Sisyphus Gabriel

Lange Linien SPD-Chef Sigmar Gabriel hat bisher wenig falsch und vieles richtig gemacht - und trotzdem nur Aussicht auf einen Trostpreis

Wenn es gerecht zugeht, dann erhält in einer noch zu schreibenden neuen Geschichte der deutschen Sozialdemokratie der jetzige SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel gute Noten, zumindest was seine bisherige Amtszeit angeht. Er hat wenig falsch und vieles richtig gemacht.

Das gilt nicht nur für seine Leistungen auf dem Gebiet der kleinen Tricks. Ein tolles Stück war die Sache mit Joachim Gauck, hier gelang es ihm, Linkspartei und Union gleichermaßen vorzuführen.

Auch das gängige Repertoire des Linksschwenks beim Übergang von der Regierung zur Opposition absolvierte er gekonnt. Die SPD hat sich von der alten Schröder-Clement-Politik ein bisschen abgesetzt. Dass dies nach der Maxime geschieht, mit den Fehlern von gestern sei nicht abzurechnen, sondern sie seien im Vorwärtsschreiten möglichst vergessen zu machen, ist alte sozialdemokratische Tradition. Der Vorwurf der Unglaubwürdigkeit hat eine begrenzte Haltbarkeit. Auch beim Entwerfen einer großen Linie ist Gabriel nicht untüchtig. Beispiel: das mit der Vorsitzenden der französischen Schwesterpartei, Martine Aubry, abgesprochene Projekt einer europäischen Wirtschaftsregierung.

Erfolge sind tatsächlich nicht völlig ausgeblieben: Hamburg wurde wieder gewonnen, Bremen und Rheinland-Pfalz behauptet. In Baden-Württemberg regiert die SPD jetzt mit, besonders wertvoll ist die Rückkehr an die Macht in Nordrhein-Westfalen. Der letztere Erfolg ist auch deshalb so wichtig, weil das Ypsilanti-Trauma bewältigt wurde: Hannelore Kraft lässt sich von der Linkspartei tolerieren und kann sie offenbar – glaubt man den aktuellen Umfragen – kleiner machen, als sie vorher war. Das ist nicht nur Taktik, sondern verbindet sich – in der Haushaltspolitik und bei der auch symbolstarken Abschaffung der Studiengebühren – mit inhaltlich teilweise durchaus attraktiver Politik.

Nicht mehr die kommende Kraft

Obwohl er also einiges vorzuweisen hat, gilt Gabriel nahezu als glücklos. In den Umfragen kommt die SPD nicht so recht aus dem Tal heraus. Nur unter empfindlichen Verlusten gelangte sie in Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen in die Regierung, jeweils mit ihren schlechtesten Allzeit-Ergebnissen.

Am Ende der Adenauer- und der Kohl-Zeit hatte sich die SPD auf Bundesebene der Macht genähert, indem sie ihre Positionen in den Kommunen und in den Ländern ausbaute. Auch Gabriel hat wohl darauf gesetzt. Aber die kommende Kraft auf diesen nachgeordneten Ebenen sind nicht mehr in erster Linie die Sozialdemokraten, sondern die Grünen. Sie erobern Oberbürgermeisterposten, stellen in Baden-Württemberg den Ministerpräsidenten und deklassierten dort die SPD zur Juniorpartnerin. Schlimmer noch ist, dass sie sich nicht länger auf Rot-Grün fixieren lassen.

Eine ihrer glaubwürdigsten Politikerinnen, die eher linke Bärbel Höhn, bescheinigt der schwarz-gelben Koalition, dass ihr Atomausstieg perspektivreicher sei als die Lösung, zu der sich einst Schröder und ­Trittin bequemten. Der Sozialabbau des vorigen Jahrzehnts ließ sich unter sozialdemokratischer Führung konfliktärmer hinkriegen als unter einem etwaigen Unionskanzler, denn die Opposition der Gewerkschaften war durch Loyalität gebremst. Jetzt kommt die andere Rechnung: Gegen die Blockaden des großen Kapitals ist eine Energiewende nicht zu machen. Das notwendige Maß an Tolerierung oder gar Kooperation geht mit Schwarz-Grün besser als mit der SPD. So sieht die langfristige Perspektive aus, unabhängig davon, welche Kombination 2013 noch einmal zum Zuge kommt.

Diagnose und Therapie

Gabriel versucht seine Partei durch eine Organisationsreform für die sich abzeichnende Zwischenetappe einer Scheinblüte fitzumachen: Öffnung für die Beteiligung von Nichtmitgliedern. Dahinter steht eine realistische Diagnose. Viele Ortsvereine existieren nur noch auf dem Papier. Ob die Therapie hilft, ist fraglich. Der Altbestand ist immer noch stark genug, um sich gegen Reformen zu wehren. Dass die SPD Thilo Sarrazin nicht loswurde, ist eine fatale Niederlage. Diejenigen, die man gewinnen will, sind meist schon woanders, vor allem bei den Grünen. Zuzug ist allenfalls aus der Linkspartei zu erwarten, aber dazu braucht es keine Organisationsreform. Gabriel wirbt neuerdings um die früher Verschmähten.

Vielleicht haben seine Anstrengungen Aussicht auf einen Trostpreis: anders als in Italien die Atomisierung der parlamentarischen Linken zu verhindern und den Übergang in die wohl unvermeidliche Bedeutungsminderung erträglicher zu gestalten.

Georg Fülberth ist Politikwissenschaftler. Zuletzt erschien von ihm Das Kapital kompakt bei Papyrossa

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