Sind hier Schlafwandler am Werk?

Russland Mit seiner Sanktionspolitik spielt sich der Westen als Weltpolizei auf und der ökonomische Sinn dahinter ist nicht zu erkennen. Hier geht es um etwas anderes
Ausgabe 31/2014
Zum Fürchten? Angela Merkel und Frank-Walter Steinmeier
Zum Fürchten? Angela Merkel und Frank-Walter Steinmeier

Bild: Clemens Bilan/AFP/Getty Images

Nicht von den Vereinten Nationen werden sie verhängt, sondern von einer westlichen Staatengruppe: Sanktionen gegen Russland. Es geht ja nicht anders, werden manche sagen, denn in den Vereinten Nationen ist Russland Vetomacht und kann jede gegen sich selbst gerichtete Strafmaßnahme verhindern. Aber mit fast demselben Argument hat sich die NATO das Recht zugesprochen, unabhängig von der UNO Krieg zu führen. Sie war es leid, sich mit Russland und China einigen zu müssen. Eben das, was mit der Schaffung der Vereinten Nationen und ihrer regionalen Ableger wie der OSZE verhindert werden sollte, dass nämlich Großmächte ihren Streit mit unfriedlichen Mitteln austragen, kehrt 100 Jahre nach dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs zurück.

Wer gegen Russland Sanktionen verhängt, überschreitet eine Schwelle. Man sieht es schon daran, dass dann auch die russische Antwort naheliegt, gegen die EU und die USA welche auszusprechen. Zwar hat der russische Außenminister Sergei Lawrow erklärt, Russland werde nicht nach dem Prinzip „Auge um Auge, Zahn um Zahn“ reagieren. Aber diese Formulierung ließ einiges offen, und tatsächlich ist Russland schon jetzt dabei, der US-Kette McDonald’s den Garaus zu machen.

Dabei wird es sich aber nicht einbilden, es übe Druck auf die USA aus. Die Vorstellung, man könne auf Gebilde von der Größenordnung der USA, der EU, Russlands oder Chinas wirtschaftlichen Druck ausüben, ist so albern, dass man annehmen darf, alle Beteiligten seien darüber im Bilde. Nein, wer hier Sanktionen ins Spiel bringt, weiß, dass er etwas anderes tut: Er spricht eine Feinderklärung aus. Im Grunde genommen kann man es mit Otto von Bismarcks Emser Depesche vergleichen, die noch keine Kriegserklärung war, aber sehr bald eine zur Folge hatte. Der Vergleich passt nicht ganz, weil es Krieg mit Russland auf absehbare Zeit nicht geben wird. Dennoch: Wenn die gegen Russland verhängten Sanktionen irgendeinen Sinn haben, kann es nur der sein, dass mit oder ohne Absicht der erste Schritt auf dem Weg zu einem möglichen künftigen Krieg getan wurde.

Ein ökonomischer Sinn ist jedenfalls nicht zu erkennen, außer man unterstellt eine Bereitschaft der EU, sich im Interesse der USA selbst zu schädigen. Andreas Steiniger, Vorstand des Ostinstituts Wismar, hat es kürzlich noch einmal erklärt. Werden Industriesanktionen verhängt, schadet es Deutschland, Finanzsanktionen treffen Großbritannien hart.

Russland selbst verfügt über 472 Milliarden Euro Devisen und ist auf den Zugang zu westlichen Kapitalmärkten gar nicht angewiesen, auch weil es mit den anderen BRICS-Staaten Brasilien, Indien, China und Südafrika, in denen 40 Prozent der Weltbevölkerung leben, gerade eine eigene Weltbank gegründet hat. Wenn Deutschland keine Rüstungsgüter mehr liefert, wird Russland zwar ein kleiner Schlag versetzt, denn die russische Rüstungsindustrie ist technologisch zurückgeblieben. Aber immerhin ist sie die zweitgrößte der Welt, und sie wird sich zu helfen wissen. Was hier in Fahrt kommt, ist nichts anderes als ein neuer Rüstungswettlauf.

Die Sanktionspolitik des Westens ist gefährlich und deshalb empörend. Dahinter steht die Anmaßung, der Westen und nicht die UN sei das Weltgericht und die Weltpolizei. Ein Interessenkonflikt wird nicht friedlich beigelegt, sondern artet in die Kriminalisierung der Gegenseite aus. Sind hier „Schlafwandler“ am Werk, die in etwas „hineinschlittern“? Das soll niemand später behaupten dürfen.

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Geschrieben von

Michael Jäger

Redakteur „Politik“ (Freier Mitarbeiter)

Michael Jäger studierte Politikwissenschaft und Germanistik. Er war wissenschaftlicher Tutor im Psychologischen Institut der Freien Universität Berlin, wo er bei Klaus Holzkamp promovierte. In den 1980er Jahren hatte er Lehraufträge u.a. für poststrukturalistische Philosophie an der Universität Innsbruck inne. Freier Mitarbeiter und Redaktionsmitglied beim Freitag ist er seit dessen Gründung 1990. 1992 wurde er erster Redaktionsleiter der Wochenzeitung und von 2001 bis 2004 Betreuer, Mitherausgeber und Lektor der Edition Freitag. Er beschäftigt sich mit Politik, Ökonomie, Ökologie, schreibt aber auch gern über Musik.

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