Sie schlagen zurück

Dokumentation Richard Clarke und Steven Simon, bis 2005 im Nationalen Sicherheitsrat der USA, warnen vor iranischer Vergeltung

Wir würden gern glauben, dass die Regierung keinen neuen Krieg beginnen will, wie es das Weiße Haus versichert. Denn ein Konflikt mit dem Iran könnte uns noch mehr Schaden zufügen, als es der Kampf im Irak schon getan hat. Ein kurzer Blick auf die Geschichte zeigt, warum.

Die Berichte des Journalisten Seymour Hersh legen nahe, die Vereinigten Staaten erwägen, mindestens ein Dutzend Nuklearanlagen im Iran zu bombardieren, von denen viele unter der Erde liegen. In diesem Falle würden etliche Luftstützpunkte, Radaranlagen und Raketenbasen ebenfalls beschossen, um die Luftverteidigung auszuschalten. Auch die iranische Marine wäre betroffen, um Vergeltungsmaßnahmen gegen die amerikanische Flotte im Persischen Golf zu verhindern.

Diese Eventualitäten sind uns vertraut, da wir als Mitglieder des Nationalen Sicherheitsrates Mitte der neunziger Jahre einer ähnlichen Situation gegenüber standen. Seinerzeit wuchsen die Frustrationen über Teheran, Anfang 1996 rief Newt Gingrich als Sprecher des Repräsentantenhauses öffentlich zum Sturz der iranischen Regierung auf und schnürte dazu gemeinsam mit der CIA ein 18-Millionen-Dollar-Paket.

Im Gegenzug begannen iranische Agenten weltweit, US-Botschaften und andere Ziele auszukundschaften. Im Juni 1996 verübte die "Qods-Force" - der für Geheimoperationen zuständige Arm der Revolutionsgardisten - einen Bombenanschlag auf ein von unserer Air Force genutztes Mehrfamilienhaus im saudischen Khobar und tötete 19 Amerikaner. Die Clinton-Regierung erwog einen Luftangriff, aber selbst die ranghöchsten Militärs konnten nicht garantieren, dass er den gewünschten Erfolg haben würde.

Bald darauf sorgte die Wahl des Reformers Mohammed Khatami zum iranischen Präsidenten für eine gewisse Entspannung. Washington und Teheran trieben nicht weiter einem Abgrund entgegen.

Wie es sich bereits Mitte der Neunziger abzeichnete, würde auch heute jeder Angriff eine mehrstufige Eskalation auslösen. Der Iran könnte in drei Varianten reagieren: Er könnte Ölanlagen und -tanker im Persischen Golf attackieren wie schon Mitte der achtziger Jahre, was dazu führen würde, dass der Ölpreis auf über 80 Dollar pro Barrel steigt. Teheran könnte sein terroristisches Netzwerk aktivieren, um weltweit amerikanische Ziele anzugreifen, auch solche in den Vereinigten Staaten selbst. Man sollte dabei von einem Potenzial ausgehen, das dem von al Qaida klar überlegen ist. Die libanesische Hisbollah diente in der Vergangenheit des öfteren als Instrument des Iran. Wir können nur hoffen, dass diese Organisation - nunmehr eine politische Partei - einen Krieg gegen uns nicht riskieren will. Möglicherweise eine trügerische Hoffnung. Schließlich kann der Iran bewirken, dass unsere Lage im Irak schwieriger wird, als sie es schon ist, wenn schiitische Milizen eine noch aggressivere Kampagne gegen unsere Truppen starten. Es gibt allen Grund zu der Annahme, dass Teheran einen solchen Vergeltungsschock längst geplant hat. Unsere Strategen müssen sich daher fragen: Wie erreichen wir eine "Eskalationsdominanz", die den Gegner von einer Antwort abhält, da er weiß: Die nächste Runde unserer Attacken könnte sein Regime nicht überleben?

Sollte es Vergeltungsschläge geben, dürfte Präsident Bush Luftangriffe autorisieren, bei denen auch zivile Ziele bombardiert würden - in der vergeblichen Erwartung, die iranische Bevölkerung ergreift die Gelegenheit und stürzt die Regierung. Sehr viel wahrscheinlicher ist, dass ein solches Vorgehen dem Regime seine Macht garantiert.

Wie könnte die Bombardierung des Iran also US-Interessen dienen? Seit mehr als einem Jahrzehnt kann das niemand überzeugend beantworten. Der Präsident versichert uns, er suche eine diplomatische Lösung der Krise - das militärische Pokern diene dazu, der Diplomatie beizustehen und unsere Alliierten zusammen zu schweißen. Doch das Ausmaß an Aktivitäten im Pentagon legt nahe, es handelt sich um mehr als taktisches Säbelrasseln. Erinnern wir uns, dass George Bush im Mai 2002 zum Irak erklärte, es läge "kein Kriegsplan" auf seinem Schreibtisch, obwohl er Monate damit verbracht hatte, detaillierte Szenarien für die Invasion durchzuspielen.

Richard Clarke arbeitete im Nationalen Sicherheitsrat als Koordinator für Sicherheit und Terrorabwehr, Steven Simon als leitender Direktor für Terrorabwehr/ aus dem Englischen von Steffen Vogel


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