Sie stießen auf taube Ohren

Afghanistan Vor zehn Jahren verbreiteten Künstler und Politiker einen Afghanistan-Aufruf, doch blieb ihr Appell gegen Krieg und Besatzung weitgehend und bis heute ungehört

Mit jeder Bombe, die abgeworfen wird, und jedem westlichen Soldaten, der auf afghanischem Boden tötet, (...) unterminiert der Westen nicht nur die Idee einer gemeinsamen gesetzlichen Anstrengung, dem Terror entgegenzuwirken, sondern verrät auch seine eigenen Prinzipien“.

So heißt es in einem internationalen Appell für ein sofortiges Ende des Krieges in Afghanistan, der von Günter Grass, Jose Saramago und weiteren Nobelpreisträgern sowie von Orhan Pamuk, Mahmoud Darwisch, Harold Pinter, Christa Wolf, Uri Avnery, Danielle Mitterand, Jean Ziegler, Walter Jens und zahlreichen weiteren Schriftstellern und Philosophen unterzeichnet wurde.

Eine aufmerksame Lektüre der Namensliste, unter der sich auch Verstorbene befinden, verrät schon die Pointe: Dieser Aufruf wurde Mitte November 2001 der Öffentlichkeit übergeben. In dem Jahrzehnt, das seither vergangen ist, wurde der Kampf gegen die Taliban, das frühere Ziehkind der USA, mit unverminderter Anstrengung ergebnislos weitergeführt. Tod und Zerstörung, und mit ihnen der Hass auf die ausländischen Eindringlinge, haben sich am Hindukusch weiter ausgebreitet.

Mit den Milliarden, die Jahr für Jahr für diesen Militäreinsatz im wahrsten Sinne des Wortes verpulvert wurden, hätte man inzwischen jedem afghanischen Bürger eine Leibrente auf Lebenszeit aussetzen können. Im Ernst gesprochen: ein Bruchteil der laufenden Militärausgaben hätte genügt, und im Lande könnte Wohlstand statt Hunger und Elend herrschen, die so viele junge Männer – oft die einzigen Ernährer einer Großfamilie – zu den Taliban treiben, die höheren Sold zahlen als die Polizei in Kabul.

Aber nach wie vor gilt bei uns unangefochten der unvergessliche Ausspruch des früheren Verteidigungsministers Struck, am Hindukusch würde Deutschlands Sicherheit verteidigt. Mich erinnert dieser Glaubenssatz stets an jenen anderen von ähnlicher intellektueller Qualität, den man uns einst als Studenten um die Ohren schlug: In Vietnam werde die Freiheit Westberlins verteidigt. Wer sich weigert, auch heute noch dergleichen gefährliche Dummheiten zu glauben und nachzuplappern, ist in diesem Land bekanntlich nicht politik- und koalitionsfähig. Man muss sich schließlich auch auf künftige Konstellationen einstellen. Als habe die durch den letzten Irakkrieg mutwillig ausgelöste Katastrophe noch nicht gelangt, drängen die Anhänger eines selbstmörderischen Abenteurertums seit langem und in letzter Zeit immer lauter auf ein militärisches Vorgehen gegen den Iran. Man muss nicht lange rätseln, welche Position die Bundesregierung im Ernstfall einnehmen wird. Die Intellektuellen aller Länder müssen vielleicht schon bald einen neuen Aufruf vorbereiten.

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