Sie haben die Zügel in der Hand

AfD Der Bundesparteitag in Braunschweig zeigt: Das rechte Projekt umfasst zwar viele Strömungen, doch für den Flügel um Andreas Kalbitz und Björn Höcke läuft es bestens
Zwei Wendehälse unter sich: Die AfD-Parteivorsitzenden Jörg Meuthen und Tino Chrupalla
Zwei Wendehälse unter sich: Die AfD-Parteivorsitzenden Jörg Meuthen und Tino Chrupalla

Foto: Ronny Hartmann/AFP via Getty Images

Noch vor einigen Wochen war zu befürchten, dass der Flügel beim Bundesparteitag der AfD in Braunschweig nach der absoluten Macht greift. Auf den ersten Blick ist den Völkischen das nicht gelungen – immerhin sind die gewählten Vorsitzenden Jörg Meuthen und Tino Chrupalla keine dezidierten Flügel-Männer. Und auch Björn Höcke hat entgegen vollmundiger Ankündigungen im Sommer doch nicht für einen Sitz im Bundesvorstand beworben. Stimmt also, wie häufig behauptet, dass der Flügel nur etwa ein Drittel der Partei ausmacht?

Bundesparteitage der AfD sind immer eine Stunde der Wahrheit – vor allem hinsichtlich der Machtarithmetik. In Braunschweig zeigte sich, wie stark die jeweiligen Strömungen in der Partei sind. Rechnet man die Ergebnisse beim Parteitag zusammen, lässt sich folgende Verteilung der Delegierten feststellen: Ungefähr die Hälfte sind mehr oder weniger dem Flügel zuzurechnen. So wählten 50,3 Prozent Andreas Kalbitz wieder in den Bundesvorstand – ein beachtliches Ergebnis, ist doch mittlerweile allen bekannt, dass der Chef der AfD in Brandenburg eine lupenrein rechtsextreme Vergangenheit hat, eine, von der er sich bis heute nicht distanziert hat.

Drei Männer ohne Chance

Doch was ist mit der anderen Hälfte? Die ist gespalten. Der eine Teil fiel in den vergangenen Monaten durch Distanzierungen vom Flügel auf. Vor allem Georg Pazderski aus Berlin, Uwe Junge aus Rheinland-Pfalz und Kay Gottschalk aus Nordrhein-Westfalen kritisierten den Flügel zwar kaum inhaltlich, machten sich aber dafür stark, der AfD aus strategischen Gründen ein gemäßigteres Image zu verpassen. Die Quittung: In Braunschweig kandidierten alle drei für den Bundesvorstand – und hatten keine Chance.

Ein anderer Teil will sich zwar nicht zum Flügel bekennen, kooperiert aber offen mit ihm. Wendehälse wie Jörg Meuthen, Tino Chrupalla und Alice Weidel werden nur mit Flügels Gnaden gewählt. Die Völkischen wissen, dass sie die moderat erscheinende Aushängeschilder mittelfristig brauchen, wollen sie nicht nur ein Klientel ansprechen, das ein gefestigt geschlossenes rechtsradikales Weltbild hat. Gerade den geschichtsbewussten Rechtsradikalen ist bewusst: Wer eines Tages die Macht übernehmen will, ist auf die opportunistischen Teile der Konservativen, des Kleinbürgertums und des Kapitals angewiesen.

Was die Opportunisten wissen

Auf den zweiten Blick hätte Braunschweig für die Völkischen also gar nicht besser laufen können. Höcke, Kalbitz und Co. konnten ihre Macht im Bundesvorstand ausbauen und stellen mit Stephan Brandner nun sogar einen stellvertretenden Vorsitzenden. Brandner, gerade erst als Vorsitzender des Rechtsausschusses des Bundestags abgewählt, erhielt 62 Prozent – und das, obwohl er mit Albrecht Glaser von Uwe Junge gleich zwei prominente Gegenkandidaten hatte.

Im neuen Bundesvorstand wird sich wohl niemand mehr trauen, gegen den Flügel das Wort zu erheben, denn die Opportunisten wissen, dass ihnen sonst beim nächsten Parteitag ein ähnliches Schicksal wie Pazderski droht.

So ruckelt sich aus Sicht des Flügels langsam alles zurecht. Alle haben in der ersten erfolgreichen gesamtrechten Partei nach 1945 ihren Platz: Nationalkonservative, Neoliberale, Nazis. Das rechte Projekt umfasst zwar viele Strömungen, doch die Zügel hält der Flügel in der Hand.
In Braunschweig sagte Höcke in die Fernsehkameras, es sei nicht an der Zeit, sich für die Parteispitze zu bewerben. Noch nicht.

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