Letzten Sommer verglich Hengameh Yaghoobifarah in einer aufsehenerregenden taz-Kolumne deutsche Polizisten mit Müll. Diesen Winter folgt der Debüt-Roman. Die auserzählte Fantasie über eine auf Müllkippen verstreute Polizei, die manche gefürchtet oder sich erhofft haben mögen, bleibt aber aus. Gut so. Nachdem aus der angedrohten Anzeige Horst Seehofers nichts wurde und sich die Empörung bei Polizeigewerkschaften und insgesamt gelegt hatte, war das Thema aus-skandalisiert.
Zumindest bis Yaghoobifarah auf prominent platzierten Werbeplakaten des West-Berliner-Edelkaufhauses KaDeWe auftauchte. Ob man nun glaubt, da werde Haltung verraten oder der Kapitalismus von innen subvertiert, ist fast egal. Denn „Clout“ (neu für „Aufmerksamkeit“) gab es so oder so. Jetzt, wo das kulturelle Stadtgespräch in Berlin/im Land so abgeflaut ist, ein sehr guter Grund, Yaghoobifarahs Romandebüt zu lesen. Die Enttäuschung, dass es nicht so skandalträchtig weitergeht, wird nur kurz anhalten. Denn Ministerium der Träume ist ein richtig gutes Debüt. Die ungenierte Motzigkeit aus den Kolumnen weicht darin Tiefgang und Einfühlungsvermögen. Das hat man so noch nicht von Yaghoobifarah gelesen. Mit Feingefühl serviert Yaghoobifarah den Leser*innen auf 384 Seiten einen empathischen Zugang zu einem der größten gesellschaftlichen Probleme von heute: Alltagsrassismus.
Im Zentrum des Romans steht Türsteherin Nasrin, aus deren Perspektive erzählt wird. Sie ist Mitte 40, queer – und manchmal gewinnend selbstbewusst: „Knurrenden Lesben gehört das Universum.“ Eine Mischung aus cool (weil sie einen sorglosen Sex/Drugs/Rock’n‘Roll-Lifestyle lebt) und traurig (weil sie ihre Traumata nicht in den Griff bekommt). Sie lebt heute in Berlin, als Kind wanderte sie aus dem Iran ein. Die Familie flüchtete in den 1980er Jahren vor dem Ersten Golfkrieg, im Zuge dessen wurde ihr Vater ermordet. Die Lücke, die dadurch in die Familie gerissen wurde, wirkt auf jeden Aspekt ihres Lebens ein. Die Armut in Deutschland, die ewig trauernde, herrische und homophobe Mutter, die Depression ihrer Schwester – Nasrin trägt in vieler Hinsicht eine schwere Last.
Jede Menge Musik-Referenzen
Die Geschichte setzt ein, als ihre Schwester plötzlich bei einem rätselhaften Autounfall ums Leben kommt und Nasrins Leben sich grundlegend ändert. Ihre zuvor verdrängte Familiensituation rückt nun wieder in den Fokus, da sie zum Vormund für ihre 14-jährige Nichte wird und ihre vorwurfsvolle Mutter erneut viel Raum einnimmt. Die unerwartete familiale Präsenz triggert Nasrins Kindheitstraumata. Im Wechsel erzählt sie vom Jetzt und vom Damals – und wie sie sich immer wieder in Albträumen und Halluzinationen verliert.
Zwischen unverfrorener Umgangssprache und poetischer Zartheit oszillierend, wird so die Geschichte einer schwierigen Migrationserfahrung aufgerollt. In der von Musik-Referenzen strotzenden Erzählung stellen Rassismus und Homophobie die Baseline für einen biografischen Track. Sie prägen alles mit, was Nasrin erlebt. Traurig und kunstvoll lässt Yaghoobifarah Hass gerade dann unkommentiert auftauchen, wenn er den größten Schmerz zufügt. Nasrins erste Jugendliebe zum Beispiel kommt aus einer rassistischen Familie. „Für ihre Oma waren Menschen wie ich Gesindel“, erzählt Nasrin. Das Mädchen, in das sie verliebt ist, flüchtet nicht nur vor deren romantischer Annäherung, sondern reproduziert den Rassismus ihrer Familie, indem es sich „unpolitisch“ gibt.
Wie man es von Yaghoobifarah erwarten würde, spielen schlechte Erfahrungen mit der deutschen Polizei eine große Rolle in diesem Universum. Ohne Polemik macht sie Ausgrenzungen durch die Institution Polizei für „Menschen wie sie“ sichtbar. So in einem weiteren Beispiel: Nasrin und ihren Freunden werden auf einen Jahrmarkt von einer Gruppe Neonazis Prügel und Vergewaltigung angedroht. Ihr stiller Hilferuf (durch Blicke und lautlos mit den Lippen geformte Worte) an einen Polizisten in der Nähe wird ignoriert. „Als wäre nichts auffällig an einer Gruppe von Ausländern, die von fünf Glatzköpfen in eine dunkle Ecke gedrängt wurde.“ Die schmerzhafte Hilflosigkeit dieser Situation empfindet man nach, ohne darüber nachdenken zu müssen. Das ist eine der großen Stärken dieses Romans: Er empathisiert seine Leser*in. Diese ignorante Gleichgültigkeit geht den Leser etwas an. Ohne dass Nasrin ihre Wut explizit thematisieren muss, ärgert man sich über die unsensiblen Polizeibeamten, die später im Gespräch über die Ermittlungen zum Tod ihrer Schwester zwinkern, lachen, „Araber“ als pauschal kriminell abstempeln und sogar ohne Grund festnehmen. Man hat das Gefühl, durch das Lesen diejenige „agency“ zu bekommen, die man auch ohne eigene Migrationserfahrung im Gesamtzusammenhang der gesellschaftlichen Debatte immer nutzen sollte: selbst eine kritische Position einzunehmen zu einem System, mit dem man selbst vielleicht noch keine schlechten Erfahrungen gemacht hat.
„Ich bin Butch Medusa, und ich paralysiere alle, die meinen Blick erwidern.“ Nasrin ist eine starke Frau und Erzählerin, die trotz und gegen ihr Trauma ihr Schicksal in die eigene Hand nimmt. Die zweite Hälfte des Romans avanciert zu einem spannenden Whodonit-Krimi, in dem Nasrin und ihre Freunde (allesamt „Ausländer“) den Tod ihrer Schwester erfolgreich in Eigenregie aufklären. Indem sie strategisch handfeste Beweise gegen Verbrecher aus dem rechten Milieu sammeln, führen sie die vorurteilsbehaftete, stümperhafte Polizeiarbeit vor. Wer darin eine Ehrverletzung derselben sieht, hat den Punkt immer noch nicht geschnallt: Gerechtigkeit schaffen ist einfach kein Prärogativ von weißen Deutschen. Die Perspektive der Opfer, mit all ihren schmerzhaften systemischen Diskriminierungserfahrungen, ist unerlässlich für die zukünftige angemessene Polizeiarbeit. Miteinander, nicht gegeneinander.
Info
Ministerium der Träume Hengameh Yaghoobifarah Aufbau Verlag 2021, 384 S., 22 €
Kommentare 8
Erst einmal: was heißt »queer«? Zum zweiten: Was soll das Gender-Sternchen hinter »sie« und die Bezeichnung »›taz‹-Autor*in, wenn jeder Informationskundige sich schnell auf Stand bringen kann, dass es sich bei Hengameh Yaghoobifarah zweifelsfrei um eine Frau handelt?
Der Roman könnte eventuell in Ordnung gehen. Schwierigkeiten habe ich allerdings mit dem Selbststyling der Autorin irgendwo zwischen Türsteher-Milieu, Hyper-Queer und den mir ausgeliehen erscheinenden rüden Umgangsformen. Mit anderen Worten: Ich habe weder Lust, Bücher zu lesen von Leuten, die vor allem dadurch brillieren, allen anderen mitzuteilen, welche Vollpfosten sie sind, noch ihnen dafür gar Geld in den Rachen zu schmeißen.
Wie gesagt: Der Roman scheint gar nicht mal allzu schlecht zu sein. Allerdings sind ellenlange Who-Dunit-Rätselromane mit entsprechend Wenig an substanzieller Geschichte nicht so mein Fall – wobei im konkreten Fall hinzukommt, dass ich sehr stark überlegen müsste, warum zum Teufel ich das Teil lesen will. Ja, die Welt ist kompliziert. Why? Heißer Tipp: Im Zweifelsfall liegt es NICHT IMMER an den anderen.
Jetzt sind wir soweit gekommen, dass gewisse Bücher nur, ausschließlich und zu 100% von Frauen rezensiert werden.
Mit H. Y. verbindet mich - trotz unterschiedlicher Chromosomenverteilung - vor allem Eines: wir polarisieren beide.
Ich habe mich jahrelang an Artikeln von ihr in der taz abgearbeitet, Positionen von ihr angegriffen und sie im gleichen Maße gegen überbordende Dummmann-Kommentare in Schutz zu nehmen versucht.
In diesen "Entweder-Oder-Zeiten" hat es jeder schwer, der (ob gewollt oder beiläufig) nicht eindeutig zuzuordnen ist. Und für jene ist Hengameh ein 'Parade'beispiel, ein rotes Tuch, ein Subjekt des Anstoßes.
Die Besprechung ihres Debütromans habe ich hier gerne gelesen. Als alter, weißer Mann. Mit all den unterschiedlichen und auch widersprüchlichen Gefühlen, die frühere taz-Artikel bereits in mir ausgelöst haben.
Und - ich lehne mich jetzt mal ganz weit aus dem Fenster - ich überlege sogar, mir den Roman zu kaufen. Obwohl ich erst heute ein Buch erworben habe, dass in anderer Weise viel mit mir zu tun hat.
Früher hörte ich mal von der (Schein-) Alternative Leben oder Lesen. Kurz vor dem Re-Start in Ersteres ist ja noch a weng Zeit zu Zweiterem.
Was Ihren Schlusssatz angeht:
es liegt n i e m al s ausschließlich am Anderen. Ganz egal, um wen - oder was es geht.
Kunst ist das Vermögen, die Anteile a l l e r Beteiligten sehen zu wollen und zu können.
Schmerz und Trauer sind in meinen Augen die besten Lehrmeister dafür.
Dann war das taz-Artikelchen über die Müllpolypen also nichts weiter, als ein Marketing-Gag. Selbst der Seehofer wär‘ noch fast drauf eingestiegen. Schlaue Ka_pi-talist/in/In/x/in*/in+..: Butch Dyke, yeah!
Ich denke, ersteinmal hat Hengameh Yaghoobifarah die Richtung eingeschlagen, die sie als progressive Stimme obsolet macht. Das erklärt zum Teil ihre mediale Dauerpräsenz - was in Deutschland immer ein ziemlich schlechtes Zeichen ist. Ich kann es ihr schwer vorwerfen. Als Endzwanzigerin kennt sie nichts anderes als das neoliberale Dauerfeuer. Sie weiß ihre Identität zu nutzen für den gesellschaftlichen Aufstieg. Die Schuldigen sitzen ohnehin in den Redeaktionen, die Literatur wie diese als auch nur irgend relevant tituliert. Ich habe nach fünfzig Seiten aufgegeben, weil - anders als bei Autorinnen wie etwa Melinda Nadj Abonji oder Sasha Marianna Salzmann - hier auch sprachlich nichts zu machen ist. Wäre das Skript ohne den Namen in irgendeinen Verlag eingegangen, wäre es schnell zur Seite gelegt worden.
"Ministerium der Träume" kennt keine Dialektik, keine Grutöne, keine Zweifel. Ich kann mir nichts langweiligeres vorstellen.
Ich denke, ersteinmal hat Hengameh Yaghoobifarah die Richtung eingeschlagen, die sie als progressive Stimme obsolet macht. Das erklärt zum Teil ihre mediale Dauerpräsenz - was in Deutschland immer ein ziemlich schlechtes Zeichen ist. Ich kann es ihr schwer vorwerfen. Als Endzwanzigerin kennt sie nichts anderes als das neoliberale Dauerfeuer. Sie weiß ihre Identität zu nutzen für den gesellschaftlichen Aufstieg. Die Schuldigen sitzen ohnehin in den Redeaktionen, die Literatur wie diese als auch nur irgend relevant tituliert. Ich habe nach fünfzig Seiten aufgegeben, weil - anders als bei Autorinnen wie etwa Melinda Nadj Abonji oder Sasha Marianna Salzmann - hier auch sprachlich nichts zu machen ist. Wäre das Skript ohne den Namen in irgendeinen Verlag eingegangen, wäre es schnell zur Seite gelegt worden.
"Ministerium der Träume" kennt keine Dialektik, keine Grutöne, keine Zweifel. Ich kann mir nichts langweiligeres vorstellen.
Ich hatte von der Autorin gehört im Zusammenhang mit ihrer Polizeipolemik. Na ja dachte ich, tolle Verallgemeinerung und wie geht es weiter,was soll das...? In den Wintertagen bin ich mit meiner Enkeltochter durch den Schnee gestapft und da stand dann am ehemaligen Exquisitgebäude,daß ebend alle.... das und das sind. Nein habe ich nicht gut gefunden,meine Enkeltochter hat direkt gefragt, wie das gemeint ist. Das ergab dann ein gutes langes Gespräch und ebend auch die kurze Schilderung über George Floyd und eben den Mord durch einen Polizisten.Verallgemeinerungen sind nicht hilfreich,ist meine Meinung. Die Wut dann ebensowenig.Das Thema im Buch reißt mich nicht vom Hocker. Die Werbekampagne habe ich mitgekriegt.Ich habe so meine Bedenken,ob so einer Vermarktung und wünsche der Autorin dennoch die Finanzen, die sie braucht.Die Zusammenhänge mögen konstruiert sein aber für mich sind sie sichtbar. Die letzte Erwähnung soll sein, daß es in Berlin Polizisten und Polizistinnen mit Migrationshintergrund gibt- gilt diese Aussage dann weiterhin. Es ist doch echt eine Wutaussage für mich.