Sie meint es doch nur gut

Film Agnès Jaoui spielt eine Frau, die es braucht, gebraucht zu werden
Ausgabe 05/2020

Realismus und Komik sind ein schwieriges Paar im Film. Klassische Sitcoms zum Beispiel überspitzen nicht nur Situationen, sondern meist auch die Darstellung und geben so zu verstehen, dass gelacht werden soll. Wenn eine Komödie sich um Naturalismus bemüht, kommt meist heraus, was als „Dramedy“ geläufig ist: humorvoll, aber nur punktuell wirklich komisch. Die Kunst der Nächstenliebe ist weder das eine noch das andere. Der Film stellt seine Zuschauer vor die Herausforderung, dass man erst einmal dahinterkommen muss, dass man lachen darf. Soll.

Im Mittelpunkt steht eine Frau, die es gut meint. Das hat der Film mit seiner Protagonistin gemeinsam: Er meint es gut, und wie sie tut er wenig, um seine guten Absichten zu verbergen. Wenn wir Isabelle (Agnès Jaoui) kennenlernen, die ihr Helfersyndrom durch ihr ehrenamtliches Engagement auslebt, fällt es zunächst schwer, einen Zugang zur ihr zu finden. Sicher, die Bemerkungen ihrer Schwägerin sind rassistisch, und Isabelles Bruder, der von ihrem Vorschlag, Geflüchtete in seinem Hotel unterzubringen, alles andere als begeistert ist, ist nicht gerade sympathisch. Aber auch Isabelle in ihrer Empörung ist schwer zu ertragen. Sie kann nicht anders, als ihren Mitmenschen deren moralisches Versagen unter die Nase zu reiben – wenn ihre Tochter Nutella isst (Palmöl!), die Familie sich an Weihnachten beschenken will (sinnlose Orgie!) oder die Verkäuferin nicht weiß, was die Kinder in Bangladesch verdienen, die die Unterhöschen mit Herzchendruck hergestellt haben. Lustig ist das noch nicht.

Dass dem Film die Zuspitzung zunächst nicht gelingt, hängt sicher mit dem Naturalismus der Darstellung zusammen. Aber auch damit, dass das Klischee von Isabelles Empörung so real ist: Wir kennen sie von Freunden, von Verwandten, von uns selbst. Auch dass sie fast immer einen doppelten Boden hat, ist keine neue Erkenntnis.

Es dauert etwa ein Drittel des Films, bis wir Isabelle, die uns in ihrer Selbstgerechtigkeit so vertraut ist, als komische Figur erkennen: Wie die meisten komischen Figuren hat auch sie das Problem, dass ihr jegliche Selbstreflexion abgeht. In ihrer Sucht nach Anerkennung, die der Antrieb für ihr Engagement ist, fehlt es ihr außerdem an Empathie. Das zeigt sich beispielsweise in dem Konflikt mit ihrem bosnischen Ehemann, den sie bei einem Hilfseinsatz in seiner Heimat kennenlernte – nach 20 Jahren ist seine Dankbarkeit jedoch zu Isabelles Enttäuschung ein wenig verblasst. Am liebsten mag sie es, wenn er beim Sex bosnisch spricht. Als sie ihn „mein Flüchtling“ nennt, vergeht ihm wiederum die Lust.

Schonungslos lustig

Der schonungslose Humor des Films über die Abgründe hinter den guten Absichten und dem Engagement für „die Schwachen“ entfaltet sich langsam und nimmt erst in der zweiten Hälfte richtig Fahrt auf, wenn die Handlung sich entwickelt und verzweigt. In seinen besten Momenten gelingt die Analyse einer Gesellschaft, die ohne das Gefühl der moralischen Überlegenheit nicht sein kann, deren exemplarische Vertreterin Isabelle ist. Die Fragen, die er dabei stellt, sind gut: Ob es um diejenigen geht, denen geholfen werden soll, oder um die, die helfen. Was diejenigen, die helfen, dafür erwarten dürfen. Und wann Hilfe in Bevormundung umschlägt. Isabelle behandelt ihre Schüler*innen aus dem Alphabetisierungskurs, die aus aller Welt stammen, oft wie Kinder. Immer wieder muss sie daran erinnert werden, dass sie es ganz einfach mit „Menschen“ zu tun hat. Mit ihren Qualitäten, aber auch ihren Macken, ihren Ängsten, ihren Vorurteilen, ihrem Eigensinn. Und sie sind nicht immer gewillt, die Dankbarkeit zu zeigen, die sich die aufopferungsvolle Ehrenamtliche wünscht.

Komödien laufen manchmal in Gefahr, ihre Figuren den Gags zu opfern und sie so zu verlieren. In diesem Film werden die Figuren im Gegenteil immer lebendiger, und das gilt nicht nur für Isabelle, sondern auch für viele Nebenfiguren, die über ihr Klischee hinauswachsen. Gleichzeitig verabschiedet sich der Film nach und nach von seinem anfänglichen Realismus, die Absurdität gewinnt die Oberhand. Und am Ende erfasst Isabelles Nächstenliebe in einer sentimentalen Welle auch alle anderen, und der Film träumt mit ihr von einer großen Weltfamilie.

Info

Die Kunst der Nächstenliebe Gilles Legrand Frankreich 2018, 103 Minuten

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