A-Z Kandidaten Peer Steinbrück ist mit überwältigender Mehrheit zum Kanzlerkandidaten gewählt worden. Aber was macht einen guten Kandidaten aus? Dies und mehr verrät unser Lexikon
16.000 Mark hat unsere Community-Redakteurin Maike Hank mal als Kandidatin in der Sendung "Hast Du Worte" gewonnen - hier mit ihrem Promi-Partner Götz Alsmann
Screenshot: Der Freitag
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Assessment Center Das Personalauswahlverfahren ist der Bewerber-Alptraum. Doch nicht die USA und ihre Standardisierungswut haben es erfunden, sondern Reichswehrpsychologen in den zwanziger Jahren. Die Offiziersanwärter sollten nicht mehr nach Herkunft, sondern nach objektivierbaren Kriterien ausgewählt werden. Heute gibt es für alles rund um die Arbeit ein Assessment-Center, sogar zur „Berufsbild-Konkretisierung“. Beliebt ist die Postkorbübung. Hier wird Büroalltag nachgestellt, indem Bewerber unter Dauerbeobachtung fiktive Dokumente abarbeiten und Prioritäten setzen müssen. Das macht Stress. Der Trend reicht bis in die Schulen, ein Berliner Gymnasium experimentiert damit. In München findet ein Assessment-Center zu seinen Wurzeln zur
in Assessment-Center zu seinen Wurzeln zurück, es zieht in ein ehemaliges Kreiswehrersatzamt. Anna FastabendEEwiger Kandidat Die Bezeichnung ist so greifbar wie Apfelkompott. Sie enthält durchaus Wertschätzung, denn immerhin steht man auf der Shortlist für etwas – ein Amt, eine Mitgliedschaft, einen Titel. Und doch ist der ewige Kandidat ein Gescheiterter. Er ist gut, aber nicht gut genug. Wie die niederländische Nationalmannschaft. Vor jedem großen Turnier ist sie unter den Titelfavoriten und versagt seit 24 Jahren. Auch mal ein ewiger Kandidat im Fußball: Peter Neururer. Wenn es bei einem Verein brannte, fiel sein Name. Mittlerweile geistert er nur noch durch Fanforen des VfL Bochum. Seine Position als Immer-Genannter und Nie-Geholter hat Lothar Matthäus übernommen. Von der Türkei werden keine Titel erwartet, sie soll nur so werden wie wir. Sie ist der ewige EU-Beitrittskandidat. Manchmal hat die Warterei aber auch ein Happy End. Günter Grass bekam tatsächlich irgendwann den Nobelpreis, und Christian Wulff wurde im dritten Anlauf Ministerpräsident von Niedersachen. Später sogar Bundespräsident. Seine Kandidatenschaft dafür war so kurz wie seine Präsidentschaft. Mark StöhrFFernsehduell Es ist die Königsdisziplin des politischen Kandidaten. Im Fernsehduell darf er den Amtsinhaber vor laufender Kamera angreifen und darlegen, was er anders machen würde, wenn, ja wenn er aus dem Kandidatenstatus nur in den Status des Amtsinhabers überwechseln dürfte. Bei der direkten Konfrontation vor Live-Publikum geht es dabei – mehr noch als im Rest des Wahlkampfs – nicht nur um den Austausch von Sachargumenten, sondern um all die Kleinigkeiten, die nebenbei noch kommuniziert werden. Jeder Augenaufschlag, jedes Zucken im Gesicht, jedes Händeringen ist daher heute Anlass für eine Live-Analyse mittleren Umfangs.Als erstes großes Duell der TV-Geschichte gilt das Aufeinandertreffen von Richard Nixon und John F. Kennedy in Chicago am 26. September 1960 (Foto). Nixon erschien schlecht rasiert und schwitzte im Scheinwerferlicht stark. Er verlor das Duell – und die Wahl. Zwei Grundregeln gelten seitdem für männliche Kandidaten als unumstößlich: immer schön rasieren und genug Abdeckpuder benutzen. Jan PfaffKKür Wenn ein designierter Kandidat nicht immer nur designierter Kandidat bleiben soll, muss er irgendwann zum offiziellen Kandidaten gekürt werden. Diese Statusänderung ist bei politischen Parteien normalerweise nur ein formaler Akt. Es sei denn, sie machen eine Urabstimmung daraus wie die Grünen – und watschen ihre Vorsitzende ab, um sie anschließend wieder mit Süßkram zu bewerfen.In der Regel findet zwar noch eine Abstimmung durch die Delegierten statt, hinter der Kulisse stehen aber bereits die Blumensträuße. Das gilt auch für die Rührung des Kandidaten. Die Kür muss unbedingt harmonisch ablaufen. Ein paar Querulanten und Wichtigtuer gibt es immer, jedes Wahlergebnis unterhalb der 80 Prozent ist jedoch ein Debakel. Ob das eine rote Linie für Peer Steinbrück ist, wenn er am 9. Dezember auf dem Sonderparteitag der SPD zum Kanzlerkandidaten ernannt wird? MSLLiebe Seit Menschengedenken wird in Liebesdingen das Kandidaten-Prinzip genutzt. Früher hatten die Herzensdamen kein Mitspracherecht, der Jüngling, der den Lindwurm bezwang, durfte das Burgfräulein zum Altar führen. Heute ist das anders. Vor zwanzig Jahren galt es als prickelnd, wenn Kandidaten bei Herzblatt ihre vorformulierten Schlüpfrigkeiten hinter einer Wand vortrugen und bei Erfolg gemeinsam einen Hubschrauberausflug nach Hintertupfing machen durften. Heute wird bei Bauer sucht Frau, Schwiegertochter gesucht oder Der Bachelor (Vorsicht, vorgetäuschtes Niveau!) eine sozialpornoartige Reality-Doku gestrickt, die weit über die Schmerzensgrenze aller Beteiligten hinausgeht. Auch kann man nicht mehr sicher sein, dass die Jünglinge allein wegen der holden Fräulein teilnehmen – manche streben heute wohl eher danach, Schlagersänger am Ballermann zu werden. Sophia HoffmannPPhilip Roth Es ist der alljährliche Running Gag: Man wisse zwar nicht, wer den Literaturnobelpreis bekomme, aber klar sei schon mal, dass der Preisträger nicht Philip Roth heiße. Das ist schon tragisch. Da gilt einer den meisten Feuilletonisten als einer der besten Autoren der Gegenwart und wird regelmäßig als Anwärter für den Nobelpreis genannt. Was es so auch nur beim Literaturnobelpreis zu geben scheint. Und dann bleibt er doch nur ➝ewiger Kandidat. Warum, das fragen sich eigentlich alle. Kürzlich hat Roth erklärt, nicht mehr schreiben zu wollen. Man kann annehmen, dass er es nicht aus Frust über sein langes Kandidaten-Dasein tut. Zumal dieses Kapitel damit nicht vorbei ist. Vielleicht bekommt er ja doch noch irgendwann der Preis für sein Lebenswerk. Auf der Kandidatenliste jedenfalls steht Roth sicherlich wieder. Benjamin KnödlerProtzen Studienzeit ist harte Zeit, und so mancher, der früher ins 20. Semester ging – was dank Bologna nun schwieriger ist –, wollte was darstellen. Ich hatte einmal einen Nachbarn, neben dessen Klingel ein großkotziges cand. jur. stand, was ihn wohl als Kandidaten der Jurisprudenz ausweisen sollte. Er wohnte einige Zeit unter mir, und ich fragte mich gelegentlich, wann er den unwürdigen Kandidatenstatus endlich hinter sich lässt. Was ich nicht wusste: Diese Titelprotzerei ist nach § 132a Abs. 2 StGB verboten, weil sie mit realen akademischen Graden im Ausland zu verwechseln ist. Eines Tages verschwand der Schnösel über Nacht aus der Wohnung unter mir. Vielleicht hatte er ja sein Examen bestanden und fand die Umgebung nicht mehr standesgemäß. Vielleicht landete er aber auch im Knast wegen Täuschung. Ulrike BaureithelQQuiz-Show 1999 war ich Kandidatin bei der Show Hast du Worte mit Thomas Koschwitz, die wie Dieter Thomas Hecks Die Pyramide funktionierte: Teilnehmer und Prominente erklärten sich gegenseitig zu erratende Begriffe, und es gab Geld. Für den Fall, dass ich gewinnen würde und weiterkam, hatte ich am Tag der Aufzeichnung mehrere Kleider dabei. In der Maske erhielt ich eine Föhnfrisur und wurde stark geschminkt. Nach langem Warten ging es los. Alle Kandidaten vor mir hatten gegen eine hartnäckige Frau verloren. Doch ich konnte sie stoppen, und nun war ich die Unbeliebte, die alle in die Knie zwang. Nur das Team hielt zu mir, änderte für jede neue Aufzeichnung meine Frisur und Kleider.An die meisten Prominenten an meiner Seite kann ich mich nicht mehr erinnern. Im Gedächtnis geblieben sind Christine Neubauer, Herzblatt-Moderator Christian Clerici, der nur vor der Kamera charmant war und dort handküssend vor mir auf die Knie sank, sowie der großartige Götz Alsmann, der mich später bei einem zufälligen Treffen zu seiner Show einlud. Schließlich gewann ich 16.800 Mark, die ich in den nächsten zwei Jahren ausgab. Leider ist die diesjährige Neuauflage von Die Pyramide gefloppt. Dabei hätte ich dort gern mein Comeback als Kandidatin erlebt. Maike HankRRobert Redford Im Film The Candidate von 1972 spielt Robert Redford Bill McKay, einen unbekannten und damit vermeintlich chancenlosen Kandidaten, der von den Demokraten ins Rennen geschickt wird, um das drohende Wahlfiasko zu verhindern. Unter der Bedingung, selbst zu entscheiden, was er sagen wird, sagt McKay zu. Damit wird er zum Schreck für jeden Berater und entlarvt gleichzeitig die Mechanismen des amerikanischen Wahlkampfes, die sich mittlerweile auch auf Deutschland übertragen haben. Kurz: Ein 110-minütiger Workshop für Kandidaten jedweder Partei-Couleur. Auch, weil zahlreiche Wahlkampfmanager, entweder beratend oder mitspielend, an dem Film beteiligt waren. Gina BucherTToga Marcus Tullius Cicero war ein typischer Aufsteigertyp im alten Rom. Er kam zwar nicht gerade aus der Plebs, sondern aus dem zweitklassigen Adel, doch auch das prädestinierte ihn nicht unbedingt zu der herausragenden Karriere, die er hinlegte. 63 v. Chr. wurde er Konsul, höher ging es nicht. Dass er die Wahl dazu für sich entschied, hatte Cicero vor allem seiner Redekunst zu verdanken. Wie in Rom üblich traten die Bewerber in der „toga candida“ auf, einer weißen Toga, deren neutrale Farbe die Chancengleichheit aller „Kandidaten“ garantieren sollte. Ciceros wichtigste Rede, die ihm letztlich den Sieg brachte, hieß dann auch „in toga candida“. Er wetterte darin insbesondere gegen seinen Mitbewerber Catilina, einen korrupten Fiesling, der vor nichts zurückschreckte. Catilina revanchierte sich dafür Jahre später mit einem Putsch, das aber ist eine ganz andere Geschichte. MSTrainer Läuft es im Fußball für eine Mannschaft nicht, soll meist ein neuer Trainer helfen. Inzwischen überrascht es nicht mal mehr, wenn dann auch wieder Lothar Matthäus als möglicher Kandidat herumgeistert. Ihn freut es wohl, will er sich doch so gern als Trainer auch mal in der Bundesliga beweisen dürfen. Viele Clubs sollen zumindest schon mal mit ihm verhandelt haben. Allein, bislang will es nicht klappen. Wenn es nicht an Zweifeln des Präsidiums scheitert, dann am Widerstand der Fans. Das große Misstrauen gegen Matthäus liegt vielleicht auch daran, dass er sich, wenn es schon kein anderer tut, in einzigartiger Manier selbst bei trainerlosen Vereinen ins Gespräch bringt und sich damit selbst rausschießt. Kürzlich erst hat er sich dem TSV 1860 München empfohlen. Die Stadt kennt er ja, und Trainer kann er auch. Er weiß es. BKZZählkandidat Der Duden definiert einen Zählkandidaten klar: „Kandidat, der keine Aussicht hat, gewählt zu werden“. Solche Figuren werden meist aufs politische Schachbrett geschoben, um den jeweiligen Parteianhängern anzudeuten, dass man noch da ist. Hoffnung verbindet damit niemand wirklich. Peter Sodann als Bundespräsidentenanwärter war so ein Fall, die Grünen-Doppelkandidatur ist ein weiterer. Dass man zwei Zählkandidaten einsetzen kann, um einen dritten wie eine Spitzenkraft aussehen zu lassen, hat die SPD erlebt. Hat wirklich jemand geglaubt Steinmeier oder Gabriel wären je parteiintern ausgewählt worden? Sie sollten nur die Steinbrück-Wahl irgendwie plausibel machen. Tobias Prüwer
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