Sieg der Gewöhnlichen

Slowakei Ein Clown aus Trnava hat die Wahlen gewonnen. Igor Matovičs Partei hatte lange Zeit nur vier Mitglieder
Ausgabe 10/2020
Igor Matovič, slowakischer Unternehmer und Gründer der Obyčajní ľudia a nezávislé osobnosti (Gewöhnliche Leute und unabhängige Persönlichkeiten)
Igor Matovič, slowakischer Unternehmer und Gründer der Obyčajní ľudia a nezávislé osobnosti (Gewöhnliche Leute und unabhängige Persönlichkeiten)

Foto: Vladimir Simicek/AFP/Getty Images

Weil der „Clown aus Trnava“ Samstagnacht die slowakische Parlamentswahl gewonnen hatte, fuhr ich Sonntagmittag erstmals nach Trnava. Igor Matovič, ein unberechenbarer Antikorruptionsaktivist, der dem Parlament seit 2010 angehört, lag im Herbst knapp an der Fünf-Prozent-Hürde, am Samstag triumphierte er mit 25 Prozent. Trnava, ein westslowakisches Regionalzentrum mit 65.000 Einwohnern, hat eine große Altstadt, umgeben von bunt bemalten Plattenbauten. Wenn über die ökonomisch recht starke Stadt geredet wird, dann allenfalls über den harten Akzent von Trnavern wie Matovič.

Am Sonntag schwirrte sein Name durch Trnava, ich musste nur lauschen. Am frisch renovierten Bahnhof fehlten Fahrstühle und Rampen, und so seufzte eine schwer beladene Frau: „Hoffentlich macht Matovič was damit.“ Im Wartesaal besprachen drei bleiche Alte Matovičs Versprechen, Krebskranken eine Operation innerhalb von zwei Wochen zu garantieren: „Das hat weder Hand noch Fuß.“ Vor dem Bahnhof sagte ein Kerl zu einem andern: „Matovič gleich ...“

Der zappelige Populist, der wie die italienische Fünf-Sterne-Bewegung mit Happenings im Internet arbeitet, holte in Trnava neun Prozent mehr als im Landesschnitt. Die restlichen zwei Drittel dort erzählten mir wenig Schmeichelhaftes. Aus den slowakischen Medien war nur bekannt, dass Matovič sein Vermögen mit regionalen Gratisblättern machte, in Trnava kannte man ihn auch anders.

Noch im Januar hätte der Gedanke ein müdes Lächeln ausgelöst, dass der Clown aus Trnava Ministerpräsident wird, geschweige denn Anführer einer möglichen Koalition mit Verfassungsmehrheit. Ihm gelang das Wunder, den 40-Prozent-Pool eingefleischter Nichtwähler anzuzapfen und sogar Sympathisanten der Kotleba-Faschisten, also der rechtsextremen Nationalpartei SNS – ohne fremdenfeindliche Rhetorik – herüberzuziehen. Erklärbar war dies durch den Ekel darüber, was die Slowaken seit dem Doppelmord am Investigativjournalisten Ján Kuciak und dessen Freundin 2018 über ihr Land erfahren mussten: Marián Kočner, der wahrscheinliche Auftraggeber des Verbrechens, hatte einen Lockvogel zur Kompromittierung von Politikern und Journalisten beschäftigt. Und er hatte jeweils Hunderte freundschaftlicher Nachrichten mit Politikern, Richtern, dem Generalstaatsanwalt und dem Besitzer der führenden Finanzgruppe Penta ausgetauscht. Matovič drehte ein Video vor der Villa eines Regierungsgauners in Cannes, eines vor den Briefkastenfirmen von Penta in Limassol und entzündete 5.000 Kerzen für die medizinisch vermeidbaren Toten, die das verrottete Gesundheitssystem der Slowakei Jahr für Jahr auf dem Gewissen hat. Er fuhr die Ernte des Zorns ein.

Früher gebrauchte Matovič Methoden, die denen von Kočner nicht unähnlich waren, so zeichnete er Gespräche mit politischen Partnern heimlich auf. Seine Partei, die sich „Gewöhnliche Leute und unabhängige Persönlichkeiten“ (Olano) nennt, hatte lange nur vier Mitglieder, die Statuten waren geheim, Matovič entschied allein. Diesmal brachte er konservative Abtreibungsgegner und liberale Bürgerrechtler ins Parlament, einen Korruptionsermittler, einen Fernsehkomiker und ganz „gewöhnliche Leute“. Matovičs Stärke war stets, dass er empathisch und authentisch wirkt. Seine Fraktion zusammenhalten konnte er freilich bisher noch nie.

In einer Facebook-Beichte vor seiner zehnjährigen Tochter nannte sich Matovič einen „wirtschaftsliberalen Wertkonservativen mit starkem sozialen Gefühl“. Ich war daher nicht wenig überrascht, als ihn mir die unterschiedlichsten Trnaver als aufstrebenden Immobilientycoon beschrieben. Matovič habe ein Dampfbad gekauft, Baugrund im großen Stil, dazu „von den Pfarrern“ eine denkmalgeschützte Straße. Matovič besitzt auch zwei große Sozialwohnheime. Eines, das „Trnavan“ am Stadtrand, sah ich mir an. Ein zehnstöckiger Klotz, geschlossen und leer, die Eingangstreppe war eingestürzt. Als ich in der Roma-Kneipe nebenan nach Matovič fragte, erntete ich eine andere Art von Zorn. „Bevor er das Wohnheim kaufte, schmiss die Kommune die Bewohner raus“, erzählte man mir, „die sind jetzt obdachlos, und er lässt alles verfallen.“

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