Ich renne vorbei an den Menschen, die ihre Zeit in Cafés und Bars verbringen. Es ist Sommer und die meisten dieser Leute beobachten mich lässig gelangweilt, wenn ich vorbeihusche, während sie auf der Straße sitzen und Milchkaffe schlürfen. Ich hasse ihre Blicke.
Wo wollten wir uns noch mal treffen? Ich hab schon wieder alles vergessen, weil ich aufgeregt dem Treffen mit dir entgegenfiebere. Nachdem wir uns gestern flüchtig gesehen haben und dieses Treffen verabredeten, ist jetzt alles weg. Und dabei hab ich noch den Vorschlag gemacht! Ich beginne, an meinem Verstand zu zweifeln. Krampfhaft suche ich nach Anhaltspunkten, die mir helfen könnten, mich zu erinnern, wo wir uns treffen wollten.
Warum nur habe ich ausgerechnet heute mein Handy nicht dabei? Dann k
et heute mein Handy nicht dabei? Dann könnte ich dich anrufen und fragen. Andererseits : würde ich mir wirklich die Blöße geben wollen, danach zu fragen? Dann denkst du gleich, ich bin völlig daneben oder dumm, weil ich mir nicht einmal solch simple Sachen wie einen Termin merken kann.Eigentlich ist diese Überlegung sowieso egal, weil ich ja mein Handy eh nicht dabei habe. Und das, obwohl ich es doch sonst immer bei mir habe! Ich weiß ja, wie sehr du diese "Unart" hasst und aus purer Rücksicht darauf habe ich dieses für mich existentiell wichtige Utensil zu Haus gelassen. Zurück kann ich auch nicht, denn dann werde ich auf jeden Fall zu spät kommen und du wirst dann wieder beleidigt reagieren, weil du auch Unpünktlichkeit hasst. Gott, warum bist du eigentlich so schwierig? Wenn mir nur endlich unser Treffpunkt einfallen würde! Langsam werde ich panisch. Ich krame in meinem Kopf erneut nach Anhaltspunkten, Daten, Personen und Erinnerungen. Bruchstücke unseres gestrigen Gespräches kommen mir wieder in den Sinn, aber keine Chance, dass mir der verfluchte Treffpunkt einfällt. Mmmmmh. Das nervt!Wenn ich mich nicht bald erinnere, werde ich garantiert zu spät sein. Wenn mir dann doch noch einfällt, wo wir uns treffen wollten, und du bist tatsächlich trotz meiner Verspätung noch da, dann wird es schwierig, ein Gespräch in Gang zu bringen, da du natürlich beleidigt bist, weil ich von dir erwartet habe, deine ach so wertvolle Zeit mit sinnentleertem Warten auf mich zu vergeuden. Du wirst dann von Zeit zu Zeit einige Spitzen fallen lassen, die mich zum einen bestrafen, zum anderen zeigen sollen, wie großmütig du doch bist, dich trotz eines solchen Fauxpas noch mit mir abzugeben. Du wirst dafür sorgen, dass der Abend für mich mit einem schlechten Gewissen ausgeht. Die Wut, die ich wegen meiner Vergesslichkeit empfinde, wandelt sich in allgemeine Wut. Warum treffe ich mich eigentlich mit dir? Gut, du siehst toll aus. Wir haben die gleichen Freunde und verkehren in denselben Kreisen. Und weiter? Das Treffen wird bestimmt wieder ein weiteres Fiasko in der gemeinsamen Geschichte unserer zum Scheitern verurteilten "Freundschaft".Eigentlich bist du noch nicht mal ein Freund für mich. Wir sind in unserem Denken, Fühlen und Taten so verschieden wie es nur geht. Wir haben gar nichts gemeinsam. Eigentlich sollten wir uns nicht einmal im gleichen Raum aufhalten. Wie kam es, dass gerade wir uns kennen gelernt haben? Und warum vergeude ich regelmäßig meine Zeit mit dir? Was du zu sagen hast, interessiert mich nicht. Du kannst noch nicht einmal mit dem kleinsten Hauch von Kritik umgehen. Also werde ich dir wieder einmal gegenüber sitzen, von Zeit zu Zeit auf die Uhr sehen, dich in deiner plakativen Oberflächlichkeit unterstützen und mir Gedanken darüber machen, warum meine Hormone ein solch blödes Verhalten von mir rechtfertigen sollten ... Oh, jetzt endlich fällt es mir wieder ein. Das neue Café am Stadttor. Genau. Dort wollten wir uns treffen. Zum Glück ist es nicht allzu weit entfernt. Ich renne also hin. Als ich den Raum betrete, bemerke ich gleich die Wanduhr. Zu früh. Auch das noch. Jetzt wird es so aussehen, als hätte ich nichts besseres mit meinem Leben anzufangen, als hier an diesem für mich nicht allzu gemütlichen Ort auf dich zu warten. Egal. Im Moment ist alles egal! Ich bin stolz auf mich. Zum ersten, weil mir eingefallen ist, wo wir uns treffen wollten und zum zweiten, weil ich noch nicht einmal zu spät bin. Reife Leistung! Zumindest für mich!!!Ca. zehn Minuten später tauchst du in der Tür auf. Und da ist es wieder - der Grund, warum ich mir das alles zumute. Ich sitze da, schwärme in Gedanken für dich, begutachte deine Bewegungen und deine Kleidung und denke bei mir: schön!!!!Du hast schlechte Laune, weil mal irgendetwas nicht so gelaufen ist, wie du es dir vorgestellt hast. Deine Eltern nerven dich, dein Professor ist ein Idiot, deine Mitbewohner sind egoistische und ignorante Bastarde ... Warum mache ich das noch mal??? Wir kennen uns jetzt ewig und im Laufe der Jahre haben wir gelernt, Themen, bei denen unsere Meinung auseinander gehen, zu meiden. Da wir bei den meisten Themen unterschiedlicher Meinung sind, sprechen wir im Normalfall von belanglosen, seichten Nichtigkeiten. Jedesmal haben wir eine gewisse Erwartungshaltung an das nächste Treffen, jedes Mal sind wir voneinander enttäuscht. Eine gute Möglichkeit, dich besser ertragen zu können, wäre auch, wenn du einfach nur dasitzen würdest, gut aussiehst und die Klappe hältst. Ich finde dich sehr sexy und manchmal denke ich so bei mir, wir sollten endlich miteinander ins Bett gehen und danach sollten sich unsere Wege tunlichst nie wieder kreuzen. Was? Nächste Woche? Treffen? Ja, klar. Natürlich hat mir unser Gespräch gefallen. Blöde Frage! Also nächsten Dienstag wieder um dieselbe Uhrzeit. Wieder hier. Gern.
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