Signal

Stammzellforschung Die EU macht Druck auf einzelstaatliche Verbote

Ein Rückschlag für Ethik und Menschenwürde in Europa", so lautete das dramatische Urteil der beiden grünen Bundestagsabgeordneten Reinhard Loske und Priska Hinz. Mit dem Votum des EU-Parlaments würde "der weiteren Verzweckung und Kommerzialisierung menschlichen Lebens Tür und Tor" geöffnet. Tatsächlich handelt es sich bei der Entscheidung, die der EU-Ministerrat in den kommenden Wochen auf der Basis des Parlamentsvotums zu treffen hat, eher um ein politisches Signal. Insgesamt geht es um einen Betrag von 50 Millionen Euro, der im Entwurf der EU-Kommission für das 7. Forschungsrahmenprogramm (FRP) für die ethisch umstrittene Stammzellforschung vorgesehen ist. Nicht eben viel, verglichen beispielsweise mit dem US-Bundesstaat Kalifornien. Dort hat der entsprechende Etat einen Umfang von drei Milliarden US-Dollar.

Wie schon im Jahre 2000, als die Förderung der embryonalen Stammzellforschung aus EU-Mitteln erstmals unter Auflagen beschlossen worden war, richtet sich auch die jetzt anstehende Entscheidung vor allem auf einzelstaatliche gesetzliche Hindernisse. Fördert die EU auch künftig Forschung mit embryonalen Stammzellen, bedeutet das nämlich für zehn der insgesamt 25 EU-Mitgliedsstaaten, dass sie über ihre Anteile am EU-Haushalt weiterhin Projekte mit finanzieren, die die jeweilige nationale Gesetzgebung ausdrücklich verbietet.

Auch deshalb war über die Frage, ob Embryonenforschung aus öffentlichen Mitteln gefördert werden darf, monatelang heftig gestritten worden. Selbst in dieser Hinsicht der sonst nicht als skrupolös bekannten Kommission brachten bei der Grundsatzabstimmung zum 7. FRP im Frühjahr acht von 25 EU-Kommissaren schriftlich begründete Vorbehalte gegen die Förderung der Embryonenforschung vor. Zur Abstimmung im Parlament standen Mitte Juni, am Ende einer ausgiebigen Diskussion, dann vier verschiedene Entwürfe: Neben dem Kommissionsentwurf selbst lag dem Parlament ein Antrag vor, die Forschung mit Embryonen grundsätzlich von der EU-Förderung auszunehmen. Daneben gab es Vorschläge für Stichtagsregelungen, mit denen analog zur deutschen Lösung nur Forschungsprojekte mit bereits existierenden Stammzelllinien gefördert worden wären. Angenommen wurde dann mit einer äußerst knappen Mehrheit von 284 zu 249 Stimmen der vom Ausschuss für Industrie vorgelegte Entwurf. Er erweitert den Kommissionsvorschlag um eine Revisionsklausel, nach der zur Halbzeit des 7. FRP im Jahre 2010 auch das zurzeit noch ausdrücklich von der EU-Förderung ausgenommene Klonen in den Katalog der förderfähigen Forschungsaktivitäten aufgenommen werden könnte.

Der Druck auf die EU-Mitgliedsstaaten, die Embryonenforschung unter Strafe zu stellen, wächst aber nicht nur, weil mit der EU-Förderungspraxis Fakten geschaffen werden. Die ganze Struktur der Debatte erlaubt es auch nicht, hinter der ethischen Rhetorik Interessen oder Strategien wahrzunehmen. Die Ankündigung der Kommission beispielsweise, die Entstehungsbedingungen der in geförderten Forschungsprojekten verwendeteten Stammzelllinien künftig genau prüfen zu wollen, wurde in vielen Medienberichten erwähnt. Dass sie dies längst und überdies ohne Sinn oder Konsequenz tut, fand dagegen keine Beachtung. Schon im Rahmen des auslaufenden 6. FRP sollten Antragsteller eine "Checkliste zu ethischen Fragen" ausfüllen, in der unter anderem nach der Herkunft der Zelllinien gefragt wurde. Dennoch wusste die Kommission auf Anfrage aus der Grünen-Fraktion im Europäischen Parlament nicht zu sagen, woher die in den neun geförderten Projekten verwendeten Zelllinien stammten.

Das deutsche Forschungsministerium dagegen konnte eine ähnlich lautende Anfrage der Grünen sehr präzise beantworten. Demnach sind von den insgesamt 120 verwendeten Zelllinien mindestens die Hälfte nach dem in der Bundesrepublik gesetzlich vorgeschriebenen Stichtag hergestellt worden, und die entsprechenden Projekte stehen damit im Widerspruch zu hiesigem Recht. Ob auch im 7. FRP geförderte Vorhaben gegen einzelstaatliche Gesetzgebung verstoßen dürfen, muss nun der Rat der Forschungsminister entscheiden. Möglicherweise kommt hier eine Sperrminorität gegen den vom Parlament gebilligten Entwurf zustande. Dann müsste es in zweiter Lesung neu votieren - über Embryonenforschung in Europa wird also wohl noch eine Weile gestritten werden.


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