Sie hat Polizei

Interview Malte, der Cop, und Josephine, die Aktivistin, sind seit langem ein Paar. Vom Beruf des Vaters würden sie ihren Kindern allerdings abraten
Ausgabe 29/2016
Regel Nummer eins: Gute Kommunikation verhindert die Eskalation
Regel Nummer eins: Gute Kommunikation verhindert die Eskalation

Illustration: Jonas Hasselmann für der Freitag

Eine Wohnung in einem Berliner Stadtteil, der hier nicht genannt werden soll, so wie auch Malte und Josephine in Wirklichkeit anders heißen. Kinderspielzeug liegt am Boden verstreut, Malte brüht Kaffee mit Hafermilchschaum auf. Nach Helm oder Schlagstock schaut man an der Garderobe vergeblich, der einzige Fetzen Uniform im Haus ist ein Aufnäher mit dem Schriftzug „Polizei“, den Josephine von einer ausgemusterten Fleecejacke abgetrennt hat, die sie ab und zu trägt.

der Freitag: Wie haben Sie sich kennengelernt?

Malte: Über einen gemeinsamen Freund. Zu dieser Zeit war ich frischer Single und nicht auf der Suche nach einer neuen Beziehung. Eigentlich wollte ich das Singleleben voll auskosten.

Josephine: Es ist schon zehn Jahre her, und ich kann nicht mehr rekapitulieren, wie ich damals drauf war. Ich weiß nur, dass ich frisch von einem Freiwilligenjahr aus Palästina zurückgekehrt war, mich von meinem langjährigen Freund getrennt hatte und dabei war, meine alten Aktivitäten und Vereinsarbeiten in Deutschland wieder aufzunehmen. Außerdem musste ich mir über meine Studieninteressen klar werden und einen bezahlten Job finden. Es war die Zeit zwischen Schulabschluss, prägendem Auslandsjahr und weiterer Zukunftsplanung. Vieles war unklar.

Wofür haben Sie sich engagiert?

Josephine: Ich war in der Tierrechtsbewegung aktiv und habe auch an Demonstrationen für Umweltschutz, gegen Rassismus und Krieg teilgenommen. Das fing schon in der Schulzeit an. Heute gehe ich noch vereinzelt auf Demos und versuche meine Werte im Alltag zu leben. Meine letzte illegale Aktion ist schon ein paar Jährchen her.

Wie sahen solche Aktionen aus?

Wir haben Kampagnen gegen Modeunternehmen geführt, die Pelze oder Pelzbesatz verkaufen. Neben angemeldeten Demonstrationen haben wir uns auch vor Unternehmen angekettet oder eine Modenschau gestürmt.

Wie haben Sie die Polizei damals erlebt?

Bei den Aktionen selbst relativ unkompliziert. Wir wussten ja, was uns erwartet. Wenn wir uns angekettet haben, war klar, dass die uns mitnehmen, Personalien aufnehmen und Fingerabdrücke nehmen. Anders ist das bei Demonstrationen, die eskalieren. In Amsterdam war ich einmal bei einer unangemeldeten Demo im Rahmen eines internationalen Tierrechtstreffens. Aus der Demo heraus wurde ein McDonald’s mit Steinen beworfen, woraufhin die Polizei sehr rabiat vorging. Sie kamen auf Pferden angeritten und haben von oben auf die Demonstranten geknüppelt.

Als Sie sich kennenlernten, konnten Sie sich da in den anderen hineinversetzen? Oder sahen Sie sich wegen Ihrer unterschiedlichen Lebensrealität als Gegner?

Malte: Vom System wegen schon Gegner? Klingt nach einem Spruch aus den 80ern. Sicherlich hatten wir verschiedene Ansichten bei einigen Themen, nicht nur bei politischen. Insgesamt gab es aber doch mehr gemeinsame Standpunkte. Strukturen, die irgendwie in eine rechte Ecke gehen, fand ich schon immer scheiße.

Wie kam es, dass Sie Polizist werden wollten?

Mir war die Polizei total wurst. In einer Annonce in der Zeitung stand: „Ein Beruf, der nach den Sternen greift“.

Das hat Sie angesprochen?

Die Sterne auf der Schulter waren mir nicht so wichtig. Ich wollte ein duales Studium absolvieren, während dem ich schon Geld verdiene und danach eine gesicherte Position in einem Unternehmen habe. Der Test war knochig, aber ich habe alles bestanden und war dann auf einmal Schutzpolizist in der Ausbildung.

Wie reagierten Ihre Freunde, als Sie sagten, Sie werden Polizist?

Malte: Für die war interessanter und wichtiger, dass ich aus unserer Kleinstadt nach Berlin ging. Ich war ja nun Student. Und saß plötzlich in Fächern wie Verkehrsrecht und Strafrecht mit einer Motivation, die gegen null ging, weil das Nachtleben rief.

Josephine: Deine Kumpels aus der Schulzeit sind aber auch nicht so politisch, dass sie sich kritisch mit dem Gewaltmonopol oder Hierarchien auseinandersetzen. Die stellen nicht in Frage, was für Befugnisse die Polizei hat.

Malte: Wenn du aus der Kleinstadt kommst, hast du maximal bei einer Verkehrskontrolle Kontakt mit Polizisten. Oder wenn mal dem Trecker die Radkappen geklaut werden.

Wie haben Ihre Freunde reagiert, Josephine, als Sie sagten, Sie sind jetzt mit einem Polizisten zusammen?

Josephine: Ich habe verschiedene Freundeskreise. Es den Leuten zu erzählen, mit denen ich politische Arbeit machte, war schon merkwürdig. Innerhalb der Tierrechtsgruppe gab es eine offizielle Unterredung, bei der die Meinungen gespalten waren. Einige haben gesagt, sie möchten nichts mehr mit mir zu tun haben.

Malte: Weil sie dachten, dass Informationen fließen?

Josephine: Hatte ich zuerst auch vermutet, aber es war wohl eine persönliche Entscheidung. Das Vertrauen, dass ich nicht spioniere, war schon da. Aber es gab persönliche Abneigungen. Andere haben es akzeptiert und Malte auch kennengelernt. Bei meinen übrigen Freunden war es relativ unkompliziert. Da wurden eher Witze über Fesselspiele oder „den Cop und die Demonstrantin“ gerissen. Eine befreundete Band hat sogar einen Song über uns geschrieben.

Gibt es Reizthemen, die Sie lieber meiden?

Josephine: Zwischen uns nicht. Wir können grundsätzlich über alles reden und auch streiten. Auch unter Freunden kann kontrovers diskutiert und Kritik gegen Staatsgewalt geübt werden. Da werden eher allgemeine Systemfragen gestellt als: Wie kann ein Mensch nur Polizist werden?

Machen Sie sich Sorgen, Malte, wenn Josephine zu einer Demo geht, bei der es womöglich kracht?

Malte: Sorgen weniger. Ich bin aber kein Befürworter davon, vor allem wenn ich weiß, dass ein schwarzer Block mitläuft, der dafür sorgt, dass es unfriedlich wird. Wenn das eskaliert und man ist als ehemals friedlicher Demonstrant da drin, dann heißt es mitgehangen, mitgefangen.

Diskutieren Sie vorher darüber?

Malte: Eher nachher.

Josephine: Wenn wir grundsätzlich über politische Sachen reden, sind wir eher einer Meinung. Als damals der G8-Gipfel in Heiligendamm war, haben wir vorher darüber geredet, wie unsinnig so ein Gipfel ist, bei dem sich wenige reiche Industrieländer anmaßen, Weltpolitik zu machen. Ich bin zur Demo gefahren, Malte nicht. Hinterher redeten wir über Details, was das polizeiliche Agieren betrifft. Auch heute diskutieren wir eher über einzelne eskalierende Situationen – bezüglich der Demo-Inhalte sind wir uns meist relativ einig.

Malte: Ich kann das enorm asoziale Verhalten mancher Kollegen oft nur schwer glauben, wenn ich davon höre oder lese, weil ich das selbst so nicht erlebt habe. Aber ich weiß, dass bei der Polizei ein Querschnitt der Gesellschaft ist, da sind auch einige dabei, die nicht die hellste Kerze auf der Torte sind.

Josephine: Oder einer ist intelligent und hat trotzdem ein Gewaltproblem.

Malte, ärgert es Sie, wenn Sie sich stellvertretend für „die Polizei“ rechtfertigen sollen?

Malte: Demogänger haben oft ein wenig differenziertes Bild. „Die Polizei“ ist dann die Hundertschaft. Dabei muss man als Polizist ja die eierlegende Wollmilchsau sein. Es gibt die Verkehrspolizei, die Kontaktbereichsbeamten, die Spezialfachstellen, die Fußballbetreuer, den Fachbereich häusliche Gewalt und, und, und. Aber häufig werden nur die Einsatzeinheiten gesehen. Weil sie draußen sind und martialischer wirken.

Polizisten wirken bei Demos oft entmenschlicht, wie Roboter.

Malte: Man müsste bei den Demos mal einen Rollentausch machen können. Wenn man Extremisten in welcher Form auch immer vorbeispazieren sieht und Aggressionen von dem Aufzug ausgehen, dann zieht man natürlich eine Fresse. Und was die Lautsprecherwagen betrifft, muss man sagen, es gibt gute wie schlechte Sprecher. Da fallen dir manchmal fast die Lauscher ab. Aber du kannst ja nicht wegfahren. Bei der NPD ist mir mal schlecht geworden, da habe ich zu dem Kollegen gesagt, mach die Wagentür zu. Das alles führt dann dazu, dass man mit versteinerter Miene dasteht, wenn der Zwanzigste fragt, warum er nicht durch darf.

Josephine: Wenn eine Polizeikette mit ihrer Vollvermummung auf einer Demo steht, finde ich das immer noch beklemmend. Bei einer Nazidemo standen wir einmal in der ersten Reihe und wollten durch. Unser Bild war natürlich, die schützen die andere Demo. Ich habe da auch gesungen: „Deutsche Polizisten schützen die Faschisten“. Aber hinter dem Auftrag steht eben, dass die gegnerischen Gruppen sich nicht auf die Schnauze hauen sollen. Wenn ich durch die Absperrung gegangen wäre und die Nazis hätten mir die Zähne ausgekloppt, wäre ich auch nicht froher. In dem Moment habe ich das natürlich nicht so gesehen. In so einem Moment hat man das Gefühl, der Staat ist auf dem rechten Auge blind.

Malte: Man kann streiten, ob man rechte Demos zulässt. Aber solange sie nicht offen mit verfassungswidrigen Zeichen rumlaufen, ist es schwierig, sie zu verbieten.

Rigaer 94 und andere Gefahrengebiete

Die Fronten zwischen Polizei und linken Aktivisten verhärten sich immer wieder, seit Juni ist in Berlin der Streit um das teilbesetzte Haus in der Rigaer Straße 94 eskaliert. Am 22. Juni waren die Erdgeschossräume von Bauarbeitern unter massivem Polizeischutz geräumt worden – rechtswidrig, wie das Berliner Landgericht am Montag vergangener Woche entschied. Das Urteil ist vor allem für Innensenator Frank Henkel (CDU) eine Blamage, der sich im Vorfeld der Abgeordnetenhauswahl im September offensiv als Garant von Law and Order inszenieren wollte und die gewaltbereite linksextreme Szene zu seinem Wahlkampfthema gemacht hatte.

Henkel scheute dabei noch nicht einmal den Vergleich mit SA und SS, als nach der Demonstration gegen die Räumung am 9. Juli ein anonymes Pamphlet auf der Medienplattform Indymedia erschien, das die Polizisten als „Schweine“ und „Abschaum“ titulierte. 123 Beamte waren bei der Demo der Polizei zufolge verletzt worden. So deplatziert der Vergleich des Innensenators war – an Dumpfheit waren die Gewaltfantasien schwer zu übertreffen, die in besagtem Text geäußert wurden („In dem Moment haben wir uns wirklich Heckenschützen auf den Dächern gewünscht, welche uns vor dem Gewaltausbruch der Schweine hätten retten können“).

Recherchen des Spiegel über die Identität des Investors, in dessen Auftrag die Räumung durchgeführt wurde, weisen unterdessen über eine Kapitalgesellschaft in London ins Berliner Glücksspielmilieu.

Ähnlich hitzig war zuletzt 2014 die Situation in Hamburg, als dort Gefahrengebiete ausgerufen wurden, nachdem eine Demo gegen die angedrohte Räumung der Roten Flora und den Investor der Essohäuser eskalierte. Christine Käppeler

In Berlin eskaliert die Stimmung rund um die Hausbesetzung in der Rigaer Straße auch verbal. Polizisten werden in anonym veröffentlichten Pamphleten im Netz als Schweine und Abschaum beschimpft, gegen die man sich Heckenschützen wünscht.

Malte: Das hamse für umsonst. Vor einigen Jahren hätte mich das vielleicht noch interessiert, aber mir ist das inzwischen egal. Das sind vielleicht 50 Personen. Wenn in der Nähe der Rigaer Straße ein Dixie-Klo angezündet wird oder niedrigpreisige Pkw, sind das vermutlich eher Mitläufer und Spinner als Linksextreme. Mir erschließt sich oft die politische Dimension von Aggressionen nicht. Wenn vor den Flüchtlingsheimen die rechten Idioten grölen, stehen denen gegenüber die Befürworter und blöken genauso aggressiv erst mal uns an. Für die Syrer, die rausschauen, wirkt das alles furchtbar aggressiv, auch wenn da „Refugees welcome“ steht. Die Polizei als Feindbild zu deklarieren, ist ein schlechtes Motto. Dadurch werden keine Probleme gelöst.

Josephine: Differenziertere Kritik an der Polizeiarbeit und den Herrschaftsstrukturen aus der Antifa-Szene heraus kann ich schon gut verstehen. Ich finde es wichtig, dass diese Kritik laut artikuliert wird und man sich mit Missständen innerhalb der staatlichen Strukturen auseinandersetzt. Auch in der Antifa-Szene ist von reflektierten Menschen bis zu Gewalttouristen alles vertreten. Was mich immer wieder ärgert, ist die fehlende Kommunikation zwischen den Beteiligten und da eben auch seitens der Polizei.

Was müsste sich ändern?

Josephine: Es gibt viele Situationen, in denen eine bessere Kommunikation und ein besonneneres Auftreten seitens der Einsatzkräfte Eskalationen verhindern könnten. Der Polizei täte es gut, sich mehr mit kritischen Gruppen auseinanderzusetzen. Den Linksautonomen täte es genauso gut, sich sachlicher mit der anderen Seite zu beschäftigen. Von Linksautonomen kann ich mir das aber nur wünschen, wohingegen ich es von der Polizei erwarte, weil es dort um professionelle Strukturen und bezahlte Jobs geht.

Malte: Je größer die Institution, desto träger. Aber das ist bei Freunden von mir, die in Großkonzernen tätig sind, das Gleiche. Wenn man unten Kritik schreibt, kommt oben das goldene Blatt an.

Würden Sie Ihren Kindern erlauben, zu Blockaden zu gehen? Oder Sie ermuntern, bei der Polizei zu arbeiten?

Malte: Zu beidem: Nein.

Josephine: Demos für die – aus meiner Sicht – richtige Sache finde ich nach wie vor unterstützenswert, wenn sie im Kern friedlich ablaufen. Sitzblockaden halte ich dabei für legitime Mittel, das würde ich auch meinen Kindern zugestehen, wenn auch nicht empfehlen. Von der Arbeit bei der Polizei würde ich abraten. Zum Glück sieht Papa das ähnlich und hat genug Argumente parat.

Info

Eine erste Version ist in der Zeitschrift transform erschienen (transform-magazin.de)

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