalisierung. Ob sich aber die Zahl der Prostituierten dadurch verringern würde, scheint angesichts des Geldes, dass eine Frau in China mit dem Verkauf ihres Körpers verdienen kann, zweifelhaft. Der Durchschnittslohn liegt bei umgerechnet 140 Euro im Monat. Im Club Manhattan in Shanghai kann man so viel in einer Nacht verdienen. Einige Frauen versorgen mit dem Geld ihre ganze Familie – wenn sie keine Familie haben, reicht es für ein gutes Leben. Ein Leben in wahrem Luxus darf man im Konkubinat mit einem Parteibonzen erwarten: Taschengeld, Autos, eine Wohnung. Hinzu kommt der Umgang mit den oberen sozialen Schichten. Viele entscheiden sich offenbar auch deswegen, als Sexverkäuferin zu arbeiten. Roger, Gast im Manhattan, ist wie Gerhard Abgesandter eines internationalen Unternehmens. Er sagt es so: „Manche sind für eine Louis-Vuitton-Handtasche zu allem bereit.“
Probleme mit der Polizei: "Lässt sich mit Geld lösen"
Das Manhattan in Shanghai ist schicker als das Maggie’s in Peking. Die Männer hier sind jünger. Die wenigen Chinesen sind Geschäftsleute. Die Frauen kleiden sich elegant, wie in hippen Diskotheken. Sie wirken eher wie teure Escort-Damen. „Ich kenne einen Laden in Shanghai, wo man sich sauberer Prostitution sicher sein kann“, hatte Gerhard gesagt – und das Manhattan empfohlen.
Es ist Donnerstag. Die Bar ist voll. Die Musik ist so laut, dass die Frauen die Köpfe der Männer zu sich ziehen müssen, wenn sie mit ihnen reden. Eine Bauchtänzerin posiert auf dem Tresen. Die Männer grölen. Das Manhattan liegt in einer ruhigen Seitenstraße, umringt von kleinen Wohnhäusern, aber die Anlieger beschweren sich nicht, und auch die Polizei scheint das Treiben nicht zu stören. Roger stimmt Gerhard zu: „Die meisten Mädchen, die man im Manhattan findet, machen das auf eigene Faust. Sie haben sich für diesen Beruf entschieden. So verdienen sie ein Vielfaches dessen, was sie in einem normalen Bürojob verdienen könnten.“
Fragt man die Frauen hier, warum sie sich für Sex bezahlen lassen, erntet man verständnislose Blicke. „Ich mache das heute zum ersten Mal“, sagt etwa eine 18-Jährige aus Bangkok. Einen dicken, alten Chinesen hat sie schon abgelehnt. Auf die Frage, warum sie sich prostituiere, wendet sie sich ab. Die hohe Bezahlung scheint Rechtfertigung genug. Später verschwindet sie mit einem jungen Mann, einem Ausländer.
Das Risiko für die Freier ist gering. Ob Roger in Shanghai Angst hat, von der Polizei erwischt zu werden? „Das kam noch nie vor. Und wenn, dann lässt sich das mit Geld lösen.“ Sorgen macht ihm etwas anderes: „Meine größte Angst ist es, versehentlich mit einem Ladyboy ins Hotel zu gehen.“
* alle Namen von der Redaktion geändert
Adrian Kummer ist freier Journalist und beschäftigt sich für das Magazinprojekt 21China gerade intensiv mit Fernost.
Kommentare 4
Die Recherche zu solchen Artikeln ist nicht ganz leicht. Es sei denn, man kennt einen Gerhard aus Peking oder Roger aus Shanghai. Die kennen sich nämlich aus.
Die chinesischen Kommunisten hatten die Kommunisten einst bekämpft, aber "mit Deng Xiaopings Liberalisierung der Wirtschaft kehrte sie in die Städte zurück". Weiß der Autor das von Gerhard und Roger?
Dann: "In China ist trotz Verbots die gesellschaftliche Akzeptanz von Prostitution hoch, wesentlich höher als in Deutschland", wenngleich "trotz der Allgegenwart ... in China aber nicht so sichtbar wie in Thailand, Hamburg oder Amsterdam". Zur gesellschaftlichen Akzeptanz von Prostitution in China wie in Deutschland verschweigt der Autor die Daten entsprechender Erhebungen. Das ist sehr schade.
Der Autor "Adrian Kummer ist freier Journalist und beschäftigt sich für das Magazinprojekt 21China gerade intensiv mit Fernost".
Und die 18jaehrigen Maedels kommen aus Bangcock. Nicht China oder Mongolei. Auf Englisch ist das eh egal. Und alle Expats glauben es. Wie Gerhard, oder Herr Kummer. Aber Moment. Gerhard heisst gar nicht Gerhard.
Anyway, schoen dass das Maggie's und das Manhattan mal so richtig ausgeleuchtet wurden!
Sehr gespannt auf die Dongguan Ausgabe. Das wir wilder!
Es gibt in China natürlich keine offiziellen Bordelle und Prostitution ist verboten und wird, wie viele andere Vergehen auch, recht hart bestraft. Andererseits ist es ein weit verbreitetes Geschäft und es wird im ganzen Land auch stillschweigend akzeptiert. Man findet Prostituierte auf dem Strassenstrich (aber eher selten), ansonsten in praktisch jeder Hotelbar, in Karaokebars, Discos, Massage-und Saunaclubs und auch in Friseurshops. In manchen Hotels in kleineren Städten gehen kann es durchaus vorkommen, dass spätabends an der Tür geklopft wird und eine junge Dame in schlechtem Englisch ihren Service anbietet. In den Küsten - und größeren Städten sind die Dienste recht teuer (für chinesische Verhältnisse), auf dem Land und in kleineren Städten sehr billig. Die Damen kommen meist aus armen Familien und betreiben ihr Geschäft immer in anderen Städten, niemals in Ihrer Heimatstadt. Viele fangen in Discos und Karaokeclubs als Animiergirls an und erliegen irgendwann dem Reiz des Geldes. Als 'Kunde' sollte man sehr vorsichtig sein, denn nicht alle Frauen achten darauf sich zu schützen, einmal abgesehen davon, dass man in den Knast wandert, wenn man erwischt wird. Und 'schlecht' sehen die Frauen auch nicht generell aus, selbstredend wäre das dem Geschäft nicht gerade zuträglich. Obwohl Asien offiziell keine Prostituion erlaubt, sollten die Behörden sich mal Thailand, Japan und die Philipinen anschauen.
Die Sexarbeiterinnen in Peking kommen eher aus Vietnam, und weniger aus Thailand, denn dort verdienen "gute" Mädchen schon als Selbständige durchschnittlich 50 bis 150 € am Tag, wenn sie das denn wollen. Viele machen das eh nur nebenberuflich, nach Bedarf. Da ich selbst Sexarbeiterin als Escort bin, schaue ich mir immer sehr genau an, was in anderen Ländern los ist, die ich besuche oder beurlaube.