Show

Linksbündig Die Frankfurter Buchmesse probte die Sprengkraft des Wortes

Der "Aufstand der Vernunft" sollte stattfinden, Präsentation eines Buches von amerikanischen Autoren, am Stand des kleinen Verlags derFunke, am Ende einer Gasse. Während sich ein paar Journalisten versammelten und das Laufpublikum eben stehen blieb, der Autor anhob zu reden, begann eine bekannte weiche Stimme über Lautsprecher das Nichts zu verkünden. Dieter Bohlen las seine unbeholfen formulierten Belanglosigkeiten. Das Publikum strömte und verfiel in lautes Entzücken. Die Vernunft soff stimmlos ab. Keine Kabarettszene, aber auch keine wirklich neue Entwicklung.

Seit Jahren sind die auf Buchformat gewalzten Klatschspalten der Regenbogenpresse Publikumsrenner. PISA betrifft schließlich nicht nur die Naturwissenschaften. Das Medium Buch wehrt sich nicht immer geschickt gegen die Überfremdung durch Show. Statt die Nase zu rümpfen, weil Literatur fremde Aspekte über Erfolg und Nichterfolg bestimmen, sollten Macher wie Vermittler jenes Körnchen Wahrheit beherzigen, das da heißt: auch Qualität setzt sich nicht von allein durch. Sie braucht ein bisschen Show, um entdeckt zu werden. Erst danach kann sie sich in die Stille zurückziehen, in der ihre Facetten zu leuchten beginnen.

Herstellung und Absatz sind rückläufig, nicht nur die kleinen Verlage, vor allem die großen beklagen Einnahmeverluste. Da spart das seriöse Buch an den Nebenkosten. Weniger Werbung, weniger Veranstaltungen. Dabei ist immer wieder verblüffend, wie attraktiv das gelesene Wort sein kann, wenn es denn professionelle Vorleser findet, deren Stimmvariation, Pausentechnik, gestische Untermalung aus einer kleinen Szene einen Theaterabend macht. Manchmal sind die Autoren selbst Talente, manchmal lassen sich Schauspieler dafür gewinnen. Die Veranstaltung von Rowohlt-Verlag und Literaturhaus im ausgebuchten Schauspiel Frankfurt, in der Jonathan Franzen seinen neuen Roman Die Korrekturen vorstellte, funktionierte nicht nur, weil ein attraktiver Autor pointiert las und antwortete, sondern auch, weil der Schauspieler Christian Brückner die tragikomischen Elemente dieses letzten Versuchs, das Leben trotz Parkinson und verkrampfter Kleinbürgerlichkeit noch einmal zu genießen, als Alltagsstück darzubieten verstand. Jahrhunderte lang waren Bücher nicht nur gelesene Objekte der Erbauung, sondern Anregungen des Geistes, Rezitationstexte, sogar in Schönheitswettbewerben gekürte Kunstgegenstände. Und es gibt sie noch, es gibt sie sogar als Verlagsprogramm. Der Leipziger Verlag Faber und Faber versichert sogar, die Einbußen beim Verkauf dieser "Schönen Bücher" seien vergleichsweise gering.

Literatur als Band zwischen den Kulturen der Völker wird in Frankfurt jährlich mit einem Messethema bedient. In diesem Jahr versuchte Litauen auf sich aufmerksam zu machen. Anwärter auf die EU-Mitgliedschaft und sicher im Sympathie-Spektrum der Deutschen auf einer der höheren Sprossen, kämpfte es tapfer gegen die Leere. Das muss nicht Desinteresse heißen, die mühsame Vermittlung durch Übersetzer ist immer eine Hürde für direktes Publikumsinteresse, der literarische Erfolg braucht längere Umwege. Selten gesprochene Sprachen müssen nicht rezeptionsfeindlich sein. Das beweist der am Donnerstag bekannt gegebene Name des diesjährigen Nobelpreisträgers für Literatur: Imre Kertész, Ungar, einer von denen, die keiner Gesellschaftsordnung zum Munde schrieben. Ein kompromissloser literarischer Geist, der - ähnlich wie György Conrad seine Bücher zuerst in Deutschland herausgeben musste. Sein Namen fiel in einer Veranstaltung vom P.E.N. Zentrum Deutschland, deren Sektion Writers-in-Prison über verfolgte Kollegen informierte. Die Zahlen sind erschreckend hoch - ein Indiz dafür, das die Sprengkraft des Wortes nicht ausgehöhlt werden konnte - die Zahlen sind gewachsen. Erstmals nach dem 11. September auch wieder in westlichen Ländern. Eine Sekunde sah man das Gesicht von Nelson Mandela. Afrikas alte Männer verkörpern eine Wärme und Glaubwürdigkeit, die aus innerer Ruhe, aus der Gelassenheit eines uralten Kontinents zu kommen scheinen. Chinua Achebe erhält den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels. Eine der "kräftigsten und zugleich subtilsten Stimmen des Kontinents". Wohl wissend, dass es noch keine einheitliche Zivilisation gibt, wirbt er als "unnachgiebiger Lehrer und Moralist", als "großer Erzähler" dafür, dass alle Kulturen ihr zuarbeiten, sie tragen. Damit Menschenrechte mehr sind als Proklamation.

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