Sittenwidrig aber steuerpflichtig

Aus den Ländern Berliner Anhörung zur Lage von Prostituierten
Ausgabe 45/2015

Als „sittenwidrig“ gilt ihre Tätigkeit in der Öffentlichkeit: sie werden amtlich registriert und kontrolliert, fallen aus dem Netz der Sozialversicherung, und kommt ein Freier auf die Idee, ihre erbrachte Dienstleistung nicht wie verabredet zu honorieren, so ist dieser Betrug vor keinem Gericht einklagbar. So schmutzig immerhin ist ihr Verdienst wiederum nicht, als dass sich der Fiskus vom üblen Geruch abgehalten fände, seinen Anteil davon einzufordern. Von Huren ist hier die Rede.

Nun mag der Begriff „Hurenbewegung“ in manchen Ohren fremd oder gar abstoßend klingen, aber die Frauen, die sich vor einigen Jahren zusammentaten, verstehen ihre Tätigkeit als einen freiwillig ausgeübten Beruf. Als solchen wollen sie ihn in der Öffentlichkeit und vor dem Gesetz anerkannt wissen. Im Frühjahr 1990 hatte sich bereits die grüne Fraktion im Bundestag für ihre Belange stark gemacht, aber bislang liegt das „Gesetz zur Beseitigung der rechtlichen Diskriminierung von Prostituierten“ noch in den Ausschüssen.

Unterstützung erhält die Initiative neuerdings nun von Länderseite. Anne Klein, Senatorin für Frauen, Jugend und Familie in Berlin, hatte vergangene Woche zu einer öffentlichen Anhörung unter dem Motto „Beruf: Hure“ geladen. Mit Rücksicht auf die künftige Metropole-Stellung Berlins, so die Senatorin, gehe es darum, die Einrichtung von Sperrgebieten, wie sie in anderen Städten üblich sind, zu verhindern und Maßnahmen gegen die weitere Ghettoisierung dieser Berufsgruppe ins Auge zu fassen,

In den Kompetenzbereich der Länder gehört hier unter anderem die Auslegung des „Gesetzes zur Bekämpfung von Geschlechtskrankheiten“, das einseitig auf die Prostituierten angewendet wird. Über seine Abschaffung, so Frau Dr. Schwarze von der Beratungsstelle für Geschlechtskrankheiten, sei man sich noch nicht einig, da sonst unter Umständen das Bundesseuchengesetz an seine Stelle träte. Ziel müsse es jedoch sein, der Stigmatisierung der Prostituierten durch eine liberalere Handhabung des Gesetzes entgegenzuwirken. Einig waren sich hingegen alle VertreterInnen der verschiedenen Organisationen, dass mit diesen Maßnahmen nur den Berufsprostituierten geholfen ist. Die Beschaffungsprostitution drogenabhängiger und die Zwangsprostitution ausländischer Frauen wird damit nicht entkriminalisiert.

So problematisch die Verrechtlichung der Prostitution auch sein mag, so bleibt doch, die Entscheidung jeder einzelnen Frau, die sich für diesen Beruf entscheidet, zu respektieren und seine Gleichstellung mit anderen Berufen zu fordern. Möglicherweise, vermerkte Senatorin Klein am Rande, ist in einer Zeit, in der die familiären Zusammenhänge mehr und mehr verlorengehen und bisher in der Familie erbrachte Leistungen ausgelagert werden, die Prostitution eine notwendige Erscheinung. Nicht einsehbar sei daher, dass diese Dienstleistung nicht wie jede andere bezahlt wird und diejenigen. die sie erbringen, vor Diskriminierungen geschützt werden.

Dieser Text erschien am 9. November 1990 in der ersten Ausgabe des Freitag

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Geschrieben von

Ulrike Baureithel

Redakteurin „Politik“ (Freie Mitarbeiterin)

Ulrike Baureithel studierte nach ihrer Berufsausbildung Literaturwissenschaft, Geschichte und Soziologie und arbeitete während des Studiums bereits journalistisch. 1990 kam sie nach Berlin zur Volkszeitung, war im November 1990 Mitbegründerin des Freitag und langjährige Redakteurin in verschiedenen Ressorts. Seit 2009 schreibt sie dort als thematische Allrounderin, zuletzt vor allem zuständig für das Pandemiegeschehen. Sie ist außerdem Buchautorin, Lektorin und seit 1997 Lehrbeauftragte am Institut für deutsche Literatur der Humboldt Universität zu Berlin.

Ulrike Baureithel

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