Shining

Linksbündig Mehr als ein paar indische Geschmacksproben hat die Frankfurter Buchmesse nicht präsentiert

Wenn die Frankfurter Buchmesse ihre Länderschwerpunkte setzt, sind die Erwartungen hoch. Man will Neues lernen, über unbekannte Literatur und ihre Autoren, über die Kultur und die Verhältnisse des Gastlandes. Der diesjährige Schwerpunkt war, man konnte es kaum übersehen, Indien, die Medien haben intensiv rezensiert, kommentiert und berichtet, mit etwa 50 Neuübersetzungen blieb die kulturelle Vermittlungsarbeit der Verlage aber bescheiden. Überwiegend haben sie aus der englischsprachigen Literatur übersetzen lassen, denn Indien steckt in Sachen Literatur tief im Prozess der Globalisierung, und zu deren Erfolgsrezepten gehört der englisch schreibende Inder (und langsam auch die Inderin). Aus New York, Toronto oder London her nehmen sie sich der indischen Sache an und literarisieren sie im Horizont des westlichen Blickes. Das hat sich seit den Erfolgen von Rushdie und Naipaul, Seth und Gosh bewährt, das wird auch mit der jüngeren Generation Chandra und Mehta, Tyrewala und Tharoor, Desai und Dasgupta so gehen.

Der Autor Kiran Nagarkar dreht den Spieß nun um. Er lebt in Indien und schreibt über die USA. Über das Big Business von Börsenspekulation und Waffenhandel, Politik und Terror und über das organisierte religiöse Wahnsystems in George Bushs Amerika. Bisher lang fragte jedermann bei dem Stichwort Indien immer reflexhaft nach Religion. In dieser Hinsicht enttäuschen die angloindischen Großstadtromane positiv und bieten wirklich Neues. Man erfährt, wie vorgeblich religiöse, in Wahrheit chauvinistische Kräfte Politik machen und wird direkt auf den Kernpunkt der politisch orientierten Metropolenliteratur gestoßen: die Kritik am wirtschaftsliberalen Weltbild, das in Indien unter dem Label "Shining India" firmiert. Hier unterläuft der "Selbstläufer" Metropolenroman die Erwartungen des Marktes und legt andere politische und kulturelle Realitäten frei als die, die man schon zu kennen glaubte oder die einem die eigenen Indienexperten immer in euphorischen Farben schilderten: Indien als High Tech- und Weltmacht der Zukunft und Globalisierungsgewinner.

Soweit, so neu. Was aber bei dem einwöchigen Frankfurter Indien-Hoch aber fehlte, war die Seite der Verlierer, der Bauern und der Stämme, die sich in einer anderen Form artikulieren. Man nennt sie behelfsmäßig und vorläufig "regionale Literaturen", geschrieben in mehr Sprachen als Europa Länder aufweist. Aus diesem Fundus stammen Erfahrungen, die mehrere hundert Millionen Menschen repräsentieren. Aber aus ihren Diskursen lassen sich eben keine Texte herausbrechen, die zum Globalgeschäft in Frankfurt passen. Was diese Menschen bewegt, wird selten auf Englisch formuliert, Arundathi Roy ist da eine Ausnahme, Kiran Desai mit ihrem neuen Roman aus den Küchenkellern New Yorks und den Kampfzonen im indischen Hochland auch. Man will offensichtlich nicht ganz so genau wissen, wie die Globalisierung für die Massen aussieht, ob sie sich damit arrangiert oder etwa aufbegehrt, jedenfalls nicht von den Autoren, die diese Welt der Armut repräsentieren. Sie passt nicht zu dem, womit sich die Geschäftswelt Buch in Frankfurt "kulturell austauschen" will.

Mit einigen lobenswerten Anthologien, Gedichtbänden oder ausgewählter Prosa aus ein paar Hauptsprachen Indiens sollte sich das deutsche Publikum nicht der Illusion hingeben, es hätte damit mehr als ein paar indische Geschmacksproben gekostet. Ebenso wenig der Illusion, die Länderschwerpunkte auf einer kommerziellen Messe wären Umschlagplätze revolutionärer Literatur. Das hat Arundhati Roy deutlich gezeigt, indem sie nicht nach Frankfurt kam, das hat Mahasveta Devi gezeigt, indem sie zwar kam, aber ihre übersetzten Bücher eben nicht vorgelegt wurden, jedenfalls nicht angemessen in der Presse wahrgenommen wurden. Aber was hat man auch erwartet? Es liegt in der Natur politisch engagierter Literatur, dass sie ihre eigenen Wege sucht. Die Schätze, die sie birgt, taugen nicht so recht für den Frankfurter Messebetrieb, der sich jetzt vor allem um die immer gieriger betriebene Mehrfachverwertung der Literatur kümmert. Mit 60 Prozent so genannten "Non-Books" (CDs, Hörbücher, Video, Spektakel) setzt Frankfurt seine eigene Flagge für die Globalisierung, und am Ende der Fahnenstange wird womöglich ein ganz neuer Begriff stehen müssen - Non-Literatur.


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