Simulation von Kontrolle

Integration Statt die Integrationskurse tatsächlich zu verbessern, machen CDU/CSU und FDP symbolische Klientelpolitik

Man muss schon sagen: die aktuelle Regierung hat den Begriff „Symbolpolitik“ so mit Inhalt gefüllt wie noch keine vor ihr. „Nur wer Deutsch lernt, darf auch bleiben“, titelte jüngst voller Begeisterung das Münchener Boulevardblatt tz, gemeint waren die Pläne der CSU für eine „Deutsch-Pflicht für Ausländer“. Unterdessen stellt sich alles deutlich weniger aufregend dar: Die Regierung möchte die Integrationskurse stärker kontrollieren, was Qualität, Teilnahme und Lernerfolg betrifft. Das scheint zunächst durchaus erwägenswert. Einerseits soll es um die Verbesserung der Angebote gehen, andererseits könne man so, wie CDU-Innenexperte Reinhard Grindel meint, „Integrationsverweigerer schneller feststellen“.

Um die symbolische Dimension dieser Vorschläge erkennen zu können, muss man zurückgehen in den Juli 2010. Da hat nämlich das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge die Finanzmittel für die Integrationskurse eingeschränkt und den Zugang begrenzt. Tatsächlich hatten sich zuvor sowohl die Angebote als auch die Anzahl der Bewerber auf ein Volumen hochgeschraubt, das dem Bund zu teuer wurde. Gegen die neuen Regelungen gab es Protest, sogar aus den Reihen der CDU.

So beklagte der Arbeitskreis „Migranten in der Union“ in der Region Rhein-Sieg: „Menschen, die vor 2005 eingewandert sind, haben nun so gut wie keine Chancen mehr, ihre Sprachkenntnisse in Integrationskursen zu verbessern. Dies gilt insbesondere für diejenigen, die bereit sind, einen Teil des Kurses aus eigener Tasche zu finanzieren, sowie diejenigen – und es sind insbesondere Frauen und Jugendliche – die aufgrund ihrer Lebensumstände bislang nicht an einem Kurs teilnehmen konnten. Auch Arbeitslosengeld-Empfänger sind davon ausgeschlossen, ihre Chancen auf einen neuen Arbeitsplatz zu verbessern.“

Angesichts solcher Maßnahmen hätte man einen Aufschrei in der Öffentlichkeit erwarten können, aber dort gab es Wichtigeres zu debattieren: die Thesen Thilo Sarrazins und die Existenz von „Integrationsverweigerern“. Es ist schon atemberaubend, wie die Regierung die Integrationskurse herunterfahren und sie gleichzeitig als Herzstück ihrer Politik präsentieren kann. Darüber hinaus hat sie in Sachen Gestaltung der Einwanderungsgesellschaft ohnehin nichts zu bieten.

Das ganze Theater dient also primär dazu, Kontrolle zu simulieren. Um einer konservativen Klientel zu versichern, dass sie auch in den kommenden Jahren weiterhin die Zügel der Gesellschaft in den Händen halten wird, braucht man den Popanz des „Integrationsverweigerers“ und die Definition von Integration als Prüfung, deren Inhalte immer noch „wir“ bestimmen.

Man kann nicht oft genug daran erinnern: Von den Kindern unter sechs Jahren in Städten wie Frankfurt oder Nürnberg haben derzeit 67 Prozent mindestens ein Elternteil, der selbst noch nach Deutschland ein­gewandert ist. Das ist die Lage, und der kann man weder mit Nostalgie noch mit Kontrollwahn begegnen. Die symbolische Klientelpolitik der Bundesregierung allerdings trägt nicht das Geringste dazu bei, der neuen Bevölkerung eine gemeinsame Zukunft zu verschaffen.

Mark Terkessidis ist Journalist, Autor und Migrationsforscher in Köln und Berlin


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