Wer protestiert, muss sichtbar sein. Musik ist ein geeignetes Mittel, seinen Unmut kund zu tun. Ganz ohne Flüstertüte, stampfende Füße oder gar Gewaltbereitschaft. Mehr noch: Musik gilt seit jeher als verbindendes und festigendes Element von Protestbewegungen. Einfache Texte und klare Melodien erreichen die Massen und sind mobilisierende Elemente zum friedlichen Widerstand. Und wir kennen sie alle, die gesungenen Statements von Dylan, Marley, Springsteen, Gaye oder Bono. Sogar Connor Oberst taucht mit seiner Band Bright Eyes in den jüngeren Best-of-Protest Listen auf.
Aber wo sind die Frauen? Bei einer Umfrage des Rolling Stone wählten die LeserInnen 26 Best-of-Protest Songs aus. Darunter keinen einzigen von einer Musikerin. Da läuft es beim Guardian schon
Umfrage des Rolling Stone wählten die LeserInnen 26 Best-of-Protest Songs aus. Darunter keinen einzigen von einer Musikerin. Da läuft es beim Guardian schon besser: Immerhin tauchen neben Aretha Franklin und den Dixie Chicks auch Kate Bush und sogar Madonna auf. Dabei ist es gerade für Musikerinnen ein vorteilhaftes Mittel, ihren Protest in Lyrics und Songs auszudrücken. Dort hört man ihnen wenigstens zu.Als 1912 die Textilarbeiterinnen im US-amerikanischen Lawrence in den Streik traten, sangen sie die Zeilen eines Gedichts - Bread and Roses ging als frühes Protestlied der Arbeiterinnenbewegung in die Geschichte ein. Auch während der Weltwirtschaftskrise 1929 und der Elend der Wanderarbeiter in den USA stand Aunt Molly Jackson Widerstand musizierend an der Seite von Bergleuten in Kentucky, noch bevor Woody Guthrie „this land“ als „my land“ besang.Musikerinnen protestieren mit ihren Songs gegen soziale und politische Zustände, gegen die Benachteiligung von Geschlecht und Ethnie. Die amerikanische Bürgerrechtsbewegung fand eine musikalische Identifikationsfläche, lange bevor Rosa Parks sich in einem Bus in Alabama weigerte, ihren Sitzplatz für einen Weißen zu räumen. 1939 sang Billie Holiday in Strange Fruit über die Lynchmorde an der schwarzen Bevölkerung, deren Körper wie "fremde Früchte" an den Bäumen hingen.Das Internet-Portal Pop-Matters erklärt, Strange Fruit habe die Bürgerrechts-Aktivisten inspiriert, ihre Botschaft mit Hilfe der Populärkultur zu verbreiten.Auch Nina Simone oder Aretha Franklin haben den US-amerikanischen Rassismus besungen und ihrer Selbstachtung eine Stimme gegeben. James Brown sang I’m Black and I’m Proud, Nina Simone steuerte der Bürgerrechtsbewegung To Be Young, Gifted and Black bei.Die Friedensbewegung der 60er und 70er Jahre ist zweifellos mit Bob Dylan und Joan Baez verbunden. Auch wenn Songs wie Blowin’ in the Wind oder The Times They are a Changin` aus der Feder Dylans stammen – Baez gilt ebenso wie er als Verkörperung des sozialen Folk-Gewissens jener Zeit und hat ihre Karriere dahingehend bis heute verfolgt. Ähnlich wie Joni Mitchell oder Yoko Ono – wobei Letztere oft hinter ihrem Mann John Lennon zu verschwinden droht.Anti-Kriegslieder kamen auch von Kate Bush oder der Kanadierin Buffy Sainte-Marie, die in Universal Soldierdas Schicksal der Soldaten als grenzen- und religionenüberschreitende Gemeinsamkeit formulierte:He’s a catholic, a Hindu, an atheist, a Jane A boarders, a Baptist and Jew. And he knows he shouldn’t ‘ve killed And he knows he always will kill You’ll for me my freidn and me for youHe’s fighting for Canada. He’s fighting for France. He’s fighting for the USA. And he’s fighting for the Russians. And he’s fighting for Japan And he thinks we’ll brought an end to war this way.Natürlich hat auch die Frauenbewegung ihre Hymnen. Aretha Franklins Interpretation des Otis Redding Songs Respect wirbelt noch heute Tanzflächen auf – ein Soulhit, in dem Franklin den Respekt und die Anerkennung ihres Geschlechts unüberhörbar in Versalien buchstabiert. Respect kennt jeder – aber was ist mit Helen Reddys Song I Am Woman? Reddy beschreibt hier das positive Gefühl, das ihr die Frauenbewegung gibt. Zeilen wie 'I am strong, I am invincible, I am woman’ schenkten der zweiten Welle der Frauenbewegung 1972 ihren eigenen Soundtrack. I Am Woman erhielt sogar einen Grammy, bei dessen Verleihung Helen Reddy Gott dankte, "because She makes everything possible".Seitdem haben Musikerinnen immer und immer wieder Songs gegen die Benachteiligung von Frauen geschrieben und gesungen. Ani DiFranco, Queen Latifah, Tori Amos und die komplette Riot Grrrls Bewegung mit Bikini Kill, Sleater Kinney oder auch Kim Gordons von Sonic Youth. Egal, ob es um Abtreibung, Gewalt, soziale und politische Benachteiligung oder die sexuelle Befreiung ging – Songschreiberinnen haben das Potential genutzt, durch Musik ihrer Wut und ihrem Protest eine Stimme zu geben.Nicht immer zum Gefallen ihrer Landsleute allerdings: Als Natalie Maines von den Dixie Chicks 2003 öffentlich erklärte, sie schäme sich dafür, dass George W. Bush aus dem gleichen Bundesstaat komme wie sie, reagierte die Öffentlichkeit mit Boykott. Radiosender spielten ihre Songs nicht mehr, das Trio erhielt Morddrohungen und ihre Platten wurden öffentlich verbrannt. Eine Antwort formulierten die Country-Musikerinnen 2006 in ihrem Album Not Ready To Make Nice. Nur ein Jahr später war die Kritik am amerikanischen Präsidenten salonfähig geworden. Sängerin Pink schrieb einen als Song formulierten offenen Brief an Bush: Auf Dear Mr. President wählte sie leise Töne, die aber in ihrer Aussage umso schärfer waren.Ein gewaltiges Wispern waren auch die Worte, die Tracy Chapman 1988 zum 70. Geburtstag Nelson Mandelas sang: „Don't you know. They're talkin' bout a revolution. It sounds like a whisper“.Oft sind es die einfachen Worte, die Menschen motivieren, sich zusammen zu tun und gegen Ungerechtigkeit, Benachteiligung und Unterdrückung aufzubegehren. Get up, Stand Up von Bob Marley ist so eine Hymne – People Have The Power von Patti Smith ebenfalls. Gespielt werden sie und ihre Kolleginnen aber viel zu selten.