Wer erzählt die wahre Geschichte des Eberhard Diepgen? Sie könnte, paradoxerweise, mit dem Tag beginnen, da Walter Momper, 1989/90 in Westberlin Chef einer rot-grünen Interimsregierung, eines der schönsten zentralen Grundstücke der "neu gewonnenen Berliner Mitte" für´n Appel und ´n Ei an den Weltkonzern Daimler-Benz veräußerte, das zweite an Sony. Diese Operation lag ganz auf der Linie Diepgens, der die Stadt davor und danach regierte. Der gedankliche Mindesteinsatz zur Bewältigung der gegenwärtigen Krise bestünde in der Frage, ob das damals verschenkte Geld nicht heute in der Kasse fehlt. Doch selbst das wäre zu kurz gegriffen. Was hat das alles mit Landowsky und der Landesbank zu tun? Eben, es geht um geplatzte Spekula
ulationsblasen der landeseigenen Bank, nicht um irgendwelche, sondern um Immobilien- und Bauspekulationen. Wer sich erinnern will, weiß, dass diese Geschichte noch weit vor 1990 begann.Diepgen trat Mitte der achtziger Jahre in die Berliner Politik ein. Wenige wissen noch, dass es, in einer Zeit, da die deutsche Einheit in weiter Ferne schien, ein "Metropolenkonzept" war, mit dem er Furore machte. An die Stelle der "grünen Mitte", in welcher die damalige Alternative Liste die Tugend der Not einer freigebombten Brache an der Mauer sah, wollte Diepgen eine neue Mitte aus Deutschem Historischem Museum, Akademie der Wissenschaften, Magnetbahn und Wohnungen für die Eliten eines Silicon Wedding - Berlin als "europäische Metropole", konkurrenzfähig mit London und Paris. "Berlin ist wieder da", parolierte Diepgen denn auch im Wahlkampf 1984/85 - doch auch der Filz war da. Nun konnte man immer noch denken, die besondere Lage Berlins als hochsubventionierte "Insel" sei schuld an diesem Übel. Wie musste sich die Lage nach 1989 doch ändern, als der Weg frei wurde für Diepgens "europäische Metropole" großen Stils, deren Konzept er noch im Schatten der Mauer erdacht hatte: Rekonstruktion der chronisch darbenden Wirtschaft einer "Stadt am Tropf" durch das Kapital einer modernen "Kultur- und Dienstleistungsmetropole"! Bei der Platzierung der Debis-Zentrale von Daimler-Benz und des europäischen Sony-Verwaltungsgebäudes in Berlins Neuer Mitte am Potsdamer Platz konnte man noch glauben, das passe ins Konzept einer Metropole, die ihre Sache auf "Kommunikation" und "Dienstleistungen" stellt. Aber nach zehn Jahren wissen alle, dass Berlin mit München und seinem Umland in dieser Hinsicht noch nie konkurrieren konnte und nun - da in manchem Aktenköfferchen eines New-Economy-Helden nur noch ein Schlapptop ist - erst recht nicht konkurrieren kann. Womit in der Hauptstadt wirklich Geld gemacht werden konnte, das kam stets aus dem Bermuda-Dreieck der Berliner Politik: Immobilien, Bauen und Spekulation.SPD-Politiker nehmen derzeit den Begriff "Sollbruchstelle" in den Mund. Sie meinen damit, etwas flach, einen möglichen Bruch der großen Koalition in Berlin. Wenn der Begriff einen Sinn hat, dann liegt er in der Bezeichnung jenes Grabenbruches in der politischen Tektonik Berlins, den schon Heinrich Zille mit dem Bonmot traf, man könne einen Menschen auch mit einer Wohnung erschlagen. Es geht schließlich immer wieder um dasselbe: die begrenzte Ressource Grund und Boden, den Heißhunger des Kapitals danach, die Versuche des Staates, eine gewisse Kontrolle zu wahren - um der Gestaltung des symbolischen Kapitals willen, das eine Stadt darstellt, und mitunter auch um der Menschen willen, die durch eine Wohnung nicht erschlagen werden wollen.Die Rahmenbedingungen dieses Kampfes haben sich allerdings gegenüber den Achtzigern, als Diepgen von der "europäischen Metropole" träumte, erheblich verändert. Das Haifischbecken ist durch die Einheit größer und unübersichtlicher geworden. Seinerzeit konnte man noch mit grünen Politikern Gespräche führen, etwa zu der Frage, was die "Sollbruchstelle"Bauspekulation/Hausbesetzer für ein alternatives Metropolenkonzept bedeuten könnte. Damit erntet man heute, da sich alle zu den Metropolengewinnern rechnen, bestenfalls eine unverständiges Lächeln. Allen wurde das Dieb-Gen eingepflanzt, nur die Ausprägung ist verschieden, je nach politischer Umwelt.Und noch etwas ist heute anders. Der Diepgen von 1985 war von einem umwerfenden neokonservativen Gestaltungswillen beseelt. Sein Konzept konnte nur unter der Voraussetzung funktionieren, dass die Politik die Zügel in der Hand behält. Damit ist es längst vorbei. Die Bankgesellschaft Berlin stand bereits für eine Teilprivatisierung - ein öffentlich-privates Joint Venture zur Stärkung des "Finanzplatzes Berlin". Nun kommt vermutlich die Vollprivatisierung. Ein Teil des Landesvermögens ist bereits veräußert, mit weniger Erfolg, als nach der neoliberalen Ideologie zu erwarten war, das Loch im Landeshaushalt blieb gigantisch. Also wird künftig einerseits der Grundsatz herrschen, dass sich Schüler lieber den Hintern mit selbstgekauftem Klopapier abwischen sollen, als dass an der Repräsentation gespart wird, weil das bei Staatsbesuchen auffallen würde. Andererseits wird der Staat sich selbst weiter abbauen. Es fällt vielleicht manchem noch nicht auf, aber es ist wirklich so: Was Karl Marx erst unter Bedingungen des Kommunismus für möglich hielt, beginnt mitten im boomenden Kapitalismus - ein kontrolliertes Absterben des Staates.