Kurz nach Beginn der Lewinsky-Affäre legte Alan Dershowitz ein Buch mit dem Titel Sexual McCarthyism vor, das Aufsätze des Autors aus der Zeit von 1993 bis 1998 enthält. Sie beschäftigen sich vorzugsweise mit dem wachsenden Einfluß einer fundamentalistischen Rechten im politischen System der USA. Die in New York erscheinende Zeitung Aufbau veröffentlichte dazu gerade ein Interview mit Dershowitz, das wir auszugsweise wiedergeben.
AUFBAU: Wann kam nach Ihrer Auffassung bei Präsident Clinton »Sexual McCarthyism« ins Spiel?
ALAN DERSHOWITZ: Nachdem der Sonderermittler Kenneth Starr sich zunehmend dem Privatleben Clintons zuwandte, habe ich den Begriff benutzt.
Starr ging es nur noch darum, Material gegen Clinton zu finden?
Welcher Art auch immer. Für mich war das eine bemerkenswerte Veränderung in der politischen Kultur Amerikas. Der Einfluß der religiösen Rechten wurde immer stärker. Die wollten Clinton von Anfang an abservieren. Es war der erste Präsident, der ein unverkrampftes Verhältnis zu Schwarzen und anderen Minderheiten hatte, der sich für die Rechte von Frauen - etwa das auf Abtreibung - und Homosexuellen eingesetzt hat. Und was ist Clintons schwache Stelle - natürlich sein Sex-Leben. Ich bin in der McCarthy-Ära aufgewachsen. Das Vorgehen McCarthys hatte drei Aspekte: Den politischen - »Bist Du oder warst Du jemals Kommunist?«; den juristischen - »Hast Du als Anwalt jemals einen Kommunisten vertreten?«; schließlich den sexuellen - »Bist du schwul oder sonstwie abnormal?«.
Dabei waren Sie zunächst ein FBI-Fan.
Das waren wir doch alle. Wir verehrten das FBI, aber dann habe ich begriffen, daß McCarthy und Hoover (*) Sex systematisch als erpresserisches Mittel eingesetzt haben.
Hoover wollte mit gezielten Indiskretionen auch Martin Luther King in den Selbstmord treiben.
Ja. »Sexual McCarthyims« beschreibt die neue Qualität, mit der hierzulande gegen Politiker vorgegangen wird. Das bedeutet eine Rückkehr in die fünfziger Jahre. So etwas haben wir 4 Jahrzehnte lang nicht gesehen. Jeder kannte Clintons Schwäche für Sex. Seine Frau hat das akzeptiert. Und kein Ermittler hat das Recht da herumzuschnüffeln. Ich mache einen Unterschied zwi-schen Journalisten, die heuchlerischen Politikern auf die Schliche kommen wollen, und staatlichen Ermittlungen, die mit ihrem ganzen Instrumentarium gegen einen Menschen vorgehen. Höhepunkt war die Veröffentlichung des Starr-Reports. Das Motiv war Erpressung: Starr wollte Clinton zum Rücktritt zwingen. Jedermann sollte ihn sich mit der Hose um die Knöchel vorstellen, aber die Rechnung ging nicht auf.
Sind nicht die moralischen Erwartungen, die man hiezulande an das politische Führungspersonal stellt, generell überzogen?
Wir sollten unsere Präsidenten nicht zu Vorbildern machen. Das sind mit Schwächen behaftete Menschen, die sich auf eine Sache besonders gut verstehen: Sie wissen, wie man Sympathien und Wahlen gewinnt. - Präsident wird man hier auf ganz merkwürdige Weise: Wir wählen obskure Provinzpolitiker wie Jimmy Carter oder Bill Clinton. In Europa arbeiten sich die Politiker über Jahrzehnte hoch - obwohl auch da charismatische Figuren wie Tony Blair und Gerhard Schröder die Wahlen gewinnen ...
Ist der Fundamentalismus der christlichen Rechten Ausdruck einer gesellschaftlichen Krise?
Üblicherweise schon, aber nicht hier und heute. Wir leben in der besten aller Zeiten - wirtschaflich, militärisch, außenpolitisch. Aber aus irgendeinem Grund ist Religion in Amerika so furchtbar wichtig geworden. Wir haben hier den höchsten Prozentsatz an Kirchgängern - wer sich in den USA als Atheist ausgibt, gilt als perverses Monster. Vor kurzem gab es eine Umfrage: Wen bewundern die Amerikaner am meisten? Platz eins: der Papst. Platz zwei: Clinton. Unglaublich. Aber vielleicht haben wir eine Krise der Medien und der Politiker in Washington. Die Rechte versteht nicht, daß die Amerikaner zwar sehr konservativ und religiös sind - wenigstens nach außen - und viel auf Familie halten. Aber dennoch wählen sie die Demokraten. Die christliche Rechte hat nicht den von ihr erhofften Zuspruch. Aber diese Leute wollen Erfolge: Eine Amtsenthebung Clintons wäre daher ein epochaler Sieg - ein großartiges Argument: »Schaut her, was wir alles fertigbringen! Schließt Euch uns an!«
Ein großartiges Argument für Fundraising.
Ja, man würde sie ernst nehmen. Und Pat Buchanan (1992 und 1996 gescheiterter republikanischer Kandidat - die Red.) würde wieder als Präsidentschaftskandidat der Rechten antreten. Der Mann ist das lächelnde Gesicht des Faschismus.
Starke Worte ...
Zu Buchanan zitiere ich William Bennett, einen Konservativen, der unter Präsident Bush für die Drogenbekämpfung verantwortlich war: »Buchanan ist ein großer Franco-Verehrer. Auch McCarthy ist ein Held Buchanans ...«
In Ihrem Buch sagen Sie, daß Kenneth Starr und die Republikaner mit ihrem Vorgehen das seit über 200 Jahren bewährte, sorgsam ausgetüftelte System der Gewaltenteilung zwischen Exekutive, Legislative und Judikative bedrohen. Dazu einen faschistischen Präsidentschaftskandidaten, und das Horrorszenario ist perfekt.
Wenn wir in den USA einen Wirtschaftscrash zur Jahrtausendwende bekommen, gepaart mit Terroranschlägen und vielleicht noch einigen unvorhersehbaren Katastrophen - dann könnte hier die fundamentalistische, christliche Rechte durchaus die Macht übernehmen.
Also doch eine Veränderung im politischen Klima?
Ich glaube, daß in den USA, im Nahen Osten und in vielen anderen Teilen der Welt die Gefahr fundamentalistischer religiöser Regimes droht. In Europa dagegen nicht - Europa ist der am wenigsten religiöse Kontinent.
(*) John Edgar Hoover war seit 1934 unter acht US-Präsidenten und 16 Justizministern fast 40 Jahre lang FBI-Chef.
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