Sind die Ossis eine eigene Ethnie?

Ethnologie Die Frage hat derzeit tatsächlich ein Gericht zu beantworten. Der Schriftsteller Jochen Schmidt wägt ab

Kein Witz: Eine westdeutsche Firma hat eine Frau nicht eingestellt und als Begründung auf dem Bewerbungsbogen vermerkt: „Ossi“. Das Stuttgarter Arbeitsgericht wird nun entscheiden müssen, ob die Ostdeutschen eine eigene Ethnie darstellen und unter den Schutz des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) fallen. Der Begriff der Ethnie ist seit den Jugoslawienkriegen in den 90ern allgemein gebräuchlich, ohne daß genauer definiert werden könnte, worum es sich handelt. Man möchte nicht "Volk" sagen und trotzdem etwas bezeichnen, was man intuitiv wahrzunehmen meint. Das ebenso unscharfe Wort "Kultur" hilft nicht weiter.

Die Frage ist: Haben die Ostdeutschen in 40 Jahren DDR eine eigene, klar identifizierbare Identität angenommen? Sie selbst wollen sicher normale Deutsche sein und keine eigene Ethnie. Oder anders gesagt, wenn schon eine eigene Ethnie, dann sind es auch die Westdeutschen. Das Land hat aber noch viel mehr Grenzen. Es gibt eine bayerische, eine thüringische, eine Nord- und eine Süd-Ethnie...

Aber so unbefriedigend die Frage nach der Ethnie auch ist, so wenig macht die Behauptung glücklich, die Herkunft spiele heute keine Rolle mehr. Gerne geäußert von aus Süddeutschland in den Prenzlauer Berg zugezogenen Besitzern von Eigentumswohnungen. Warum soll es keine Rolle spielen, wie und wo man aufgewachsen ist? Kein amerikanischer Rapper würde auf stolze Herkunftsbekundungen verzichten. Bei uns wird dagegen so getan, als wolle man die Nation spalten, wenn man Wert darauf legt, in Ostberlin aufgewachsen zu sein. Ich sage immer, ich fahre nach Frankfurt, und freue mich, wenn man mich im Westen falsch versteht, weil sie natürlich Frankfurt am Main meinen, sonst hätte ich „Frankfurt an der Oder“ sagen müssen. Das aber mache ich mit Absicht nicht.

Komm mir bloß nicht mit den Puhdys!

Dabei ist die ostdeutsche Erfahrung so zersplittert wie die westdeutsche. Wie involviert waren die Eltern ins DDR-System? Hatte man Westfernsehen? Westverwandte? Hatte man gute Lehrer? Kontakte zur Kirche? Lebte man in der Stadt oder auf dem Land? In welchem Jahrzehnt ist man aufgewachsen? Jeder hat eine andere Situation erlebt, eine gemeinsame Erfahrung scheint es allerdings doch zu geben: vom Westen nicht verstanden zu werden – kollektiv wurde sie allerdings erst nach der Wende gemacht. Ich persönlich fühle mich dann am wenigsten verstanden, wenn in einer RTL-DDR-Show selbstverständlich behauptet wird, ich hätte als DDR-Bürger etwas für die Puhdys übrig gehabt.

Etwas anderes ist die Erfahrung, wie entlastend es sein kann, wenn man im Ausland sagen kann, daß man zwar Deutscher ist, aber aus dem Osten. Die Gesichter hellen sich auf; so unbeliebt die Deutschen sind, die Ostdeutschen genießen anscheinend außerhalb Deutschlands gewisse Sympathien. ­Meine Eltern wohnen in Mannheim, ­immer muss ich dazu sagen, dass sie nur zugezogen sind, damit es nicht zu ­peinlichen Missverständnisse kommt.

Was will uns das sagen? Je kleiner der Unterschied, umso größer die Emo­tionen, das war in den Jugoslawien­kriegen zu beobachten, wo Ethnien definiert wurden, die es kulturell eigentlich gar nicht mehr gab. Im Krisenfall tun sich Gräben auf, wo man nicht damit ­gerechnet hätte, das kennt jede Familie, in der einmal ein Erbe aufzuteilen war. Welche Gründe könnte es also geben, ­jemanden nicht einzustellen, weil er Ostdeutscher ist? Ostdeutsche gelten als flexibel, leistungsbereit, gut ausgebildet, angenehm im Umgang. Es gab aber auch eine Kultur der Aufmüpfigkeit ­gegen die leitende Ebene in der DDR. Könnte es sein, dass solche Arbeit­nehmer in ­unserer Wirtschaft zur Zeit nicht gefragt sind?



Der Schriftsteller Jochen Schmidt wurde 1970 in Ost-Berlin geboren. Zuletzt ist von ihm erschienen Schmidt liest Proust

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