Siegreiches Scheitern

Ungarn Das Scheitern des Referendums ist kein Sieg für eine liberalere Politik. Viktor Orbán wird seinen fremdenfeindlichen Kurs fortsetzen
Ausgabe 40/2016
Seine Niederlage interpretiert der Premierminister konsequent um
Seine Niederlage interpretiert der Premierminister konsequent um

Foto: Nikolay Doychinov/AFP/Getty Images

In dieser Woche hat Deutschland den Tag der Einheit gefeiert, der nicht zuletzt auch der ungarischen Grenzöffnung am 11. September 1989 zu verdanken ist. Seitdem wurden in dem Land, das einst den Eisernen Vorhang zu Österreich zerstörte, neue Zäune an der Grenze zu Serbien und Kroatien gebaut, angeblich um Ungarn und Europa vor Flüchtlingen zu schützen. Aber das hat dem Ministerpräsidenten Viktor Orbán nicht gereicht. Er wollte mehr, eine Volksabstimmung gegen die von Brüssel geplante Verteilung von Flüchtlingen auf die EU. Und damit verbunden eine Verfassungsänderung, damit in dieser Frage nur noch Ungarn und nicht mehr Europa das Sagen hat.

Für den Erfolg war Orbán bereit, fast alles zu tun. Er startete eine ebenso ekelhafte wie teure Kampagne. 40 Millionen Euro wurden alleine für Hetzplakate gegen Flüchtlinge ausgegeben, er ließ Kühlschrankmagneten produzieren und Broschüren an alle Haushalte verteilen, in denen von einem Zusammenhang zwischen Flüchtlingszahl und erhöhter Terrorismusgefahr schwadroniert wurde. Selbst am Tag des Referendums wurden Privathaushalte mehrmals angerufen und die Bewohner zur Wahl aufgefordert; schließlich stehe die Sicherheit der Nation auf dem Spiel. In Orbáns Rhetorik geht es immer um die Nation, um das Volk, wenn er den Wählern etwas nach seinem Willen verkaufen möchte. Aber in diesem Fall folgte das Volk dem Willen seines Anführers nicht. Sechzig Prozent der Wahlberechtigten gingen nicht zu den Urnen, sie wollten Orbáns Hasskampagne nicht unterstützen. Ein Sieg durch passiven Widerstand: Das Quorum für die Gültigkeit wurde so verfehlt.

In Europa und in Brüssel können viele ihre Genugtuung über die überraschende Niederlage von Ungarns Ministerpräsidenten kaum verbergen. Aber in Ungarn selbst ist die Freude über den Ausgang des Referendums aus zwei Gründen deutlich geringer. Denn zum einen ist ja nicht nur das Ergebnis, sondern auch das Motiv der Nichtwähler von Bedeutung. Bei der Entscheidung, zu Hause zu bleiben, spielte es leider keine große Rolle, dass die Nichtwähler Orbáns Flüchtlingspolitik abgelehnt hätten, oder gar dass sie der Meinung gewesen wären, das Land könne ruhig mehr Geflüchtete aufnehmen. Nein, im Gegenteil – das lehnten auch viele der Nichtwähler ab. Aber sie nahmen an dem Referendum nicht teil, um Orbán einen Denkzettel zu verpassen. Denn der Unmut über die schlechte Wirtschaftslage und die Regierung wird immer größer. Das Ergebnis ist also alles andere als ein Sieg für eine liberalere ungarische Flüchtlingspolitik.

Der andere Grund ist, dass Orbán in dem Scheitern seines Referendums partout keine Niederlage sehen will. In seiner Lesart hat er sogar an Unterstützung gewonnen, weil 98 Prozent der Wähler, die an der Abstimmung teilnahmen, mit Nein gestimmt und damit seinen Kurs gestützt hätten. Er will nun trotzdem die umstrittene Verfassungsänderung angehen, nach der nur noch das ungarische Parlament über die Aufnahme von Flüchtlingen entscheidet und nicht die EU. Allerdings bräuchte er dazu auch die Unterstützung der rechtsextremen Jobbik-Partei.

Mit anderen Worten: Trotz der Niederlage wird Orbán seinen fremdenfeindlichen Kurs fortsetzen. Das Referendum wird daran nichts ändern. Im Gegenteil: Orbán wird weiter in seiner Welt leben. Bis zur nächsten Volksabstimmung – der ungarischen Parlamentswahl in knapp zwei Jahren.

Civey

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Geschrieben von

Agnes Szabo

Hospitantin, Medienmittlerin

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