"Sind sie ... ?"

KEHRSEITE Dass ich an meinem Vornamen niemals Freude gehabt hätte, will ich nicht behaupten: Schon im sozialistischen Kinderferienlager landete ich treffsicher ...

Dass ich an meinem Vornamen niemals Freude gehabt hätte, will ich nicht behaupten: Schon im sozialistischen Kinderferienlager landete ich treffsicher in Mädchenbungalows, worüber ich mich in diesem zarten Alter (wegen der vielen anwesenden Puppen) noch ebenso herzhaft zu freuen vermochte wie heute, wenn ich im Internet zur Männerhasserin deklariert werde.

Jedoch hat ein so schöner Name auch seine Schattenseiten. Seit Jahren verfügten mein Freund und ich über gegenseitige Postvollmachten. Unsere Köpenicker Zustellerin kannte uns persönlich und wusste, dass sie Briefe risikolos dem jeweils anderen aushändigen durfte. Dann zogen wir nach Kreuzberg.

Der Ärger begann mit einem Einschreiben. Mein Haushaltsvorstand war für einige Zeit im Ausland. Nein, sagte morgens der Zusteller, die Köpenicker Postvollmacht gelte nicht in Kreuzberg, er müsse die Sendung wieder mitnehmen. Nichtmal den Absender dürfe er mir nennen. Nachmittags erläuterte ich im Postamt 61 am Tempelhofer Ufer das Problem. Erfolglos, man habe seine Vorschriften, und außerdem sei der Brief noch nicht wieder da.

Am nächsten Morgen ein Anruf im Köpenicker Postamt Lindenstraße. Gewiss, die Postvollmacht läge noch vor. Sie nach Kreuzberg faxen? Das sei zwecklos, in diesem Zustellbezirk würde sie ja doch nicht gelten. Tags darauf erwischte ich eine junge Frau am Telefon des Postamts 61, die Verständnis für meine Situation zeigte. Das Einschreiben sei jetzt wieder da. Ich solle persönlich vorbeikommen und mich ausweisen, dann würde sie das auf ihre Kappe nehmen und mich wenigstens den Absender wissen lassen. Als ich kurz vor 18 Uhr am Schalter des 120 Jahre alten Postamts "Berlin SW 61" eintraf, war die Kollegin noch da - nicht aber der Brief. Es täte ihr ja so leid, aber jemand anders müsse ihn wohl bearbeitet haben, weil die Lagerfrist abgelaufen sei. "Und nun?" - Nun ist er wahrscheinlich unterwegs zum Absender. Sechs Wochen später fragte Freund Igor aus Odessa fernmündlich an, warum wir die Annahme seines Briefes verweigert hätten.

Inzwischen verfügen wir wieder über alle Vollmachten, was uns aber mitnichten vor Irritationen schützt. So beförderte die Deutsche Post AG unlängst ein "An die Bewohner des Hauses" adressiertes "Postwurf Spezial" in unseren Briefkasten: Das Sechserpack Damenbinden zierte die Aufforderung "Keine Kompromisse mehr!" Mit der freundlichen Bemerkung, sie könne wahrscheinlich mehr damit anfangen, schenkte ich es einer Nachbarin, die seitdem nur noch grußlos und gesenkten Hauptes an mir vorbeigeht.

Besser funktioniert jenes "Keine Kompromisse mehr!" gegenüber dem Personal Kreuzberger Postämter. Seit ich die Fragesätze der jeweiligen Zusteller "Sind Sie ... " prinzipiell bejahe - ganz egal welcher Name fällt -, ist mir noch jede Sendung ausgehändigt worden. Letzte Woche allerdings hat mich die Konsequenz des Paketboten denn doch erstaunt: "Guten Tag, sind Sie Frau Stedefeldt?" tippte er auf das Adresslabel und musterte mich aufmerksam. Auf mein in tiefem Bass erwidertes "Ja" drückte er mir ohne Zögern ein kleines, weiches Päckchen in die Hand. - Nein, nicht, was Sie jetzt denken.

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