Beim Betreten der Ausstellung besticht die Leere. Man hat das Gefühl, einen Ort des Übergangs, eine Lagerhalle aufgesucht zu haben. Keine Zwischenwände, der Blick schweift frei durch den 300 Quadratmeter großen Raum.
Die eigenartige Stimmung, die etwas Provisorisches verbreitet, hat mit dem Charakter der Arbeiten des griechischen Künstlers Vlassis Caniaris zu tun. Caniaris Werk kreist um die Gefahr und Unbeständigkeit, die Bürgerkriege, Diktaturen und das Leben im Exil den Menschen auferlegen.
Die Bremer Gesellschaft für aktuelle Kunst widmet dem 2011 Verstorbenen nun eine Werkschau, die keineswegs wie eine Werkschau wirkt. Zu aktuell sind die Themen, zu aktuell die Arbeitsweise des in Deutschland unbekannten, in Griechenland berühmten Künstlers.
Paris, Rom, Berlin, Gastarbeiter
Etwa Possible Background (1974), eines von Caniaris großen Environments: An einer Wand sieht man ramponierte Kinderwägen, ein Dreirad, einen sperrigen Holzkoffer, ein verschmutztes Hemd auf einem Drahtbügel, eine Leinwand. Die Dinge befinden sich in einer Übergangssituation. Sie sind hier noch nicht oder nicht mehr zu Hause.
Caniaris entwickelte sein Ensemble während der Zeit in Berlin. Lange zog er durch Europa, lebte in Paris und Rom. In Griechenland, das von der Besatzung durch deutsche und italienische Faschisten in den Bürgerkrieg, dann in die Militärdiktatur schlitterte, hielt er es nie lange aus. Das Leben als Migrant, Gastarbeiter und Fremdarbeiter, wie seine Berliner Ausstellung 1975 hieß, war ein ständiges Thema.
1956 wohnte Caniaris in Rom. Das Leben in seiner Heimat Athen war angespannt, die starke kommunistische Bewegung hatte den Kampf gegen die konservativen Royalisten, ehemalige Kollaborateure der Faschisten, verloren. Das Ölbild Athens (Zoro), das Caniaris in diesem Jahr malte, erzählt im Sinne eines metaphysischen Realismus von der Stimmung.
Die Schrift an der Wand
Man sieht eine nächtliche Straßenszene, einige unvermittelte Schachtelbauten. Jemand zerreißt ein Flugblatt, Militärs stehen vor einem Hauseingang mit gezogenen Waffen, zwei Unbeteiligte beobachten das Geschehen. Über der Stadt reitet Zorro über eine Leinwand. Der Filmheld als Messias. An einer Mauer sind Reste einer Inschrift zu erahnen, die sich realer Praxis verdanken. Aktivisten schrieben nachts mit roter Farbe Freiheitsparolen an die Häuserwände, die tags überstrichen wurden. „Daraus ergaben sich dicke Schichten Farbe, die Objektcharakter hatten“, sagt Yvonne Bialek von der Gesellschaft für aktuelle Kunst.
Caniaris hat den Kämpfen um die Mauern eine Serie gewidmet, in denen Schrift und weiße Farbe einander überlagern. Von Hommage to the Walls of Athens sind zwei Ölbilder zu sehen; die Leinwand wurde nicht grundiert, ihr Gewebe ist so grob, dass das Bild stellenweise durchsichtig wird. Es dringt in die Wirklichkeit.
1960 nimmt es den Weg in den Raum. In Space within Space ersetzt ein Drahtgitter die Leinwand, die Oberfläche bricht auf, wölbt sich. Das erinnert noch ans Bild, nur die malerische Geste sucht man vergebens. Maschendraht wird zu Caniaris‘ bevorzugtem Material. Er beginnt, Figuren daraus zu bauen, Kinder wie das Waste Basket Child (1974), das er in die abgetragene Kleidung seiner eigenen Kinder steckt und mit zerknülltem Verpackungsmaterial füllt. Die Figuren bevölkern vereinzelt seine trostlosen Environments. Sie sind dort zu Hause – so gut es in solcherlei Umgebung eben geht.
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