Sie erzählen das Märchen vom Teilen

Vermarktung Die eigene Wohnung jemandem zu überlassen und dabei Geld zu kassieren ist lukrativ und gesellschaftlich gefährlich
Ausgabe 47/2016

Sharing Economy, prophezeit der US-Ökonom und -Soziologe Jeremy Rifkin, könne den Kapitalismus überwinden und eine neue soziale Weltgemeinschaft errichten. Allein durch die Nutzung der Sharing-Plattformen führten wir eine bessere Welt herbei. Und mehr noch: Glaubt man den Werbekampagnen der Start-up-Branche, werden wir, ganz ohne unser eigenes Zutun, zu besseren Menschen, da uns die Sharing Economy zum Teilen animiert.

Was aber geschieht tatsächlich mit der Praxis des Teilens, wenn man diese vermeintlich neue Art des Wirtschaftens zum Teilen erklärt? Was geschieht mit unseren sozialen Beziehungen, wenn man dieses Wirtschaften als Teilen vermarktet? Mit der Aussage „Teilen macht satt“ wirbt etwa der Essenslieferdienst Deliveroo. „Teilen leicht gemacht“ ist eine Parole des Bezahlservice Paypal. Beide führen völlig in die Irre.

Dass beim Geschäftsmodell der Sharing Economy überhaupt von Teilen die Rede sein kann, bestreitet Adam Parsons von der Londoner Nichtregierungsorganisation „Share The World’s Resources“, die sich für die Prinzipien des Teilens und der Kooperation als Basis für eine gerechtere Verteilung von Kapital und Ressourcen zwischen und innerhalb von Staaten starkmacht. Für Parsons sind Sharing und Economy, sind Teilen und Wirtschaften ein Widerspruch in sich. Teilen sei eine Praxis, die sich vor allem am Wohl anderer orientiert sowie Großzügigkeit und Mitgefühl ausdrückt. Dagegen sei das Wirtschaften am Markt rein individuell ausgerichtet, diene dem eigenen Vorteil.

Man teilt somit noch lange nicht, wenn man Sachen gemeinsam nutzt, also etwa seinen privaten Wohnraum via Airbnb an Fremde vermietet. Die Absicht des Teilens muss einer sozialen Logik folgen. Doch sobald Geld ins Spiel kommt, wird das schwierig. Daher sei die Sharing Economy mit ihrer kapitalistischen, profitmaximierenden Grundausrichtung kein Teilen, sagt Parsons. Herkömmliche Marktmechanismen würden schlicht umbenannt und zur sozialen Tätigkeit erklärt, besonders seitdem die Verhaltensökonomik uns gelehrt hat, dass sich Menschen besser steuern lassen, wenn man an ihr soziales Gewissen appelliert.

Im Gegensatz zum Markt

Folgt man dieser Kritik, ließe sich in Bezug auf die Sharing Economy das komplette Gegenteil von dem behaupten, was deren Befürworter, die wie Jeremy Rifkin das Ende des Kapitalismus prophezeien, ihr zuschreiben. Wir teilen nicht, anstatt zu konsumieren, sondern wir verwerten vermehrt Ressourcen, die wir eigentlich teilen könnten – beispielsweise in Freundschaften und anderen informellen Beziehungen. Denn im Gegensatz zu Marktbeziehungen leben informelle Beziehungen davon, dass man Dinge miteinander teilt. Größtenteils geht es dabei um Immaterielles, um Gedanken, Gefühle, Erfahrungen, Erlebnisse. Aber auch das Teilen materieller Güter fördert und stärkt die Verbundenheit. Die Praxis des sozialen Teilens ohne konkrete oder direkte Gegenleistung ist für den Erhalt dieser Beziehungen wichtig. Geht sie verloren, so verändert das unseren Umgang miteinander fundamental.

Durch die Sharing Economy, mit der ein Markt für das Teilen entstanden ist, konkurriert diese Praxis des Teilens immer stärker mit der egoistischen Logik des Marktes. Wenn ich mich dazu entschließe, meine Ressourcen auf dem Sharing-Markt anstatt im Privaten zu teilen, dann kann ich damit Geld verdienen. Oder andersherum: Wenn ich meine Wohnung Freunden überlasse, anstatt sie in diesem Zeitraum zu vermieten, dann entgehen mir potenzielle Einnahmen. Diese Entwicklung könnte dazu führen, dass wir immer seltener Güter oder Hilfe ohne vergleichbare Kompensation zur Verfügung stellen.

In seiner Rubrik „Gewissensfrage“ hat das jüngst das Magazin der Süddeutschen Zeitung zum Thema gemacht: Sollte jemand, der über Airbnb seine Wohnung mit Fremden „teilt“ und in der Zeit bei einer Freundin unterkommt, seine Rendite mit dieser Freundin teilen? Hier stehen sich die neue und die alte Form des Teilens exemplarisch gegenüber. Der eine teilt über Airbnb und verdient daran, der andere teilt und erhält dafür keine spürbare Gegenleistung, zumindest keine monetäre. Natürlich fühlt sich das im ersten Moment nicht ganz richtig an.

Im Ergebnis werden freundschaftliche Praxen zu potenziellen Waren, da man in der Sharing Economy weiß, wie viel sie wert sein könnten, wenn man sie am Markt veräußert. Die Dinge und Handlungen, die vorher innerhalb von informellen Beziehungen keinen messbaren Tauschwert hatten, werden als Markbeziehungen somit eindeutig quantifizierbar.

Kein Diktat der Technik

Wenn man so will, dann stellt sich die Gewissensfrage, weil uns Start-ups glauben machen, dass es eine weitere legitime Form des Teilens gibt, die zudem viel lukrativer sein kann. Lukrativ ist sie. Doch ein angemessenes Substitut für unsere bisherige Praxis des Teilens ist sie nicht.

Natürlich sind die technologischen Entwicklungen, mit denen der Aufstieg der Sharing Economy einhergeht, nicht aufzuhalten. Aber darum geht es nicht. Wir sollten vielmehr vorsichtig sein, wie wir die Praxen benennen, in denen wir leben, so dass sich ihr normativer Kern nicht unbemerkt verändert und verschiebt.

Die Nutzung von Airbnb ist nichts anderes als der Verkauf meines Wohnraums, Carsharing der Verkauf von Nutzungsrechten an meinem Auto. Sind wir uns darüber im Klaren, sollten sich auch die Entscheidungen nicht großartig verändern, wenn es darum geht, Freunde bei sich wohnen zu lassen oder sein Auto mit ihnen zu teilen. Idealerweise sollten sie weiterhin auf der Grundlage der Freundschaftsbeziehung selbst getroffen werden.

Die Ursprünge des Silicon Valley und der Pioniere der Sharing Economy liegen nicht nur an den Elite-Hochschulen Kaliforniens, sondern ebenso in der dortigen Hippie-Bewegung. Für einige der ersten Gründer und Programmierer sollen deren Modelle alternativer Wirtschaftsformen der 1960er Jahre wichtige Inspirationsquellen gewesen sein. Doch die eigentliche Motivation jener Alternativen war es, unsere sozialen Beziehungen aus dem festen Griff des Marktes zu befreien. Es lässt sich darüber streiten, ob die Sharing Economy diesen Idealen gerecht werden kann oder ob sie nur eine Erweiterung des Kapitalismus ist. In jedem Fall sollten wir Sorge tragen, dass unsere persönlichen Beziehungen und die sozialen Formen und Praxen, die diese Beziehungen tragen, nicht schleichend von einer Marktlogik unterwandert werden.

Theresa Clasen promoviert an der Humboldt-Universität Berlin in Sozialphilosophie zu Fragen des sozialen Zusammenhaltes in radikalen Demokratiemodellen

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