Sie waren noch nie nett zur Linken, aber sie haben immer schon den Braten gerochen, die Industrie- und Finanzkapitäne von TF 1, Frankreichs privatem Ersten Fernsehkanal mit der höchsten Einschaltquote: 20 Minuten hat Premier Lionel Jospin in den Abendnachrichten von TF 1 erhalten, um zu erklären, wie er 50 Milliarden Francs an steuerlichen Mehreinnahmen zu verteilen gedenkt und wie er es geschafft hat, diesen politischen Erfolg wochenlang durch seine Entschlusslosigkeit zu verderben. Kaum mehr als zwei Minuten darf sich anderntags Robert Hue äußern. Bis ganz zum Ende der Sendung muss Frankreichs KP-Chef am Tisch des Nachrichtensprechers sitzen, um dann sein Wort zum Haushaltsüberschuss und zum Kongress seiner Partei zu sagen - einem der vermutlich recht wichtigen in der Geschichte der KPF.
Man kommt nicht ohne weiteres auf die Idee, dass die Kommunisten seit bald drei Jahren Regierungspartei und wesentliche Stütze der Linkskoalition von Jospin sind. Ihr Gewicht in der öffentlichen Meinung fiel im gleichen Tempo wie der Stimmenanteil bei Wahlen. Mehr als zwei Minuten sind sie den Nachrichtenmachern derzeit nicht wert.
Es ist nicht sicher, ob sich diese Buchhalterkurse nach den vier Tagen in Martigues ändern. Dort, in der Nähe von Marseille, findet an diesem Wochenende der Parteitag statt, so als ob der Frühling, der an der Küste längst Einzug gehalten hat, auch den Kongress beflügeln soll. Einen »Kongress der Wiedergründung« kündigt Robert Hue seit Wochen an. Martigues soll Schlussakkord und Aufbruch in einem sein: Pauken und Trompeten für seine Idee von der mutation, dem Umbau der Partei zu mehr Demokratie nach innen und einer modernen äußeren Erscheinung. Die Schwierigkeiten liegen tiefer, sagt der reformistische Flügel um ihren Anführer Guy Hermier in Marseille. »Selbst wenn wir mit dem Umbau weiterkommen, haben wir Probleme, eine Debatte über die eigentliche Frage zu beginnen: Wo ist heute unser Standort in der französischen Politik?«, meint Frédérique Dutoit, Hermiers rechte Hand und Vizebürgermeister von Marseille-Nord. »Man sagt uns, keine sozialdemokratische Politik - einverstanden. Kein Sektierertum - auch gut. Aber was sollen wir also machen? Darüber gibt es keine Debatte, und das werfen wir Robert Hue vor.«
Seit seiner Wahl zum Parteichef 1994 wird der umgängliche Hue von zwei Seiten in die Zange genommen: den »Reformisten«, die am liebsten das kommunistische Logo über Bord werfen und dafür eine linkssozialistische Partei gründen wollen, »einen Pol der linken Kräfte mit einigen Grünen, den Trotzkisten, den Bürgerrechtsgruppen«; und den »Orthodoxen«, denen der große Umbau Teufelszeug ist und die sich durch die Wahlergebnisse auch bestätigt sehen. Mehr als sechs bis sieben Prozent der Stimmen sammelt die KPF auf nationaler Ebene nicht mehr ein.
Die bösen Buben heißen Georges Hage, Henri Alleg oder Rémy Achéde und sind in Wahrheit schon alte Knaben im politischen Geschäft, Senatoren und Abgeordnete meist aus den letzten kommunistischen Bastionen im Norden Frankreichs. Vergeblich haben sie Stimmen für die Verschiebung des Parteitags gesammelt. Erstmals versuchen nun die »Orthodoxen«, eine eigene Gruppe innerhalb der Partei zu gründen. »Nicht wir sind es, die die KPF verlassen, die Chefs sind es, die sich vom Kommunismus verabschieden«, erklären sie. Ihre wirkliche Macht in den Parteigremien ist bescheiden, dennoch können sie auf eine Grundstimmung an der Basis rechnen. »Viele wählen auf den Parteitagen aus Disziplin Robert Hue und weil sie es nicht wagen, sich öffentlich hinter die Orthodoxen zu stellen«, heißt es in Marseille, wo selbst Chef-Reformer Guy Hermier in der Partei keine sichere Mehrheit hat. Die Zeiten, da ärmere Schichten in der Hafenstadt gar die Kommunisten - und noch nicht die Rechtsextremen - wählten, sind Geschichte. Als ein Kommunist im Rathaus von Marseille regierte, schrieb man das Jahr 1946.
Die KPF hat sich immer schon von den Bruderparteien in Westeuropa - den italienischen und spanischen zumal - unterschieden, sie war stets national ausgerichtet - und stand doch bis in die achtziger Jahre unter sowjetischem Einfluss. Wahrscheinlich wurde deshalb die Entwicklung zum Eurokommunismus verpasst. So wirkte die Partei jahrzehntelang in den öffentlichen Debatten Frankreichs wie der Magnet im Physikunterricht auf die Eisenspäne - man war entweder für oder gegen die Kommunisten, für den Mai '68, die Selbstbestimmung in den Betrieben, den Kampf gegen den Imperialismus von einst und heute und fand auch ein paar Argumente für Stalins Lager oder man verwarf eben alles in Bausch und Bogen. Die selbstgewählte Isolierung hat sich letztlich gegen die KPF selbst gerichtet. Denn Frankreichs Kommunisten erlitten ein doppeltes Trauma,
über das sie bis heute nicht hinweg sind - die missglückte Regierungsbeteiligung nach dem Sieg der Linken 1981 und der Zusammenbruch der kommunistischen Regimes im Osten 1989. Das Regieren an der Seite der Sozialisten beginnt auch heute wieder, Fragen nach dem Sinn zu provozieren. In bald drei Jahren haben die 35 kommunistischen Abgeordneten in der Nationalversammlung gerade einmal drei kleinere Gesetzesvorhaben selbst initiieren und durchsetzen können.
Dass die KPF vor ihrem Kongress in Martigues die erstmalige Veröffentlichung der Kandidaturen für den Nationalrat der Partei als demokratischen Sieg feiert, sagt viel über einen gewissen Rückstand gegenüber europäischen Par- teifreunden. Robert Hue wird in Martigues wohl weiter krebsen auf seinem Weg der mutation, weil es zum Ziel der linkssozialistischen Partei keine Alternative gibt, die Opposition der »Orthodoxen« aber nur stark genug ist, das Tempo zu bremsen. Einen symbolischen Sieg hat Hue schon verbucht: Russlands Kommunisten hat er vom Kongress in Martigues wegen ihrer Unterstützung des Tschetschenien-Krieges wieder ausgeladen.
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