Sexy

Linksbündig Schlechtes Fernsehen ist gut für die gesellschaftliche Werte-Diskussion

Schade eigentlich: Kultur in Deutschland kritisieren heißt, "frankfurtgeschult" über eine immer noch steigerungsfähige Volksverdummung im Stil von Big Brother und Deutschland sucht den Superstar abzulästern. Und seit dem als Dschungel herausgeputzten Abenteuerspielplatz Ich bin ein Star, holt mich hier raus ist sicher: Es wird noch viel schlimmer kommen. Dumm nur, dass sich RTL, Bild und Werbeindustrie über den aus den Tiefen der Volksseele rührenden Aufschrei der Empörung auch noch zu freuen scheinen. Und ärgerlich, dass die abgefrühstückten Erfolgsgaranten sex and crime nun auch noch um die Zutat Ekel erweitern werden. Sie haben es also vermasselt, die Kulturrevolutionäre: Ihre Kinder proben nicht den Aufstand, sondern hocken andächtig vor der Glotze. Klar, schuld ist die kapitalistische Verwertungslogik und die Privatisierung des Fernsehens. Denn selbstverständlich reißen sich die Privaten alles unter den Nagel, was Quoten und damit Werbeeinnahmen bringt. Stimmt ja auch. Doch man kann dem wie ein Mantra rezitierten Kulturverfall auch einiges abgewinnen. Er lädt nämlich dazu ein, einige als outmoded abgehakte Fragen neu zu verhandeln.

Beispiel Menschenwürde. Wer verletzt sie, wenn Menschen wie du und ich einwilligen, sich in Talkshows, in Containern oder im Dschungel zu Deppen machen zu lassen? Wenn KandidatInnen per Vertrag auf ihre Privatsphäre verzichten, und die ZuschauerInnen dann mit nervtötendem Alltag konfrontieren - verletzt Langeweile die Menschenwürde? Jedenfalls nicht, wenn die Beteiligten darin eine Bühne sehen, sich im Kampf um die begehrte Droge Aufmerksamkeit wie auch immer ungelenk zu inszenieren. Über etwas anderes lohnt die Aufregung dagegen schon. Zwar bleibt uns hierzulande noch russisches Roulette mit einer Prämie (reichen 1.000 Euro?) für die überlebte Endrunde erspart. Auch für einen Arbeitsplatz als Belohnung hat noch kein Sender willige KandidatInnen Kuhaugen essen lassen. Und in einen Wettstreit zur Ermittlung der größten Schmerzresistenz mit Daumenschrauben hat ebenfalls noch niemand eingewilligt. Aber was sind wir gewillt zu ertragen? Wenn wir Kultur als einen Ort begreifen, an dem Werte geteilt, gelebt und verhandelt werden, ist genau dies die Gelegenheit, sich über Grenzen einer gemeinsamen Kultur auseinander zu setzen. Nicht abstrakt über eine Infantilisierung der Gesellschaft, sondern konkret am Fall.

Am Thema Menschenwürde hängt aber auch eine Generationenfrage. Genauer: eine Verschiebung der Grenzen zwischen öffentlich und privat. Die Jungen heute wissen nichts mehr von der Überwachungsphobie der 1980er-Volkszählungsgeneration. Dagegen gilt es als sexy, beobachtet zu werden, Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Eins hat die Generation Golf mit Sicherheit gelernt: Sich auf dem heutigen, ständig wechselnden Identitätsmarkt publikumsgerecht zu präsentieren. Warum auch nicht? Ist es so beängstigend, wenn sich bei einer Unfrage unter StudentInnen 15 Prozent vorstellen können, selbst mal in den Big Brother-Container zu gehen? Was ist so schlimm daran, dass sich die Studentin Jennifer Ringley fast neun Jahre lang mit einer Webcam in ihrem Zimmer über das Internet beobachten ließ - "einfach so"? Wohlgemerkt: Es sind nicht nur die immer wieder so gern als Pappkameraden aufgestellten Dumpfbacken, die in hirnloser Glückseligkeit vor dem Flachbildschirm dahindämmern und die Einschaltquoten in die Höhe treiben. Auch bildungsnahe Bevölkerungsgruppen finden dort zusammen: in intellektualisierter Häme zwischen "Shakespeare? Wo hat der mitgespielt?", glitschigen Aalen unterm Helm im Dschungelaquarium und der Frage, ob nun eine Lesbe zum neuen Superstar auserkoren wird.

Ist es am Schluss die neue Form der Ehrlichkeit, was in die Jahre gekommene KulturkampfhüterInnen so auf die Palme treibt? Das herzerwärmende Bekenntnis zu "stumpf ist Trumpf" sogar kultureller Eliten? Die Unverschämtheit, mit der Motive wie Schadenfreude instrumentalisiert werden? Wenn sich die Kritik daran aufhängt, dass Wohnheim-Container- oder DschungelinsassInnen dies zu bewusstseinserweiternden Grenzerfahrungen stilisieren, heißt das vor allem eines: eine zumeist ältere Generation fühlt sich von den neuen Grenzziehungen zwischen öffentlich und privat überfordert. Dabei müsste das gar nicht so bedrohlich sein. Man könnte sich von den neuen Formaten auch einmal hemmungslos verunsichern lassen.


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