Robinson 3 Einst zogen sie aus, die Berliner FDP zu unterwandern. Das Projekt "Absolute Mehrheit" ist tot - doch was ist aus seinen Protagonisten geworden?
Der Aufrührer kommt im Anzug. Lukasz Pekacki hat gerade eine Software-Firma gegründet und muss zu einem Kundengespräch. Der Jungunternehmer zupft an seinem Freizeithemd: "Vielleicht passt das in Zukunft dann auch mal richtig zusammen." Softwarefirma. Vor sieben Jahren wollte er noch die FDP übernehmen.
Im Winter vor sieben Jahren befinden sich die Berliner Universitäten im Streik. Lukasz Pekacki hat sich gerade an der Technischen Universität eingeschrieben, die Studienbedingungen sind katastrophal, und er lässt sich vom Protest mitreißen. "Da waren jeden Tag 10.000 Studenten auf der Straße, das sah einfach riesig aus, ich hatte das Gefühl, jetzt wird Druck auf die Regierung gemacht."
Umso frustrierender ist dann, dass überhaupt nichts g
berhaupt nichts geschieht. Thematisch werden die Streikenden von der Politik umarmt, mehr Geld für die Universitäten gibt es natürlich nicht. So wirft auch ein Artikel der Berliner taz den Studenten die Wirkungslosigkeit ihres Happening-Protestes vor und stellt fest: Wollen sie wirklich etwas verändern, dann müssen sie dort hin, wo Politik gemacht wird, in eine Partei. Schwer sei das auch nicht, denn so wie es um die Mitgliederzahlen einzelner Parteien bestellt sei, genüge "schon die Teilnehmerzahl eines überfüllten Proseminars, um Mehrheiten zu kippen".Lukasz Pekacki beißt an. Bei der nächsten Vollversammlung der Mathematik und Informatik meldet er sich, legt ein paar Folien auf und beginnt zu rechnen: Die FDP zählt damals genau 2.720 Mitglieder. Bei der letzten Demonstration waren 10.000 Leute. Würde nur jeder dritte von ihnen in die Partei eintreten, gehörte die FDP den Studenten. "Da sind alle ganz still geworden."Ein kleiner Kreis von Begeisterten beginnt nun, das Projekt zu organisieren, einen Namen gibt es auch schon, PAM - Projekt Absolute Mehrheit. Das Ziel: 3.000 Studenten in der FDP. Die FDP ist dafür auch gerade unsympathisch genug. Als Koalitionspartner der CDU ist sie noch in der Regierung und hat den Ruf eines politischen Wendehalses - der Partei möchte man gerne eins auswischen. Wobei Pekacki einräumt, er habe mit dem liberalen Grundgedanken schon immer etwas anfangen können.Auch Jan Philipp von Rüden stößt früh zu PAM. Er studiert Politologie, hat sich schon immer für Parteien interessiert und ist gespannt, wohin das Projekt führt. "Das war eine sehr spielerische Haltung bei mir", sagt er heute. Der noch kleine Zirkel wirbt mit Plakaten, ab dem frühen Morgen werden vor den Mensen Aufnahmeanträge verteilt. "Irre," grinst Pekacki, "das würde ich nie wieder machen!" Im Januar ´98 unterschreibt auch Wolf Dermann seinen Antrag. Er hat gerade einen Studentenkongress mitorganisiert und sucht nun nach einer Möglichkeit, sich "weiter einzubringen". Da kommt PAM gerade richtig.Studenten, die eine Partei überrennen wollen, sind auch für die Medien interessant und mit jedem Artikel wächst der Stapel unterschriebener Aufnahmeanträge. Und wie reagiert die FDP? "Völlig gespalten," erinnert sich Pekacki. Martin Matz, der junge Berliner Vorstandsvorsitzende, nimmt schon früh Kontakt auf und zeigt sich freundlich interessiert, die politische Konzeptlosigkeit des Absolute-Mehrheit-Projekts kommt ihm entgegen, eine große Zahl junger Menschen, die geführt werden muss, ist ein verlockendes Potenzial. Außerdem sucht Matz Unterstützung gegen den damals noch starken nationalliberalen Flügel der Berliner FDP. Aus dieser Richtung schlagen den PAMlern dann auch Unmut und Entrüstung entgegen.Die großen Schwierigkeiten beginnen jedoch erst, als die 2.487 gesammelten Beitrittsanträge eingereicht werden. Die Bezirks- und Ortsverbände, zuständig für deren Bearbeitung, bitten zum Vorstellungsgespräch. Hier sollen die Bewerber auf ihre Parteitauglichkeit abgeklopft werden. Manche Ortsverbände begegnen den Studenten freundlich, andere laden frühmorgens ein, in entlegene Ecken der Stadt, Studenten werden versetzt oder mit kruden Begründungen abgelehnt. Frisuren können entscheidend sein: "Sie sehen ja gar nicht liberal aus" hätten manche zu hören bekommen, erzählt Pekacki. Zum Schluss werden etwa 800 Studenten aufgenommen, die Hälfte ist gar nicht erst zum Vorstellungsgespräch erschienen, viele sind abgelehnt worden. Das Projekt ist gescheitert. PAM geht dennoch weiter, jetzt als "Politik Anders Machen". "Wir haben darauf spekuliert, dass zumindest 100 Leute in der Partei bleiben, mit denen wollten wir engen Kontakt aufbauen und längerfristig was reißen."Was jetzt beginnt, ist der Alltag als Parteimitglied: an Sitzungen teilnehmen, am Landesparteitag, die Arbeit in Ausschüssen und Fachkreisen, Anträge müssen geschrieben werden und außerordentliche Treffen eingeleitet. Pekacki investiert seine gesamte Energie - und scheitert an den Strukturen. Mit guten Ideen allein kommt man in einer Partei nicht weit, man muss Freunde gewinnen, Verbündete suchen, bereit sein, Zugeständnisse zu machen, denn in der Partei regiert der Kompromiss. Vor allem braucht es die feste Überzeugung, dass jede noch so kleine Entscheidung fundamental wichtig ist. Das alles ist Pekackis Sache nicht. Der Kungel, der Kleinkrieg, bei den Jungen Liberalen, bei der Liberalen Hochschulgruppe, überall findet er die gleichen Strukturen vor. "Man muss einfach den Glauben haben, dass man Ortsvorsitzender von irgendwas Tollem ist und Macht hat. Das ging mir wirklich ein bisschen ab." Frustriert und ernüchtert tritt er irgendwann aus.Wolf Dermann dagegen hat Spaß am innerparteilichen Streit. Heute ist er, neben seiner Arbeit in der Liberalen Hochschulgruppe, Bezirksvorsitzender der Jungen Liberalen (JuLis) in Steglitz-Zehlendorf und Delegierter für den JuLi-Bundeskongress. Vielleicht 50 FDP-Mitglieder sind von PAM übrig geblieben. Dermann nennt sich stolz "Sozialliberaler" und hält vor allem den Zusammenhang von starker Wirtschaft und funktionierendem Sozialstaat für wichtig: "Ich bin in der FDP schon häufig als Linker beschimpft worden."Auch Jan Philipp von Rüden ist bei der Politik geblieben. Die FDP hat er 1999 allerdings verlassen und ist der SPD beigetreten, da er bei den "Genossen", wie er sagt, die bodenständige Arbeit fand, die er bei der FDP vermisst hat. Wie ein elitärer Klub war ihm diese vorgekommen, wo sich einmal im Monat Ärzte und Anwälte in besseren Restaurants trafen, um Reden zu schwingen. Bei der SPD leitet er nun neben einem Projekt für Neumitglieder die Abteilung Moabit-Nord und kann feststellen, dass seine Parteikarriere unter denen der ehemaligen "PAMesen" die konstanteste und erfolgreichste ist.Und Lukasz Pekacki, hat er ein für allemal mit der Parteipolitik abgeschlossen? Pekacki zögert, lächelt dann: "Nicht ganz." Ein paar PAM-Freunde und er, sie würden schon gern, in ein paar Jahren vielleicht, noch einmal eine Partei unterwandern. Diesmal aber mit einem konkreten Thema und vor allem - ganz geheim.
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